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[art_2] Brasilien: Das Imperium besucht zurück

Wem ist es noch nicht so gegangen: Strahlender Sonnenschein, 35 Grad Hitze - der Tag könnte nicht schöner beginnen. Doch irgendwas Seltsames liegt in der Luft.

Das Fenster aufgerissen und mit freiem Oberkörper hinaus auf die Stadt gespäht, um zu sehen was geht.

Nun, erstaunlich wenig für einen Freitagmorgen, muss ich feststellen. Wo sich sonst endlose Autokolonnen entlang quälen, herrscht heute gähnende Leere. Dafür schaue ich direkt in das bleiche Gesicht eines in einen schwarzen Anzug gekleideten Mannes, der für mich stumm in ein Handy spricht.

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Ich flitze die sieben Stockwerke hinunter auf die Straße. Zwei Fotografen stehen vor meinem Haus. "Was geht denn hier ab?", frage ich sie.

"Du weißt von nix? Laura Bush ist auf dem Weg hierher, sie will das Sozialprojekt auf der anderen Straßenseite besuchen."

Die Polizei hat bereits alle Straßen rund um mein Haus abgesperrt, oben auf der Kreuzung sehe ich noch den Kopf der Autoschlange, deren Besitzer von der unerbittlichen Sonne in ihren Blechkisten weich gekocht werden.

Eine Frau steht einsam mit einer kleinen USA-Fahne auf dem Bürgersteig und wartet. "Die USA kämpfen wenigstens für ihr Land und sind stolz auf ihre Geschichte. Die Brasilianer denken dagegen nur an Samba, Bier und Frauen. Um für irgendetwas zu kämpfen, sind sie zu schwach. Als Lula Präsident wurde, habe ich versucht, meinen brasilianischen Pass abzugeben. Ich wäre wirklich lieber Amerikanerin."

Ein junger Mann mit bloßem Oberkörper macht seiner Empörung über das Gesagte Luft. Ich frage ihn, was er denn so von Bush hält, und es bricht aus ihm heraus: "Bush ist ein Hurensohn..."

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Die umstehenden Polizisten schnappen ihn sich, packen ihn im Genick und zerren ihn den Bürgersteig entlang zum nächsten Polizeiauto. Die Fotografen knipsen alles, während sie versuchen, die Situation zu beruhigen. "Meinen Sie nicht, dass Sie etwas überreagieren?", fragt einer die Polizistin. Aber die lässt nicht mit sich reden.

Am nächsten Tag sieht man das Bild der Verhaftung in den großen Zeitungen der Stadt und im Text verteidigt sich der junge Mann, er habe lediglich auf die Frage eines deutschen Journalisten geantwortet.

In unserem WG-Apartment im siebten Stock rührt sich etwas. Mein Mitbewohner öffnet das Fenster und betrachtet die bunte Szene aus der Vogelperspektive, eine Kaffeetasse in der Hand. Sofort schwenken die in schwarze Kampfanzüge gekleideten Scharfschützen ihre Gewehre in seine Richtung. Ob sie wohl zuerst die Kaffeetasse zerschießen werden oder meinem Mitbewohner direkt den finalen Todesschuss in die Stirn jagen? Man weiß ja nicht, wie solche Leute drauf sind.

Laura Bush biegt um die Ecke. Zwei große Limousinen, mehrere Begleitfahrzeuge davor und dahinter. Bevor sie aussteigt, springen haufenweise Sicherheitsleute ebenfalls in schwarzen Anzügen aus dem Begleitkonvoi. Als die First Lady dem Wagen entsteigt, rufen die Fotografen "Hillary" und "Barbara". Laura winkt ihnen zu und die Frau mit der kleinen USA-Fahne schwenkt diese ganz aufgeregt.

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Dann ist Georges Gattin auch schon verschwunden. Frühstücken will sie angeblich mit den Kindern des Sozialprojektes. Dabei hatten Zeitungen berichtet, dass selbst Mineralwasser und Kekse aus den USA eingeflogen wurden. Ob sie sich wohl an einen brasilianischen Cafezinho heranwagen wird?

Gestern hatten sich noch einige Tausend Protestler auf der Avenida Paulista eine Straßen- oder besser Avenidaschlacht mit der Polizei geliefert. Steine flogen, Tränengas wurde gesprüht. Heute ist alles ruhig. Ganze drei Demonstranten haben sich eingefunden und verteilen Flugblätter gegen die angeblich kurz bevorstehende Beschlagnahmung des Amazonasregenwaldes durch die USA. "Der Regenwald gehört uns!"

Nach gut einer Stunde ist alles vorbei. Laura eilt zurück in ihre Limousine, die Sicherheitsleute hüpfen in die Vans und schon braust der Konvoi über abgesperrte Straßen davon. Laura muss zum Mittagessen mit George und Brasiliens Präsident Lula da Silva. Die hatten sich an diesem Vormittag über eine Zusammenarbeit der beiden Länder bei der Herstellung von Ethanol-Sprit unterhalten.

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Ob Laura wohl noch das einsame Plakat gesehen hat, das in der Nähe des Sozialprojekts aufgehängt wurde? Darauf wirft ein Vermummter einen Molotov-Cocktail gegen ein Bush-Bild. "Wir können Euch gerne Alkohol geben" steht darauf.

Text + Fotos: Thomas Milz