caiman.de 04/2006

[kol_2] Macht Laune: Tango entmystifiziert

Das Taxi hält. Ich bin angekommen. Angekommen an einem Ort, den ich bis zuletzt meiden wollte und es letztendlich nicht mehr durchhalten konnte. Mit weichen Knien steige ich aus und nähere mich dem Eingang, der mit einem großen, gelben Neonlichtschild einlädt: Tanguera. Milonga. Meine Freundinnen warten bereits auf mich und mir kommen dumpf die Bilder unseres ersten Tanzabends in den Sinn, der unter ganz anderen Vorzeichen stand. Ich war neu in Buenos Aires, hatte ordentlich einen in der Krone und es war mir daher ziemlich egal, mich vor allen Leuten zum Affen zu machen. Und: es handelte sich nicht um einen obligatorischen Partnertanz!

Die Damen versuchen mir sogleich das komplette Procedere zu erklären, aber fast apathisch nehme ich nur die Hälfte auf. Es riecht bereits nach Schweiß als die Eingangstür zurückschwingt und wir die erste Tanzfläche sehen. Hier tanzen die Paare mit Niveau vier, wird mir erklärt. Wir gehen also einen Stock tiefer und zu meinem Leidwesen muss ich feststellen, dass diese Tanzfläche fußballfeldartige Größe erreicht. Ich komme wohl nicht ungeschoren davon, schwant es mir in diesem Moment. Niveau eins bis drei, lächeln mir die Damen entgegen. Ja sagt mal, fehlt da nicht die Anfängerstufe null, wo auch Einbeinige und Hüftkranke ihr Glück versuchen können? Und es gibt sie tatsächlich nicht, wenn auch in der ersten Stufe mindestens noch die Hälfte eine weitere Unterteilung mehr als dringend gebraucht hätte. Allen voran natürlich ich selbst!



Die Damen begleiten mich zum Salsakreis, der schon in vollem Gange ist. "Da gehst Du jetzt einfach zu einer Frau und tanzt die Schritte mit. Wir selbst sind Stufe drei und sehen uns anschließend an der Bar." Da stehe ich also. Von meinen liebenswerten argentinischen Mentorinnen verlassen, außerhalb des Kreises verrückter Tanzwütiger, die sich von kubanischen Drill-Instruktoren in der Mitte die Anweisungen und den Takt vorgeben lassen. Alter Mann, da wirst Du wohl gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Ich fasse mir ein Herz, gehe zur nächsten Dame, murmle ein kurzes "Hola" und ehe ich überhaupt noch mit meinen Schritten beginnen kann, wird der Kreis aufgelöst und wir beklatschen uns gegenseitig für die gute erste Runde. Aber meine Hoffnung, dass wir nun ein kühles Bierchen an der Theke trinken könnten, zerschlägt sich sofort als der bemützte Kubaner die zweite Schrittfolge erklärt. Wie war doch gleich die erste?

Eine gewichtige Tanzgrazie packt mich kurzerhand am Arm und zieht mich zu sich hinüber. Himmel. Eins, zwei, drei - vier fünf sechs und ... wer führt hier eigentlich wen? Der Instruktor hat ein Einsehen mit meiner misslichen, um nicht zu sagen schraubstockähnlichen Situation und es kommt zum Partnerwechsel. Herrlich, das Mädchen vorne hat mir schon vorher zugelächelt - ich bin sicher, es lag an meinem unwiderstehlichen Hüftschwung - und sie kann auch sehr süß mit ihrem Po wackeln. Aber auch dieser Wunsch wird mir an diesem Abend verwehrt bleiben, denn der Partnertausch ist doppelt und die Frau mit dem Goldzahn und stärkerem Bartwuchs lächelt mir schon aufgeregt zu. Nun ja, wenigstens scheint sie nett zu sein und verzeiht mir auch, dass ich bei der dritten Schrittfolge beinahe kapituliere und ihr mehrfach mein Knie auf den Oberschenkel sausen lasse. Vielleicht ist es deshalb auch besser, dass ich die powackelnde Diva erst beim zwölften Partnerwechsel zugeteilt bekomme, so kann doch gewährleistet werden, dass nicht schon frühzeitig ein Krankenwagen gerufen werden muss. Wir beklatschen uns noch mal gegenseitig, wohl dass kein Tanzteilnehmer erhöhten Schaden genommen hat und ich tänzle lässig - so gut es eben geht - zur Theke und bestelle ein Bier.

Ah, da kommen ja auch die Mädels wieder, die mich vorher so unkollegial im Stich gelassen haben. Sie bestürmen mich mit allerlei mehr oder weniger rhetorischen Fragen. "Gut", sag ich kurz angebunden, "jetzt können wir einen trinken gehen, oder?" Hm, nein, jetzt kommt doch noch die Tangovorführung und anschließend Runde Nummer zwei mit den Grundschritten dieses anmutigen Tanzes. Auch hier kann ich mich nicht herausreden und nach der eröffnenden Tangoshow - die Vorführung ist wirklich sehenswert und macht richtig Lust auf Tango - geht es auch schon mit den Grundschritten los. Glücklicherweise beginnen hier Frauen und Männer getrennt, so dass ich zunächst nur meine maskulinen Mitopfer mit meinem Bewegungstalent beglücke. Klatsch, Klatsch und die Damen eilen herbei. Die erste freut sich sichtlich, einen so jungen, dynamischen "Alemán" zugeteilt zu bekommen und tatsächlich, sie tanzt schlechter als ich! Leider geht sie nach drei Runden schon wieder und ich "bekomme" eine wirklich kesse Engländerin mit High-Heels, schwarzem Abendkleid und tiefem Dekolleté. Mir bleibt die Spucke weg und ich unterhalte mich ein wenig, drehe sie mal hier, mal dort hin und steige ihr nicht einmal auf die Füße. Allerdings ist sie über meine Fortschritte nicht ganz so glücklich wie ich selbst und so kommt es auch nicht zu einem lockeren Gespräch, geschweige denn zu einem lockeren Tänzchen. Den Abschluss macht eine Dame aus Triest, mit der ich mich gut unterhalten kann, die nett ist und die mich in der Tat vergessen lässt, dass ich nebenher die Grundschritte des Tangos in Perfektion vollführe.

Dann ist die offizielle Tanznacht auch schon wieder vorbei. Meine Damen wollen beim anschließenden Erfrischungsgetränk wissen, wie es mir denn ergangen sei. Auf meine Nachfrage, warum bei der zuvor gezeigten Tangoshow niemand die Schritte tanzte, die ich gerade erlernen musste, bekam ich die lapidare Antwort: Beim Tango ist 100 Prozent improvisiert. Hätte mir das bloß mal jemand vorher gesagt.

Text: Andreas Dauerer
Foto: Sofia Prentki