caiman.de 02/2005

[kol_2] Grenzfall: Das Schwein von Aloria

Als eine Art Reisekleingruppe oder auch kleine Reisegruppe fuhren wir ins schöne Baskenland in ein beschauliches Dorf Namens Aloria. Dieser Ort umfasst vier Häuser und trägt mit Recht die Bezeichnung Dorf, da das Zentrum eine winzige aus Stein gebaute Kirche ziert.

Wir fuhren nicht ohne Grund dorthin, besitzt doch ein Teil unserer Gruppe dort Familie. Dieser Zweig bewohnt exakt zwei Häuser. Wobei eines der Häuser einer näheren Beschreibung bedarf, da es über einen gewissen Charme verfügt.

Es erinnert im unteren Teil an asiatische Stelzenhäuser, deren Erdgeschosse von Wasser umspült werden, nur dass es hier kein Wasser gibt. So wird das Erdgeschoss zum Heim für Kühe, Schweine, Hühner; und erst der erste Stock dient als Wohnraum für den Menschen. Dieser Teil erinnert in gewisser Weise an eine Art Fachwerkhaus.

Ansonsten ist diese kleine Häuseransammlung von Wiesen und Feldern umschlossen und es könnte das Gefühl aufkommen, dass hier die Welt noch in Ordnung ist, wenn es während unseres Besuches nicht konstant genieselt hätte. Ein Regen, der niemals wirklich verwässert, sondern eher eine ständige Feuchtigkeit und ein klammes Gefühl hinterlässt.

Wir erreichten den Ort gutgelaunt und fröhlich trotz des schlechten Wetters. Und es folgte die Begrüßung, eine längere Zeremonie, die jeder kennt, der Großfamilie besitzt.

Und jeder, der Spanien kennt und dort Großfamilie besitzt, ist eingeweiht in das nie endende Ritual. Sollte man es nach einiger Zeit vergessen haben, weil die Atmosphäre so gut ist oder aus anderen Gründen, dann fällt es einem bestimmt beim Abschiedszeremonie wieder ein.

Wir wurden über den Hof in das Speisehaus geführt. Es wurde geredet, getrunken, gegessen und gegessen – nur unterbrochen durch den Besuch der Mittagsmesse in der vier Schritte entfernten Kirche - bis zu dem Anruf, dem Anruf, der unser Leben, wenn nicht verändern, so doch prägen sollte. Die Häusergruppe neben unserer Häusergruppe fragte an, ob die Männer kommen könnten und helfen würden ihr Schwein zu schlachten. Man stimmte zu und fragte in die Runde, ob es sich jemand anschauen wolle. Im Nachhinein glaube ich, dass es sich dabei mehr um eine rhetorische Frage, denn um ein ernst gemeintes Angebot handelte. Ich, nicht mutlos, sprang von meinem Stuhl auf, claro que sí, yo quiero. Stille, die Köpfe drehten sich zu mir, lächelten, ich lächelte auch, noch! Mich begleiteten zwei unserer Gruppe und der männliche Teil unserer Gastgeber.

Wir fuhren los und erreichten den Hof in wenigen Minuten. Bei unserer Ankunft warteten sechs weitere Männer auf uns, so dass nun zehn starke Männer angetreten waren um ein Schwein zu schlachten. Ich schaute in die Runde und dachte so bei mir, die werden schon wissen, was sie tun. Und als ich diese riesige Sau sah, wusste ich, diese Leute wissen wahrhaftig, was sie tun.

Die Männer packten das Tier, hievten es auf eine Bank, fesselten die Hinter- und Vorderläufe. Das Schwein quiekte, grunzte und wehrte sich vergeblich. Ich stand da und hatte Mitleid, dabei statt mir das Schlimmste noch bevor. In mitten der zehn starken Kerle stand eine kleine alte Frau, einen Eimer in den Händen. Die Haus- und Hofherrin. Als das Schwein endlich gebändigt war - gefesselt konnte es nur noch quieken - stellte sie den Eimer unter die Kehle der Sau. In gebückter Haltung gab sie das Kommando.

Ein älterer Herr, stark, groß - wohl nicht ihr Mann, dennoch einer, der das Sagen hatte, vielleicht ihr Sohn - trat vor, das Messer griffbereit. Er setzte die Spitze an die Kehle der Sau, stach zu und hinterließ einen zwanzig Zentimeter langen Schnitt.

Das Blut schoss heraus, direkt in den Eimer. Die Frau rührte mit einem Holzstab, was das Zeug hielt. Die Sau grunzte, quiekte, zerrte, strampelte und mir wich die Farbe aus dem Gesicht. Nach einiger Zeit schnaufte die Sau nur noch, wehrte sich mit sichtlich nachlassender Kraft, das Blut sprudelte weiter in den Eimer, die Frau rührte unermüdlich.

Ein letztes Schnauben, Aufbäumen und das Tier war tot. Die Männer beugten und streckten die Beine der Sau, damit auch der letzte Tropfen Blut herausläuft. Dann war alles vorbei. Es nieselte und nieselte, guter Tag zum Sterben.

Der Kadaver wurde herunter gehievt und auf den Boden gelegt, trockenes Farngras darüber gehäuft und angezündet um die Borsten abzufackeln. Danach wurden die Haut abgeschabt, die Hufe abgetrennt, die Zitzen abgeschnitten. Die Zunge hing dem Tier aus dem Maul, blaulila verfärbt. Dann wurde die Sau mit Hilfe eines Flaschenzuges aufgehängt, der Länge nach aufgeschnitten, all ihrer Organe beraubt, völlig ausgehöhlt. Sie schnitten ihr die Ohren ab, stemmten ihr zum Austrocknen Holzpflöcke zwischen die Schinkenteile und fertig.

Aus dem Nebenraum drangen Grunzgeräusche, letztes Trauergrunzen der Kollegen für einen gerade verschiedenen. Das Ganze hatte weniger als zwei Stunden gedauert, bleibt aber ein Leben lang im Gedächtnis haften.

Text: Birgit Schönauer
Fotos: Camila Uzquiano

Hier kommt ihr zum Schlachtfest (Bildergalerie):


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