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[kol_4] Lauschrausch: Chilean Psychedelic Music trifft Fado

Der Fado einer Magierin
Mariza
Terra
EMI / Capitol
Es beginnt mit einer Überraschung: "Já me deixou" ("Nun hat sie mich verlassen"), der erste Titel auf Marizas neuem Album, klingt fröhlicher als ein "normaler" Fado. Aber er handelt ja auch davon, wie die Melancholie sie verlässt. Zudem wird das zweite Stück von spanischen Gitarrenklängen eingeleitet. Was ist passiert?

Mariza
Terra
EMI / capitol

Mariza hat während ihrer erst kurzen, aber steilen Karriere, seit ihrem Debutalbum im Jahre 2001, auf ihren Konzertreisen viele Länder und deren (Musik)Kulturen kennen gelernt und natürlich auch viele Musiker. Und diese Erfahrungen verarbeitet sie nun auf "Terra", dessen Titel sowohl für die Verwurzelung in ihrer Heimat stehen kann, aber eben auch für die weltweiten Einflüsse auf ihr musikalisches Schaffen. Die Internationalisierung ihres Fado beginnt mit der Auswahl des Produzenten, dem Flamencogitarristen Javier Limón, der einigen Stücken ein spanisches Flair aufdrückt, verstärkt durch die Percussion seines Landsmanns "El Piraña". Sie setzt sich fort in der Auswahl erstklassiger Gastmusiker aus Brasilien, Großbritannien, Kuba und von den Kapverden. "Beijo de Saudade" ("Melancholicher Kuss"), gesungen im Duett mit dem kapverdischen Sänger Tito Paris, klingt wie ein Stück aus einem Buena-Vista-Album. Und tatsächlich trägt die Morna, das kapverdische Gegenstück zum Fado, Charakterzüge des kubanischen Boleros. Der im Waschzettel gezogene Vergleich von Tito Paris mit Ibrahim Ferrer ist allerdings nicht nachvollziehbar.

Ein anderer Kubaner, der vielbeschäftigte Schlagzeuger Horacio "El Negro" Hernández, darf seine Kunst auf drei Titeln präsentieren, u.a. in "Tasco da Mouraria", der an das ärmliche Stadtviertel erinnert, in dem Mariza aufgewachsen ist. Die Erfahrung einer ärmlichen Jugend teilt sie mit der afro-hispanischen Sängerin Concha Buika, die mit gitanos aufwuchs, und deren rauchige Stimme im sehnsuchtsvollen Flamenco "Pequeñas verdades" eine perfekte Ergänzung zu Marizas trauriger Fado-Stimme darstellt. Aber die in Mosambik geborene Portugiesin kann auch anders, wie ihr fast schon fröhlicher Gesang in "Se eu mandasse nas palavras" zeigt.

Mariza, die neben vielen Musikpreisen als erste portugiesische Künstlerin eine Nominierung für den Latin-Grammy erhielt, sowie in ihrer Heimat einen Orden für ihre Verdienste um die Verbreitung der portugiesischen Kultur, hat auf "Terra" gleich einer Magierin Musik erschaffen (daher auch das geniale Cover), die zwischen Fado, Jazz und verschiedenen anderen Musikrichtungen der Welt pendelt und dabei aus allen das Beste vereint. Anhänger des traditionellen Fado brauchen sich aber keine Sorge machen. Mariza bleibt im tieftraurigen Genre verwurzelt, dafür sorgen schon die portugiesischen Texter und Komponisten, die für ihre leidende Gesangsstimme Zeilen voller Schmerz, Melancholie, Sehnsucht und Trauer verfasst haben: "Apagando a dor do fim, escondo-me num fado e canto" ("Den Schmerz des Endes auslöschend, verstecke ich mich in einem Fado und singe") singt Mariza in "Alma de vento".


Chile psychedelisch
Love, Peace and Poetry
Chilean Psychedelic Music
Normal QDK 049
Die wilden 60er und 70er: Bewußtseinserweiternde Drogen wie LSD waren in Mode und The Doors und andere lieferten den Soundtrack dazu. Kokablätter, Kakteen und Pilze mit halluzigener Wirkung wachsen in Lateinamerika in Reichweite und auch Rockmusik gibt es dort ab den 60ern reichlich. Trotzdem ist es weitestgehend unbekannt, dass auch in Lateinamerika eine Szene existierte, die sich der psychedelischen Musik widmete. Die Reihe "Love, Peace and Poetry" ermöglicht es uns, einen kleinen Einblick in diese Musik zu erhaschen.

Love, Peace and Poetry
Chilean Psychedelic Music
Normal QDK 049

Auf "Raza", dem zweiten Album der 2001 gegründeten Band, wechseln sich flotte Tanznummern mit eher folkloristischen Titeln ab. Jazzimprovisationen, vor allem der Bläser, ziehen sich durch alle Titel. In ihren Texten beschäftigt sich die Gruppe u.a. in einem ironischen Abgesang mit der Sehnsucht vieler Kolumbianer, in die USA auszuwandern zu "blonden Silikonmäuschen und Ferrarifahrern" ("El hueco") oder in "Calle 19" mit den alltäglichen Morden aufgrund des Bürgerkrieges und der Kriminalität. In dieser Straße in Bogotá trafen sich die Musiker übrigens zum ersten Mal zu Jam-Sessions. Mojarra Electrica produzieren einen interessanten und pulsierenden Stilmix, auch wenn manchmal die textlichen Endlosschleifen etwas nerven ("El hoyo negro").

"Love is the answer" lautet der Refrain bei Kissing Spell, die den Reigen von Psychoperlen eröffnen. Los Jaivas, später durch Protestlieder gegen Pinochet bekannt geworden, spielen einen psychedelischen „Albtraum“ wie aus der Frühzeit von Pink Floyd, während Aguaturbia eher funkige Klänge und ein Gestöhne à la Jane Birkin präsentieren.

Rockmusik saß in Chile lange Zeit zwischen den Stühlen: von der Linken als imperialistisch gebrandmarkt und von den Rechten als aussätzig verurteilt. Ein Wunder also, dass es trotzdem gelungen ist, Originalbänder oder Tonträger aufzutreiben, die nicht zerstört wurden (manchmal ist die Tonqualität entsprechend). Wie politisch psychedelische Musik sein kann, zeigen Los Mac's mit ihrem Song "La muerte de mi hermano", in dem ein Maschinengewehr erklingt. 17 Songs aus den Jahren 1967 bis 1974, die sowohl interessante Zeitzeugnisse darstellen, als auch gute Musik, die Spaß macht.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon

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