caiman.de 03/2007

[kol_1] Grenzfall: Máscara Negra - Schwarze Maske

Ruhig war mein Carnaval. Ruhig wie die Lieder der CD ‘Pierrot e Colombina’ von Vânia Abreu und Marcelo Quintanilha. Die sich langsam bewegende schwarze Maske... und dem Harlekin gleich, habe ich gelitten. Ah! Pierrot... Carnaval in einer Stadt zu verbringen, die während der tollen Tage wie ausgestorben ist, deren Bars schließen, die Brust voller Einsamkeit. São Paulo hört auf zu schlagen, stoppt, erholt sich, man kann ja nicht immer alles machen. Die Geschäfte öffnen, wann sie wollen, die Straßen sind leergefegt, und lediglich die wenigen Jecken, die noch da sind, machen sich auf den Weg ins Sambódromo. Bis auf die Schaufensterpuppe, die an der ALE-Tankstelle an der Fradique Coutinho steht...

Dieser Typ?! Stets hat er den linken Arm hoch in die Luft gestreckt, genau wie im kompletten Jahr davor. Im Carnaval verändert er sich. Dann trägt er nicht seine gewöhnliche Uniform!


Schwarz-orange-silberne Nike-Turnschuhe, Surfer-Bermudas, ein Hawaiihemd und vollbehangen mit Schmuckacessoires... eine Havaianas-Halskette, gelbe Sonnenbrille Marke Rayban und der Hut einer Carnavalsschule. Er ist dermaßen eingestellt auf Carnaval, dass er sogar sein Namensschildchen umhängen hat. Braver Paulistano!

Und der Carnaval?

Wäre dieser Text anthropologisch, würde er soziologische Parameter ansetzen, so würde ich loslegen und über die für diesen Augenblick so typische Umkehrung der Werte erzählen. Aber mir bleibt nur die Poesie und der Klang der Stille, die mich so sehr quält: Philosophie. Der ganze Rest ist vollkommen auf den Kopf gestellt, mit den Füßen in den Himmel! Das machen übrigens alle, sowohl während des Carnavals als auch das ganze Jahr über. Aber nur während der tollen Tage akzeptiert man solch ein Benehmen.

Welch ein Kummer! Aus meiner Heimatstadt Salvador flimmert ein bisschen über die Mattscheibe. Ich rieche förmlich das Lavendelwasser, spüre die Energie, die von dieser Stadt ausgeht. Welche Lust hatte ich, Vânia und Daniela Mercury gemeinsam auf ihrem Trio Elétrico zu sehen. Frauen aus Bahia, genau wie ich. Gerne hätte ich ihre Augen inmitten der Menge gesehen. Ob sie wohl Wörter gesucht haben, die über die Bühne dahinschwebten? So oft schon habe ich dieser Szene als Zuschauer beigewohnt. Surreal. Salvador Dali... Vânia und die Menge, und sie sagt: Ich bin die Menge, ich habe alle CDs!

Augen. Spiegel des Inneren. Santo Amaro.

Und ich darf gar nicht erzählen, dass ich ohne Konfetti und Luftschlangen auskommen musste. Schlangen und Vipern. Welche Schande, nicht mal mein Kostüm habe ich übergezogen.

Alte Carnavals-Märsche habe ich gehört, Zeugen eines Carnavals, der niemals meiner war und den ich nie wollte. Ich habe ihn mir nicht gewünscht. Rumgesprungen bin ich, den Frevo hab ich getanzt und dazu Bier getrunken. Sogar die Hymne von Bahia habe ich gesungen! In der Kneipe Ó do Borogodó habe ich mich bei Musik aus Bahia etwas regeneriert, und anstandshalber bin ich noch hinter einem Wägelchen hergezockelt, einem alten Karren mit Stereoanlage. Mit Dodô und Osmar.

Aber das hatte alles nichts mit dem Umzug in Salvador gemeinsam, dort auf dem Corredor da Vitória und nichts mit dem Treffen der Musikwagen an der Praça Castro Alves. Und die Küstenstraße Avenida Oceânica war auch nicht da, genauso wenig wie der Leuchtturm, die Christusstatue, ohne den traditionellen Abschluss in Ondina... Steine, die schnarchen. In São Paulo ist alles in Quadraten angeordnet... quadratisch. Und ich ging durch die Sahara... a lá lá ô ô ô ô ô ô ô...

Schön wars, aber Kolumbine hab ich verloren. Und Harlekin glaubte wirklich, dass er jemals Kolumbine sein eigen nennen konnte? Es ist Carnaval! Es ist Carnaval und in den Sälen wird immer getanzt, ich tanzte, er auch.

Viele Menschen waren um uns herum, aber soweit ich auch blickte nach einem verlorenen Blick oder einem leuchtenden Flecken über meine linke Schulter hinweg, so habe ich doch nichts finden können.

Lediglich jener Wachmann, der mir schon von vorher vertraut war. Doch jeder ist seines eigenen Glückes Schmied - sieh zu, dass Du schnell Freunde gewinnst! Jener ist riesig und stark. Eine Stütze.

Die Feuerwerkskörper am Himmel, die die Menschen vergnügten, explodierten in meinem Kopf. Meine Taufe war das, ich lernte, etwas zu verlieren, ich verlor etwas, von dem ich dachte, dass es meins war. Niemals werde ich es wiederfinden, und ich will es noch nicht mal.... Wer Dokumente und Belege wünscht, der gehe gefälligst aufs Amt. "Nehmt es mir nicht übel, bitte, aber heute ist Carnaval."

Töne.
Soneten.
Reime.
Poesie.
Duete.
Trios.
Trio elétrico.

Der Februar ist vorbei, so schnell vorbei gegangen, 28 Tage. Februar und Carnaval, Carnaval und Februar. Alles, was gut ist, geht schnell vorüber. Aber ich will mehr! Zumindest die Pérola Negra, die Sambaschule unseres Viertels, ist nicht abgestiegen. Der Hund der Barbesitzerin direkt hier um die Ecke trinkt Bier. Er trinkt es wirklich. Ein jeder ist selber für seinen Rausch verantwortlich.

Besser als der Rausch nur der weibliche Clown, der mit den Kollegen durch die Menge zieht und ein Schild trägt: "Umarmung umsonst" Wie süß! Emotionen des Carnavals, einen Arm, der mich hielt, habe ich verloren. Dafür neue Verbindungen geknüpft. Es geht vorbei, alles geht vorüber, nichts ist für die Ewigkeit.

Es sieht so aus, als ob das Land tatsächlich beginne zu funktionieren. Wir sollten darauf vorbereitet sein, denn im nächsten Februar sind wir alle wieder hier beisammen. Und der Harlekin? Nun, lasst ihn uns mit nach Salvador nehmen!


Bitte wechseln Sie ihre Kostüme, aber nicht vergessen: benutzen Sie stets eine Maske!

Text: Ana Karina Rocha
Fotos: Thomas Milz