caiman.de 04/2007

[art_4] Bolivien: Kakao für die Rente

Moskitos umsurren Don Ernesto in der feuchten Hitze. Der alte Mann mit dem von Falten zerfurchten Gesicht schwingt seine Machete und schlägt eine Kakaofrucht vom Baum. Mit ein Paar Hieben wird sie geöffnet. Er pult die Kerne aus der Schale und lässt sie in den immer schwerer werdenden Sack gleiten, den er auf dem Rücken trägt. Seit 45 Jahren baut Don Ernesto Kakao an, und mit jedem Jahr wird die Arbeit für ihn beschwerlicher.

Don Ernesto ist eines der Gründungsmitglieder von El Ceibo. "Wir haben uns 1977 zusammen geschlossen um einen Weg zu finden, der uns von den Aufkäufern, die uns die Preise diktierten, unabhängig macht", erinnert sich der 65-jährige.

Kleinbauern, die auf eigene Faust Handel mit dem Ausland betreiben wollen, das schien vielen Beobachtern eine völlig absurde Idee zu sein. Doch 30 Jahre später gilt die Kooperative als Vorbild für Genossenschaften im ganzen Land.


Sie zählt 800 Produzentenfamilien in 38 verschiedenen Kooperativen, die quer über die tropische Region des Alto Beni verteilt leben. Außerdem arbeiten 100 Angestellte in der Fabrik, die hoch oben in den Anden bei La Paz liegt.

Der Erfolg von El Ceibo wäre ohne den Fairen Handel kaum möglich gewesen, da ist sich Don Ernesto sicher: "Der Faire Handel ist wichtig für uns, weil man sich da nicht nur um das Produkt, sondern auch um uns Produzenten kümmert. Er garantiert uns einen sicheren Absatzmarkt zu einem fairen und stabilen Preis."

Durch den Fairen Handel haben die Produzenten ein stabiles Einkommen, das mit rund 100 Euro pro Monat etwa doppelt so hoch ist, wie der Erlös, den sie mit dem Verkauf des Kakaos an Mittelsmänner erzielen würden. "Nur so war es mir möglich, meine vier Kinder nicht nur groß zu ziehen, sondern ihnen auch eine gute Ausbildung zu ermöglichen." Heute leben die vier Töchter Don Ernestos mit ihren Familien quer über Bolivien verteilt.

Die Eltern sind alleine zurück geblieben, und die Arbeit in der Kakaopflanzung wird ihnen zunehmend zur Last. "Ich bin 65 Jahre alt, meine Frau Efrasia ist 68. In unserem Alter fällt uns die harte körperlich Arbeit immer schwerer." Unter normalen Umständen müssten die Beiden bald ihre Hütte und ihr Dorf aufgeben, und hoffen, bei Ihren Kindern unterzukommen und dort mitversorgt zu werden.

Doch Efrasia und Ernesto haben etwas, das in Bolivien alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist: eine Rentenversicherung.


"Ein Teil der Prämie vom Fairen Handel wird dazu verwendet, uns älteren Mitgliedern eine Pension zu bezahlen, so dass wir auch im Alter noch genug Geld zum Leben haben", sagt Efrasia und ihr ist deutlich anzumerken, wie froh sie ist, versorgt zu sein, wenn sie einmal zu alt ist, um weiter in der Pflanzung zu arbeiten.

Kakao anzubauen ist eine anstrengende und zeitaufwendige Angelegenheit, zumal dann, wenn es sich um biologisch angebauten Kakao handelt. "Wir sind rund um das Jahr beschäftigt. Entweder muss der Kakao geerntet und getrocknet werden, oder wir müssen das Feld von Unkraut frei halten, denn wir können ja keine Pestizide sprühen", meint Efrasia. Zur Arbeit auf der Plantage kommt die häusliche, ihre Hütte etwa braucht bald wieder ein neues Dach, das das Paar aus Palmblättern flicht.

Verarbeitet wird der Kakao in El Alto, das früher das Armenviertel der Hauptstadt La Paz war und heute eine eigene Millionenstadt bildet. Doch da müssen die Kakaobohnen erst mal hin. Die Straße aus dem Tiefland des Alto Beni in die Hauptstadt gilt als die gefährlichste ganz Südamerikas. Es ist eine schmale Schotterpiste, die in die steilen Andenabhänge gekerbt wurde, gerade breit genug für einen Lastwagen. Auf der einen Seite ragt steil die Wand empor, während auf der anderen ein Hunderte Meter tiefer Abgrund lauert. Nur an einigen Stellen gibt es Ausweichmöglichkeiten für den Gegenverkehr. Über diese Straße quälen sich auch die mit den Kakaobohnen von El Ceibo beladenen Lastwagen im Schritttempo ins Hochland empor.

