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[kol_2] Erlesen: Das Kloster von San Antón
Der geheimnisvolle Orden der Antonianer

Die Ehrfurcht gebietenden Ruinen, die heute als Bauernhof genutzt werden, überdachen wie in Puente la Reina mit ihrem Narthex (dem Vorhof gleich nach dem Eingangsportal) den Camino, der zur Straße geworden ist. Auf der Wand unmittelbar vor dem Narthex kann man das Wappen der Dauphiné, der Heimat der Ordensgründer, und unter dem überwölbten Vordach ein gotisches Portal erkennen. Hinter der Giebelwand der Grundmauer öffnet sich eine wunderbare Rosette, in der man Tau-Kreuze erahnt, die einen Kreis bilden. Das Ruinenensemble hilft uns, die Erinnerung an den legendären Orden wachzurufen, der das Kloster einst bewohnte.

Der Orden der Antonianer ist der Nachfolger der "Brüder vom Almosen" und wird zu Beginn des elften Jahrunderts von neun adeligen Rittern aus der französischen Dauphiné gegründet. Von Anbeginn des Ordens besteht seine Hauptaufgabe darin, die Überreste des Heiligen Antonius, des Einsiedlers aus Ägypten, zu suchen und die am Antoniusfeuer (ignis sacer) Erkrankten zu heilen und zu pflegen.


Bei ihren Wanderungen durch Ägypten stellen sie sich unter den Schutz der Heiligen Maria der Ägypterin (heilig und in die Mysterienweisheiten der alexandrinischen Schule eingeweiht) und kommen mit orientalischen Geheimkulten in Berührung. Deshalb sind es wahrscheinlich sie, die in der Tradition des Isiskultes die "Schwarzen Jungfrauen" einführen. Sie schaffen das Sinnbild des T (Tau) bereits hundert Jahre vor den Templern, breiten sich weit über die Dauphiné hinaus aus und treten in Kontakt mit dem Heiligen Römischen Reich, vor allem aber mit dem Deutschen Orden.

Bei dieser Expansion ist der Jakobsweg eines ihrer Hauptziele. Die Bewohner Nord- und Zentraleuropas, von einer sehr grausamen endemischen Form des Antoniusfeuers befallen, pilgern in Massen nach Santiago. Während ihres beschwerlichen Weges bitten sie die Patres des Heiligen Antonius, ihre Schmerzen zu lindern, indem sie mit der Spitze ihres Hirtenstabes in Form eines Taus ihre faulenden Gliedmaßen berühren. Die Brüder verteilen an die Kranken auch eine Art kleiner Skapuliere, die sie Tau nennen, und Brot und Wein, die bestimmten Ritualen, in welchen auch der Abtstab (natürlich in der Form eines Taus) eine Rolle spielt, unterzogen werden. Mitunter, wenn auch weniger häufig, verleihen sie gesegnete und mit dem Kreuz des Heiligen versehene Antonius-Glöckchen. Auf diese Weise bessert sich die Krankheit auf dem Weg nach Santiago, bis man sich, dort angekommen, vollständig geheilt sieht. Doch Jahre nach der Rückkehr der Pilger in ihre Heimat bricht die Krankheit erneut aus (zweifellos aufgrund einer neu begangenen Sünde) und verlangt nach einer neuerlichen Wallfahrt, die unweigerlich eine neue Heilung bringt. Womit wieder einmal die wundertätige Kraft des Apostels und des geheimnisvollen Ordens des Heiligen Antonius betont wird.

Jahrhunderte später, der Orden ist längst verschwunden, entdeckt die Wissenschaft, dass das Antoniusfeuer eine Gefäßkrankheit ist – heute Ergotismus (Mutterkornerkrankung) genannt – die durch den dauernden Konsum von Roggenbrot verursacht wird, das vom Mutterkornpilz (claviceps purpurea) befallen ist.  Vor allem die Bewohner der kalten Regionen Nordeuropas, für gewöhnlich Konsumenten von Roggenbrot, erkrankten an der durch den Pilz verursachten Gefäßverengung. Bei Umstellung ihrer Ernährung auf dem Weg durch mediterrane Gefilde, die vor allem Weizen produzierten und wo Weißbrot verzehrt wurde, gesundeten sie allmählich.

Natürlich neben der Placebo-Wunder-Wirkung des antonianischen Abtstabes.

Von den Antoniusbrüdern sagt man auch, dass sie, gemeinsam mit den Templern, Träger einer geheimnisvollen Überlieferung seien, die aber heute gänzlich verloren gegangen ist. Einige Autoren behaupten, dass nach dem Untergang der Templer die Klöster der Antoniusbrüder beauftragt wurden, unter strengster Geheimniswahrung deren fabelhafte und exotische Schätze zu bewahren.

Die Gründung des einfachen Klosters auf unserem Weg scheint auf Alfons VII. (1146) zurückzugehen; sein Verschwinden geschieht ebenfalls auf königliche Veranlassung. Karl III. erlässt 1789 eine Verordnung zur Auflösung des Ordens und 1791 wird der Konvent geschlossen. Fünfhundertfünfundvierzig prall gefüllte Jahre schweben über diesen verlassenen, mit den bekannten Zeichen der Steinmetze übersäten Steinen.

Zwischen Olmillos de Sasamón und Castrojeriz, jedoch außerhalb des Pilgerweges, liegt Villasandino, die Wiege von Antonio Álvarez, jenem Dichter von Schelmenromanen, der zwischen den Regierungszeiten Heinrichs II. und Johanns II. zeitweilig vom Hause Trastámara gefördert wurde. Seine Gedichte, strotzend von frecher Unbekümmertheit, füllen das Liederbuch von Baena:


Madam, sie können sicher sein,
dass die Verkommenen und Kessen
neun oder zehn Zoll messen
bei meinem Pinsel dick und fein.

Weil ich Herr von Logroño bin,
hab ich nichts anderes im Sinn
als vögeln eine stramme Fotze
mags Herbst sein oder Frühling.
Señora, sabed de cierto
que poderes bien a osadas
medir nueve o diez pulgadas
en mi mango grueso y yerto.

Por ser Señor de Logroño
non deseo otro provecho
si non foder coño estrecho
en estío o otoño.

Text: Juan Ramòn Corpas Mauleón (deutsch von Albert Weindl)
Fotos: Sabrina Glasbrenner, Willi Weindl



Juan Ramón Corpas Mauleón: Kuriositäten auf dem Jakobsweg, Deutsch von Albert Weindl, PanOptikum Verlag, Köln 2008, ISBN: 978-3-9812421-0-2, € 9,90

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Ein handliches Begleitbuch der besonderen Art: Geschichte, Überlieferungen und noch heute lebendige Legenden des bekanntesten Teilstücks des Jakobsweges, des so genannten Camino Francés zwischen Pyrenäen und Finisterre.

Der in Estella gebürtige Autor ist ein ausgewiesener Kenner des Jakobsweges und veröffentlichte zahlreiche, mit Preisen ausgezeichnete Werke zum Jakobsweg und zur Geschichte und Kultur Navarras. Er war Mitarbeiter bei verschiedenen Literaturzeitschriften, übernahm 1999 die Generaldirektion des Kultusministeriums Navarras (Cultura-Institución Principe de Viana) und wechselte 2003 als Minister an die Spitze des Ministeriums, ein Amt, das er bis heute innehat.

Sein Buch "Curiosidades del Camino de Santiago" erschien 1992 erstmals in Spanien und wurde 1993 und 2004 neu aufgelegt.

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