Venezuela - Catatumbo Delta und Maracaibo-See
Naivität trifft auf Natur
Regen und Wind peitschen uns ins Gesicht. So gut wir können, versuchen wir Schutz unter einer der drei überdachten Hütten zu finden, die sich um die Anlegestelle von Puerto Concha gruppieren. Mit uns hoffen 20 bis 30 Fischer auf besseres Wetter. Anscheinend hegen sie diese Hoffnung schon seit dem frühen Morgen, denn der Alkoholgehalt im Blut der meisten scheint enorm zu sein. Auf penetrante Art und Weise sucht einer der Kollegen immer wieder das Gespräch mit uns, doch wir blocken ab. Selbstverständlich freundlich lächelnd, trägt die Hälfte seiner Kollegen doch die Waffe offen am Gürtel. Nach einer Stunde ist die Situation dann dermaßen angespannt, dass wir beschließen, trotz des Regens die Überfahrt zu wagen.
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Wir befinden uns im Catatumbo Delta im Norden Venezuelas, genauer gesagt am Maracaibo See, dem mit 120 Kilometern Länge und 50 Kilometern Breite größten Südamerikas. Hier an der Südseite bündelt er 124 verschiedene Flüsse auf ihrem Weg ins Meer. Uns erwartet ein Labyrinth aus mehr oder weniger gut befahrbaren Seitenarmen.
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Im Vorfeld haben wir uns mit einem der Bootsführer auf Preis und Zeitpunkt geeinigt. Trotz des Wolkenbruchs geben wir ihm Bescheid, das Boot startklar zu machen. Man sieht ihn wenig begeistert, um so mehr als er der Unmengen an Gepäck gewahr wird, die wir an den Steg schleppen. Eigentlich sind wir alle nur mit einer kleinen Tasche unterwegs. Das gilt jedoch nicht für die drei kleinen Kinder zwischen 1 und 3 Jahren, die uns begleiten. Mütter mögen mir meine Naivität verzeihen. Ich reise halt selten mit meinem Bett, 5 Kilo Windeln, Kleidung für jede Tages- und Nachtzeit sowie Lebens- bzw. Genussmitteln für jede Gemütslage. So ähnlich denkt auch unser Freund, der nicht sehr glücklich wirkt als unsere Gruppe, vor sich Berge von Gepäck und Betten, seiner Hilfe beim Beladen des Bootes harrt.
Ich freue mich auf die viel gepriesene Tier- und Vogelwelt; auf Caimane, Delfine, Brüllaffen, Pelikane, Reiher, Ibisse usw. Die halbstündige Fahrt führt uns durch eine sagenhafte Natur. Die Flussarme sind vollkommen bedeckt mit einer mir unbekannten Seerosenart und wir haben das Gefühl, über einen grünen Teppich zu schweben. Leider hindert mich die im vorhinein getroffene Aufgabenverteilung, den Rest dieses wunderbaren Stücks Erde zu genießen. Planen müssen fixiert und süße Stammhalter vor den Naturgewalten beschützt werden. Ich habe alle Hände voll zu tun; und das mit einem Minimum an Bewegungsfreiheit. Glücklicherweise erbarmen sich nach 10 Minuten die Insassen eines vorbei kommenden Bootes, drei von uns zu übernehmen. Nun verfügen wir über etwas mehr Platz, um unserer jugendlichen Zukunft ein angenehmes Wochenende zu bereiten.
Als wir wenig später unsere Unterkunft erreichen, erblicken wir zwei Pärchen in Hängematten miteinander turtelnd. In dem Moment als wir in voller Besetzung die Pfahlhütte betreten, überkommt mich das Gefühl, ihr kleines Glück vollkommen zu zerstören. Abneigung verdüstert ihre Gesichtszüge, doch für Sensibilität bleibt keine Zeit.
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Nachdem wir alles ausgeladen und die komplette Hütte bis auf den einzigen abgetrennten, da geschlossenen Raum, in Beschlag genommen haben, besteigen wir erneut unser Gefährt (dessen Geräumigkeit, nun da ich Hände und Füße zur freien Verfügung habe, mich tief beeindruckt) und unternehmen einen Ausflug zu den Schlafplätzen unserer geflügelten Freunde. Ein selten beeindruckendes Erlebnis. Es ist Wahnsinn, aus dem Boot heraus zu beobachten, wie Tausende Vögel unter höllischem Lärm von ihren Tagesausflügen zurückkehren. Man sieht sie von allen Seiten im Formationsflug vor dem beinahe schon kitschigen Hintergrund der Abenddämmerung auf ihre Schlafplätze zu segeln.
Der See selber verfügt übrigens über äußerst angenehme Temperaturen. Ausgiebiges Schwimmen ist daher zu empfehlen; sofern man keine Angst vor Caimanen hat (ich persönlich betrachte sie als Freund und Lebenswerk). Uns jedoch treibt auf dem Rückweg der Hunger zu unseren Hängematten. Von den beiden Pärchen keine Spur und ich denke bei mir, dass sie wohl heimlich das Wochenende abgebrochen haben. Aber dem ist nicht so. Nachts bemerken wir zufällig, wie jeweils einer der beiden Venezolaner vor der Tür des oben erwähnten Raumes der Dinge harrt, die da auf ihn zukommen sollen.
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Am nächsten Morgen finden wir unsere beiden Liebhaber in (für mich ein wenig) überraschend schlechter Laune vor. Ich verstehe nicht, warum; ich stecke immer noch im Würgegriff meiner Naivität.
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Erst als die beiden hübschen Venezolanerin ihre kompletten Schminkutensilien vor uns ausbreiten, um sich auf den Sonntag vorzubereiten, und wir mittendrin zwei großkalibrige Waffen entdecken, fällt bei mir der Groschen: Prostituierte. Wahrscheinlich haben sich die Jungs den ganzen Monat auf diese Nacht gefreut, sich das Essen vom Mund abgespart in freudiger Erwartung auf ein paar einzigartige Stunden; und dann tauchen sieben Touristen und ihre Nachkommen auf. Ganz schön dumm gelaufen und ein Grinsen zieht über mein Gesicht. Nachdem wir beim Frühstück dem Abzug der beiden Gewerblichen beigewohnt haben (sie reisen doch tatsächlich mit Rollkoffern), drehen wir noch eine Runde auf dem See. Wieder einmal beeindrucken uns Schönheit, Weitläufigkeit und Artenvielfalt: ein Paradies.
Acht Stunden später sitzen wir dann wieder auf unserer Terrasse in Mérida, dem Ausgangspunkt unserer Reise, werfen Bällchen für die beiden Familienhunde und amüsieren uns über die letzten 24 Stunden und die drei Kleinen unserer Freunde.
Weitere Artikel zu Venezuela findet ihr im Archiv.
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Als Ausgangspunkt für Reisen in Venezuela empfiehlt der caiman:
Posada Casa Vieja, Tabay / Mérida
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Online Reiseführer Venezuela (reihe fernrausch)
Der Hauptteil des Reiseführers besteht aus Beschreibungen von Ausflugsmöglichkeiten in die Natur, in Form von ein- oder mehrtägige Touren, individuell oder mit Guide organisiert, und Abenteuertrips.
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