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[art_1] Peru: Umzingelt im Urwald
Die Ashaninkas im Selva Central

Die Ashaninkas haben wie keine andere Volksgruppe in Peru unter dem Guerillakrieg des Leuchtenden Pfades (1980 bis 2000) gelitten. Zwischen 5000 und 6000 Ashaninkas sind in dieser Zeit ums Leben gekommen - etwa 10% der gesamten Stammespopulation. Ihr Gebiet im peruanischen Urwald diente als Rückzugsraum für die aus dem Hochland kommenden maoistischen Kämpfer des Leuchtenden Pfades.

Hier in der unendlichen Weite des dichten Urwaldes versteckten sie sich vor dem Militär. Oftmals wurden die Einwohner ganzer Indianerdörfer von ihnen verschleppt, um als lebende Schutzschilde herzuhalten. Während die erwachsenen Geiseln unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten mussten, unterzogen die Guerilleros die Kinder der Ashaninkas einer Gehirnwäsche, um sie zu Kämpfern auszubilden.


Auch heute noch, sechs Jahre nach dem offiziellen Ende des Guerillakrieges, gelten etwa 600 Ashaninkas als verschollen. Die im Urwald versprengten Überreste des "Leuchtenden Pfades" halten immer noch viele Indianer als Gefangene und terrorisieren ganze Landstriche. Sie verdingen sich als Söldner für die Tropenholzmafia und, besonders im Gebiet des Rio Ene-Apurimac und des Huallaga, für die Drogenhändler. Angeblich stammen bereits 30% des weltweiten Kokains aus dem peruanischen Dschungel.

Dr. Luis César Maury Parra, Vertreter des peruanischen Innenministeriums in der Stadt Satipo, im Distrikt Selva Central, hat wenig Hoffnung auf Besserung. "Weiter nördlich, in der Gegend um Iquitos, ist es noch schlimmer. Es ist praktisch unmöglich, dieses Gebiet zu kontrollieren. Es ist die Hölle."


Offiziell gehört das Land hier den Ashaninkas. Doch es fehlt oft an registrierten Landmarkierungen, und selbst dort, wo es sie gibt, gelten sie nicht viel. Siedler aus dem Hochland lassen sich auf Ashaninka-Land nieder - eine ständige Quelle bewaffneter Auseinandersetzungen. Zudem hat die Regierung Bohrlizenzen an internationale Ölfirmen vergeben - auf Land, das eigentlich den Ashaninkas gehört.

Und nirgends ist wirkliche Hilfe in Sicht. Zwar sind die um Satipo gelegenen Militärkasernen mit flotten Sprüchen wie "La guerra es hoy - Der Krieg ist heute" bepinselt. Doch wirklichen Schutz für die Indígenas scheint dies nicht zu bringen. So versuchen die Ashaninkas, sich selbst zu helfen. Sie haben sich mit alten Gewehren bewaffnet und in ihren Gebieten Flusswachen aufgestellt.


Von Perus Regierung im fernen Lima haben die Ashaninkas auch sonst nicht viel Hilfe zu erwarten. Wenig Geld kommt für Infrastruktur, Gesundheit und Erziehung hier an. Lima schickt Lehrer aus dem Andenhochland in den Urwald, doch viele Ashaninkas sprechen weder Spanisch noch Quechua, die Sprache der Hochlandbewohner. So kommt es zu wenig fruchtbaren Begegnungen der Indígenas mit den abkommandierten Lehrern.

Zwar erkennt die von der peruanischen Regierung zur Aufklärung der Gräueltaten während des Guerillakrieges eingesetzte "Wahrheitskommission" das überproportionale Leiden der Ashaninkas offiziell an - Anspruch auf Entschädigung haben die Ashaninkas aber nicht. Anders als die Angehörigen der restlichen 65000 Toten des Guerillakrieges, für die bereits 100 Millionen Dollar an Entschädigungszahlungen bereitgestellt sind.

Denn in den unzugänglichen Urwaldgegenden fehlt es an gesicherten Daten über die Verschwundenen, gibt es keine Wohn- und Geburtsregister der Toten. Schlechte Karten für die Ashaninkas.


Stellungnahme
Salomon Lerner, ehemaliger Präsidenten der Wahrheitskommission der peruanischen Regierung, zur Situation der Ashaninkas:

"Es stellt sich die Frage, was für die Ashaninkas getan werden kann, die etwa 10% ihrer Stammesangehörigen verloren haben? Eine Lösung der mit dieser Frage zusammenhängenden Probleme sollte vom "Nationalen Rat für Entschädigungen" und von ministerialen Gremien auf höchster Ebene kommen. Denn die Ashaninkas haben in höchstem Maße in diesem Konflikt gelitten. So sehr, dass man meiner Meinung nach von einem Völkermord sprechen kann, verübt vom Leuchtenden Pfad. Deshalb sollten die zuständigen Behörden mit besonderem Augenmerk die Daten der Opfer unter den Ashaninkas erheben.

Aber diese Aufgabe ist nicht einfach. Die Ashaninkas haben einen Organisationsgrad, der nicht mit dem uns bekannten zu vergleichen ist. Das verlangt also besondere Anstrengungen.

In diesem Fall müssen wir wohl auf kollektive Entschädigungen besonderes Gewicht legen, ohne allerdings individuelle Entschädigungen ganz auszuschließen.

Die Ashaninkas sind selbst heute noch bedroht. Es gibt Gruppen, die versuchen, sie aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben. Zum Beispiel die Holzmafia. Für die Ashaninkas sind die Probleme noch längst nicht zu Ende."

Die Wahrheitskommission hat in ihrem im August 2003 vorgelegten Abschlussbericht über die in der Zeit von 1980 bis 2000 vom Leuchtenden Pfad und dem Militär begangenen Gräueltaten die Zahl der Getöteten mit insgesamt 70000 angegeben.

Text + Fotos: Thomas Milz