"Früher gab es ein Monopol der Transportunternehmer, die Unsummen für die Beförderung verlangten", so Clemente Puna, derzeit Vizepräsident der Kooperative, und grinst. "Aber dann haben wir Lastwagen gekauft und das Monopol gebrochen."

Wenn alles gut geht, brauchen die Lastwagen 22 Stunden, um 4.000 Höhenmeter und 300 Kilometer Wegstrecke zu bewältigen, bis sie in der kalten Höhenluft von El Alto ankommen. Die Fabrik gehört der Kooperative.

Ein köstlicher Duft nach Schokolade durchdringt die Luft, denn hier werden jedes Jahr 500 Tonnen Bio- und noch mal 200 Tonnen herkömmlicher Kakao verarbeitet; der Jahresumsatz liegt bei zwei Millionen US-Dollar. 70 Prozent der gesamten Kakaoproduktion Boliviens kommen von El Ceibo und die Organisation ist überall für ihre gute Qualität bekannt. Die wird übrigens von einer Frau kontrolliert, was ungewöhnlich ist, denn Frauen in Führungspositionen sind in Bolivien selten. Marta, die 28-jährige Tochter eines Kooperativenmitgliedes, hat mit einem Stipendium von El Ceibo studiert.

"Unsere Kinder sind die Zukunft von El Ceibo. Viele studieren Agrarwissenschaften, und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten kommen unserer Gemeinschaft zu Gute", erklärt Clemente Puna nicht ohne Stolz, denn dass Kinder von Bauern eine Universität besuchen, ist in Bolivien alles andere als selbstverständlich.

Jedes Kooperativenmitglied kann sich auf einen der festen Arbeitsplätze in der Fabrik bewerben und bekommt dort einen sicheren Arbeitsplatz und Aufstiegschancen. Die Arbeiter in der Fabrik von El Ceibo erhalten mit 100 Euro im Monat das Doppelte des offiziellen Mindestlohns, der üblicherweise gezahlt wird.

Nora hat sich dafür entschieden. Ihre Aufgabe ist es, die angelieferten Kakaobohnen zu sortieren. Für sie ist das nicht irgendeine Arbeit, sondern fast so, als arbeite sie in ihrem eignen Betrieb. "Ich bin Teil von El Ceibo und froh, in meiner eigenen Kooperative arbeiten und sie voranbringen zu können. El Ceibo ist etwas besonderes. Wir kümmern uns umeinander. Wenn zum Beispiel jemand krank wird, dann helfen wir uns gegenseitig mit den Kosten für den Arzt. In einer normalen Fabrik gäbe es das nicht", erzählt die 38-jährige. Bis zu 200 Euro zahlt die Kooperative kranken Mitgliedern für die ärztliche Versorgung; finanziert wird das aus der Fair Trade Prämie. Wie die Prämie verwendet wird, entscheidet jedes Jahr eine aus allen Kooperativen des Landes gewählte Versammlung: Rentenfond, Arztkostenzuschuss, Stipendien und die Finanzierung der Agraringenieure, die den Mitgliedern helfen, die Qualität des bereits hochwertigen Kakaos weiter zu steigern. Das ist nur möglich, weil 65 Prozent der Produktion an den Fairen Handel exportiert werden.

Nachdem Nora und ihre Kolleginnen die Bohnen verlesen haben, werden diese maschinell geschält, geröstet und gemahlen. Anschließend wird das Pulver per Hand in Tüten gefüllt, gewogen und verpackt.


Im Lagerhaus steht eine meterhoch bepackte Palette mit Kakaopulver für die gepa, die einer der Hauptabnehmer von El Ceibo ist. Doch nicht nur deshalb ist das Fairhandelshaus ein wichtiger Partner für die Kooperative: "Die gepa steht für eine vertrauensvolle, stabile und verlässliche Zusammenarbeit. Und es geht ihnen nicht nur um den Kakao, sondern sie erweisen uns als Kleinbauern auch Respekt", meint Clemete Puna und bietet uns ein Stück Schokolade an.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Christian Nusch

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Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Peru Kompakt
Autoren: Katharina Nickoleit, Kai Ferreira-Schmidt
276 Seiten
36 detaillierte Karten und Ortspläne, Umschlagkarten, Register, Griffmarken, 120 Farbfotos ISBN 3-89662-338-9
Verlag: Reise Know-How
2. Auflage 2005