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[kol_2] Macht Laune: Zweimal Guarujá und zurück
Deutsch-Argentinisches Chaos in Brasilien

F. mag das Meer von Guarujá. So etwas gäbe es in Buenos Aires ja gar nicht, klagt er. So grün-blau, sauber und mit wunderbaren Wellen. Den Liegestuhl in die Brandung gestellt, vertieft in hochwissenschaftliche Lektüre. Ein Buch pro Tag im Durchschnitt, intellektuelle High-Speed-Verdauung. Egal ob in Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Französisch oder Englisch. F. überspringt locker alle Sprachbarrieren. Argentinier sind die Denker Südamerikas.

Alle paar Minuten wird die konzentrierte Ruhe durch ein kurzes Aufseufzen unterbrochen. "Oh my God", stößt er aus und schaut verträumt hinter den leicht bekleideten Brasilianerinnen her.


So etwas gäbe es in Buenos Aires ja gar nicht, klagt er. Solche Kurven, solch ein schwebend-schwingender Gang und so wenig Stoff auf der Haut.

Nach São Paulo kommt er immer mal wieder, um Persönlichkeiten der brasilianischen Fußballszene zu interviewen. Um dabei die Unwägbarkeiten und das verzwickte Kleingedruckte des brasilianischen Alltags zu umdribbeln, hat er sich die Dienste des Deutschen T. gesichert. Berühmt für teutonisches Organisationstalent, ein Felsen in der Brandung des lateinamerikanischen Chaos – wer, wenn nicht ein Deutscher, kann die Klippen des täglichen brasilianischen Wahnsinns umsteuern?

So wie letztes Jahr. Fast alles geregelt für die nächsten Tage - so konnte man sich getrost aufmachen an den zwei Stunden von São Paulo entfernten Strand von Guarujá. Das eigens dafür gekaufte Handy eingepackt, geht es los: "da rufen wir einfach von unterwegs aus an, um die letzten Absprachen zu treffen." Argentinischer Optimismus, strahlender Sonnenschein, ein Deutscher, der alle organisatorischen Fäden in der Hand hält - was sollte da schief gehen.

Kaum hatten sie die letzten Häuser São Paulos hinter sich gelassen, verdunkelte sich der Himmel plötzlich. Blitze zerrissen die Wolken, aus denen dicker Regen herabfiel. "Das kann ja in Guarujá ganz anders aussehen", beruhigte man sich gegenseitig. Zeit, das entscheidende Telefongespräch zu führen. Doch inmitten der Berge des Küstengebirges gab es keine Chance auf Empfang.



Das änderte sich auch während der nächsten zwei Stunden nicht, in denen der Bus im Stau festsaß. Als man dann endlich wieder ein Handynetz hatte, merkte man, dass der Zettel mit der Telefonnummer zuhause vergessen worden war. Zum Glück erwischte man noch jemanden daheim, der den Zettel fand und die Nummer durchgeben konnte. Nun besaß man aber kein Guthaben mehr auf dem Handy. "Deutsche Organisation war auch schon mal besser", schimpfte F. über die Schicksalsschläge.

In Guarujá angekommen konnte man zwar schnell eine Telefonkarte mit frischem Guthaben erwerben. Doch da war die schwache Handybatterie schon längst am Ende. Aber wozu gab es schließlich die klassische Telefonzelle am Straßenrand. So konnte doch noch alles in trockene Tücher gepackt werden. Zeit, zum Strand zu kommen, und den hatte man ganz alleine für sich. Wer will schon bei strömendem Regen an den Strand. Recht kalt war es mittlerweile auch. "Eigentlich mag ich Regenwetter ganz gerne", verbreitet F. seinen argentinischen Optimismus.

Dazu vermeintlich frische Shrimps mit Majonäsesauce am Strand. So etwas gäbe es in Buenos Aires ja gar nicht, klagt er. Die nächsten drei Tage verbrachte T. meist auf dem Klo, während F. kurzfristig ein Krankenhaus aufsuchte.

Dieses Jahr stehen die Vorzeichen besser. Keine anstehenden Telefongespräche, strahlendes Wetter, Shrimps mit Majonäse vermeidet man. Um dem traditionellen Wochenendverkehr zwischen São Paulo und Guarujá auszuweichen, fährt man in der Woche. So stellt F. seinen Liegestuhl schließlich in die Brandung und vertieft sich in hochwissenschaftliche Lektüre. Ein Buch pro Tag im Durchschnitt, wie gesagt. Trotz Wochentag quillt der Strand über vor Menschen. "Morgen ist ja Feiertag hier, da sind halt alle am Strand", klärt ein Eisverkäufer auf.

So verbringen die beiden die Stunden zwischen 19 Uhr und Mitternacht damit, ganz Guarujá nach einem Schlafplatz abzusuchen. Alles ausgebucht. Seit Wochen. So etwas gäbe es in Buenos Aires ja gar nicht, klagt F.. Dort, so sagt er, würde man immer ein freies Hotelzimmer finden.



Als man schließlich aufgibt und beschließt, nach São Paulo zurück zu kehren, fährt kein Bus mehr. "Wir nehmen die Fähre nach Santos, da gibt’s Hotels wie Sand am Meer", übernimmt T. die organisatorische Führung.

Doch auch Santos ist in den Händen ganzer Horden von Feiertagstouristen aus São Paulo. "Eigentlich mag ich Wandern ganz gerne", verbreitet T. seinen teutonischen Optimismus. Nach mittlerweile sieben Stunden Wanderung von einem ausgebuchten Hotel zum nächsten erntet er damit jedoch nur verärgerte argentinische Blicke. Auch der Notlösungsvorschlag, in einem Motel mit roten Zimmerlampen und rundem Doppelbett zu schlafen, scheitert an F.s Macho-Ego. "Eher schlafe ich am Strand als mit einem Deutschen im Motel!"

Doch das Glück lächelt doch noch, und man findet ein Hotelzimmer. "Es gibt so viele Deutsche mit hervorragendem Organisationstalent. Warum bin ich ausgerechnet mit einem unterwegs, der chaotischer als jeder Lateinamerikaner ist?", seufzt F..

Kein Einwohner Buenos Aires hat so etwas verdient. Schließlich bilden sie die Aristokratie Südamerikas. "Buenos Aires", so sagte einmal ein schlauer Poet, "ist die Hauptstadt eines Weltreichs, das niemals existiert hat."

Während Sie diesen Bericht lesen, sind die beiden wieder einmal irgendwo in Brasilien unterwegs, verwickelt im Kampf gegen die Unwegsamkeiten des alltäglichen Chaos. Wenn alles klappt, habe man anschließend noch zwei Tage zum Ausspannen übrig. "Dann können wir nach Guarujá an den Strand", schlägt F. vor. "Solch ein schönes Meer!"

Text: Thomas Milz
Fotos: F.