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[art_4] Argentinien: Gedanken am Wasser

Ich weine. Es ist ein erneutes Abschiednehmen von meiner Stadt Buenos Aires und ihren Bewohnern. Und von meinen Freunden, die ich für längere Zeit nicht sehen werde. Am Abschiedstag besuche ich noch schnell die wichtigsten. Auf einen kurzen Plausch bei einem Schnitzel und Bier. Und da überfällt mich dann wieder dieses Gefühl von Hilflosigkeit. Gerade wenn ich daran denke, dass ich in ein paar Stunden für schlappe 16 Stunden im Bus sitzen und nach Iguazú fahren werde. Da schweifen meine Gedanken gelegentlich ab. Wie schön es wäre, eine Handvoll von meinen Porteños in Europa zu sehen.

Aber das ist Zukunftsmusik und wir leben schließlich im Jetzt. Irgendwann wird es klappen, da bin ich mir sicher. Irgendwann... Als ich schon im Bus sitze, erhalte ich eine letzte SMS und mit ihr werden meine Augen wieder feucht. "Chau hermano! Ayer te quise llamar xo no había señal en el reci. Volve pronto, te voy a extrañar. BUEN VIAJE. Un abrazo! :)"

In solchen Situationen frage ich mich immer, warum ich teilweise so nah am Wasser gebaut bin und warum man in anderen Ländern immer herzlicher mit den Formulierungen umgeht. Und wahrscheinlich ist es gerade das, was mich immer wieder nach Buenos Aires zurückkehren lassen wird. Die Stadt und das große Land übten schon seit meiner ersten Reise nach Argentinien einen ganz eigenen Reiz auf mich aus. Und das Schlimme daran: dieser Reiz hält mich noch immer gefangen und schnürt mich immer fester ein, so dass das Fernweh mein ständiger Begleiter wurde.




"Was ist los?", fragt mein Nachbar irritiert. Es würde zu weit führen, alles zu erklären, denke ich bei mir. "No te preocupes." Auch ich flüchte mich in argentinische Phrasen. Viel geht mir durch den Kopf, als wir durch die Nacht fahren. Das schlechte Essen, das hier im Bus serviert wird, tut sein Übriges dazu, dass ich bald in einen unruhigen Schlaf falle, aus dem ich erst um sieben Uhr morgens wieder erwache. Dann sind auch die Tränen getrocknet und mein Kopf frei für neue Dinge. Wir sind in Iguazú, dem Ort der berühmtesten Wasserfälle in Lateinamerika. Wenn es nach den Argentinos geht, auch der Welt. Da ich selbst aber noch nie an den Niagara Fällen war, erspare ich mir ein Urteil.

Iguazú also. Das gleichnamige Städtchen im Dreiländereck Argentinien, Brasilien und Paraguay gäbe es wahrscheinlich in seiner Form noch nicht einmal, wenn das Naturschauspiel der Extraklasse nicht zunehmend Touristen aus der ganzen Welt anlocken würde.

Und in den letzten vier Jahren hat sich hier kaum etwas verändert. Die Luft ist feucht, der Boden rot wie eh und je und meine Kleidung binnen 10 Minuten durchgeschwitzt und dreckig. Dazwischen gesellen sich viele englischsprechende Sandalengesichter, die durch die fünf verschiedenen Straßen hetzen.

Doña Maria, die Chefin unseres Hostals, wo wir gerade einchecken, sieht mitgenommen aus. Sie scheint irgendwie keine Lust auf noch mehr Ausländer - und Arbeit - zu haben. Ihre Laune hebt sich immerhin, als ich schließlich versuche, die exorbitant teuren Zimmerpreise ein wenig zu drücken. Am Ende haben wir so beide etwas vom Tage. Allerdings muss ich gestehen, dass Ihr Anteil doch weit höher liegt, denn unser Doppelzimmer ist ein dunkles feuchtes Loch mit löchrigem Bettzeug. Egal, wir sind ja nur zwei Nächte hier und dann geht es weiter in Richtung Brasilien. Hauptsache die Mücken quälen uns nicht die ganze Nacht.



Der Tag in Iguazú neigt sich bereits dem Ende zu, eher er richtig angefangen hat. In dem Ort ist nicht viel zu tun, außer sich morgens die etwa 20 Kilometer zu den Wasserfällen hinaus und abends wieder nach Hause karren zu lassen. Immerhin gibt es standesgemäß ein paar Geschäfte, in denen die vergesslichen Ausländer noch kitschig-teure Mitbringsel für die Daheimgebliebenen erstehen können. Und Möglichkeiten, um ein bisschen was zu essen gibt es auch immer. Empfehlenswert ist in jedem Falle der kleine kiosko stadtauswärts, bei dem es vorzügliche Panchos gibt und das Ambiente mehr als ehrlich ist. McDonald’s könnte sich glatt eine Scheibe abschneiden. Und die Hamburguesas sind eine Wucht. Fetttriefend, aber so lecker, dass man schon beim zweiten ist, ehe man den ersten überhaupt wissentlich verdaut hat. Es gibt halt auch im kleinsten Kaff etwas zu entdecken.

Nach einer zwar mückenfreien, aber mit zahlreiche Kakerlaken in der Toilette verbrachten Nacht, geht es mit dem Bus endlich hinaus zu den Wasserfällen. Die Argentinier-Quote sinkt auf geschätzte drei Prozent und wird nur noch durch Fahrer und Kontrolleur bedient, was der Stimmung allerdings keinen Abbruch tut. Auch sind wir gespannt, wie reichlich denn das Wasser fließt. Die letzten Tage und Wochen hat es in der Region Missiones viel geregnet. Und ja, es ist ein Spektakel. Man begibt sich auf die kleinen, gut ausgebauten Wege und kommt zum Greifen nahe an die Wasserfälle heran.

Ein weiteres Highlight neben den unendlich vielen Rinnsalen und stürzenden Bächen ist die Fauna. Genauer gesagt Schmetterlinge. Sie begleiten uns den gesamten Tag rund um die Wasserfälle und scheinen ebenso zufrieden zu sein wie die Besucher.

Als krönenden Abschluss haben wir uns die Garganta del Diablo aufgehoben. Der Teufelsschlund ist das Highlight auf argentinischer Seite. Erst überquert man unter sengender Mittagssonne (wir sind schließlich ebenfalls Touristen) auf einem Steg den Fluss, der plötzlich aufreißt und das Wasser 30 Meter in die Tiefe stürzen lässt. Blickt man nach unten, wird man beinahe enttäuscht. Außer einer großen weißen Wasserwolke erkennt man nicht viel. Weitaus beeindruckender ist es, wenn man auf einer der Plattformen steht und nur noch durch das Gitter von den hinunterstürzenden Wassermassen getrennt ist. Insgeheim betet man dann, dass wenigstens hier das Laissez-Faire der Latinos nicht bis aufs Äußerste betrieben wird und man den Blick über das halb argentinische und halb brasilianische Wasserschauspiel genießen kann.

Nachdem wir uns schließlich erfolgreich dem doch recht aufdringlichen Fotografen erwehrt haben, geht es den langen Weg zurück über die Stege.

Jetzt sind wir froh, dass es warm ist, denn wir sind von der Garganta ordentlich durchnässt und brauchen erst mal einen Kaffee, ehe wir den Rückweg ins Kakerlaken-Hostal antreten können. Begleitet von einer Traube Schmetterlingen und unbeschreibbar feuchten Eindrücken.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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