ed 02/2008 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [forum] / [archiv: ausgaben / länder / kolumnen]


[kol_3] Grenzfall: Der starke Bolívar
Währungsreform in Venezuela zum 1. Januar 2008

Wie viel ist das?
50!
Ja. Aber wie viel ist das?

Obwohl wir erst den 10. Januar schreiben und die Währungsumstellung gerade einmal vor anderthalb Wochen in Kraft getreten ist, erwischt mich die Frage kalt. Dann dämmert es: 50.000!
Aha! Nimm. Der Taxifahrer drückt mir einen 20.000er Schein in die Hand, hält sich damit an den vereinbarten Preis und fährt ohne weitere Diskussion davon.

Ansonsten wurden die neuen Geldscheine – man kann sie designtechnisch durchaus als gelungen bezeichnen –, problemlos in den täglichen Handel integriert. Nur bei Bankgeschäften, vor allem bei Einlösung eines Schecks, ist Vorsicht geboten und Nachzählen angeraten, da der Umgang mit den Nullen von einigen Schaltermitarbeitern etwas lax gehandhabt wird. So klopften die beteiligten Fachkräfte nach der abendlichen Abrechnung dann und wann an die Tür der Klienten, um verlustiert gegangene Nullen wieder heimzuholen.

Wirft man nun einen Blick auf die eigentliche Währungsreform, so wird man schnell gewahr, dass ihr einziger Sinn darin besteht, der seit 2005 festgesetzten Währung drei Nullen (000) zu nehmen. Statt 2150 Bolivares (Bs.) für einen US-$ erhält man nun 2,15 Bs. Fuertes. Bei einer Inflation, die mit 20 Prozent pro Jahr angegeben wird und in Bereichen des täglichen Verköstigungsbedarfs weit höher liegt, hätte es eventuell zusätzlicher Maßnahmen bedurft. Etwa eine Freisetzung des Bolivar Fuerte oder eine Bindung an – wenn schon nicht den Euro – vielleicht den chinesischen Renminbi oder den kubanischen Peso convertible (den für die Touris).



So wird der Schwarzmarkt, das wilde Wechseln ausländischer Währungen zu Kursen, die mitunter über dem Doppelten des Schalterkurses liegen, weiter blühen. Das Tauschen außerhalb des staatlich kontrollierten Sektors ist selbstverständlich verboten. Trotzdem wird man die paar Meter zum Taxi nach der Ankunft am Flughafen kaum zurücklegen können, ohne mehrere Angebote von fliegenden Wechslern zu erhalten. Ob ein illegales Wechseln bereits zu diesem Zeitpunkt Sinn macht, soll für einen kurzen Moment hinten angestellt werden.

Venezuela ist kein typisches Backpacker-Land. Der Tourismus konzentriert sich auf bestimmte Gebiete und ist außerhalb dieser bisweilen gefährlich. Ein romantisch argloses in den Bus steigen, ohne sich über das Ziel informiert zu haben, birgt selten positive Überraschungen. Trotzdem kann Venezuela problemlos auf eigene Faust bereist werden. Dies sollte aber mit ein paar Vorabinformationen eingeleitet werden. Abgesehen von den klassischen rucksacktouristenfeindlichen, geführten Touren – für Venezuelaurlauber aber unabdingbar – kann beispielsweise bei Betreibern von Unterkünften oder Anbietern von Touren das Wechselkursgebaren erfragt werden.

Der Wechselkurs auf dem Mercado Negro unterliegt eigenen Gesetzen. Ein Steigen und Fallen ist für den Reisenden meist nicht nachvollziehbar. Einfach gesagt, bestimmt die Nachfrage den Preis. In den nationalen Ferienzeiten haben potentielle Käufer von Devisen möglicherweise ihre reichlich Gewinn abwerfenden Einzelhandelgewerbe für ein bis vier Wochen geschlossen. In dieser Zeit kommen keine Bs. in die Kasse, mit denen man Dollar ankaufen könnte. Der Preis kann also in solchen Zeiten rapide fallen.

Lokale Vielwechsler sind von solchen Schwankungen wesentlich mehr betroffen als Seltenwechsler. So kann es passieren, dass mancherorts ein wesentlich höherer Kurs angeboten wird, weil der Wechsler den Abfall des Kurses noch gar nicht mitgeschnitten hat. Abgesehen von politischen Entscheidungen oder verbalen Attacken oder gar bevorstehenden Wahlen oder Referenden soll das Beispiel die Bandbreite des schwarzen Wechsleralltags exemplarisch verdeutlichen.

Zurück zum Flughafen. Finger weg von der fliegenden Wechslerei, da heißes Pflaster! Ja, es gab schon Überfälle und es gibt reihenweise Betrug. Wobei Betrug das kleinere Übel ist. Wie überall auf der Welt zählen die Wechsler schneller und versteckter und verzählen sich nie zu ihren Ungunsten. Und sie sind schneller weg, als dass man den Betrug nachzählen könnte. Aber selbst wenn der Deal korrekt ablaufen sollte, der Kurs wird zu wünschen übrig lassen.

Abschließend daher einen Hinweis vor allem für US-amerikanischen Reisenden, denn das dämlichste Beispiel eines schwarzwechselnden Touristen kommt aus dem nordamerikanischen Raum, aus einer Gegend, in der für jeden händlerischen Transfer der Geschäftsführer herbeizitiert wird – zumindest aber ein Manager, wobei dieser Begriff inflationärere Züge in den USA angenommen hat, als die Teuerungsrate in Venezuela darstellt. In einer Zeit also, als der Schwarzmarktkurs das Doppelte des offiziellen Kurses (also 2 x 2150 Bs.) überschritten hatte, bot der Fliegende der Frischgelandeten 2000 Bs. für einen Dollar an. Diese akzeptierte nicht nur, sondern befand den Kurs so attraktiv, dass sie ihre gesamten US-Dollar auf einen Schlag eintauschte. Möge uns wer auch immer vor der Dummheit der Bush-Wähler auf ewig bewahren.

Text + Fotos: Anna Conda

[druckversion ed 02/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: venezuela]


© caiman.de: [impressum] / [disclaimer] / [datenschutz] / [kontakt]