Von Galizien bis Kuba: Musikneuheiten auf der Womex
Nach Julio Iglesias und den Heroes de Silencio finden immer mehr spanische Bands den Weg auf den deutschen Markt. Auf der Weltmusikmesse WOMEX präsentieren sich viele Künstler, Labels und Verlage, etliche Livekonzerte geben einen Eindruck über das Geschehen.
Vor allem Gruppen aus der musikalisch pulsierenden Metropole Barcelona machten 2002 - nicht nur wegen ihres energiegeladenen Auftritts auf der Popkomm - von sich reden. Unter dem von der Musikpresse erfundenen Begriff "Barcelona Mestiza" tummeln sich die verschiedensten Formationen, von Wagner Pá über Macaco bis LEnsaladilla. Sie alle haben neben ihrem Wohnort nur eines gemeinsam: Sie bedienen sich hemmungslos im Bauchladen der weltweiten Musik und fusionieren diese Klänge zu neuen spannenden Mischungen.
Einen guten Überblick über das momentane Musikgeschehen in Barcelona bietet die äußerst empfehlenswerte Compilation "Barcelona Zona Bastarda" (Organic Records). 35 Titel auf zwei CDs - viele zuvor unveröffentlicht - haben der Produzent Javier Zarco, Labelchef Jorge Quintana und der brasilianische Musiker Wagner Pá zusammengestellt: Flamenco, Rumba, Rock, Ska, Dub, Reggae, Funk und House, alles findet und kreuzt sich hier: Cheb Balowski fusioniert arabische Gesänge mit Reggae und pasodoble-ähnlichen Klängen, Beto Bedoya fabrizieren coole Clubsounds, Arianna Puello und El Payo Malo rapen und Trimelón orientieren sich an Punk und Rock. Gesungen und gerapt wird auf Spanisch, Katalanisch, Französisch und Englisch, denn auch in Barcelona lebende ausländische Musiker wie Paul Fuster oder Pat Mac Donald haben Stücke zur Multikulti-Compilation beigesteuert. Für die Fusion von Rumba und Flamenco mit elektronischen Beats sind neben Macaco auch Ojos de Brujo zuständig.
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Letztere haben mit "Barí" (La Fábrica de Colores/ PP Sales) gerade ihr zweites Album veröffentlicht. Ojos de Brujo sind eher ein Musikerkollektiv als eine feste Band. Ihnen gemeinsam ist die Liebe zum Flamenco, obwohl nur Ramón, der Gitarrist, ein richtiger gitano ist.
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Viele der Musiker haben zuvor in Rock-, Hiphop- oder Funkbands gespielt. Diese Einflüsse werden nun über die Basis des Flamenco gelegt. Streng genommen ist die Basis der Musik von Ojos de Brujo jedoch kein Flamenco, sondern Rumba Flamenco - selbst schon ein Bastard: Die ins spanische Mutterland zurückgekehrte kubanische Rumba wurde von den gitanos begeistert aufgenommen und mit dem Flamenco verbunden. Aber auch der war ja nicht rein, verbanden sich doch arabische Einflüsse mit seiner indischen Herkunft uvm. Diese historische "Mestizisierung" hat zur Folge, dass auf "Barí" die Verbindung aller musikalischen Elemente und Instrumente sehr organisch klingt. Mit ihrem Mix aus Flamenco und Hiphop haben Ojos de Brujo großen Erfolg. Ihre erste CD verkaufte sich über 20.000 Mal in Spanien. "Barí" soll diesen Kassenschlager europaweit noch übertreffen, ein Album das zeigt, dass traditionelle Musik nicht an Qualität und Spannung verliert, wenn man sie intelligent mit modernen Elementen und kritischen Texten anreichert. Ojos de Brujo spielen Flamenco für das 21. Jahrhundert. Dass Rumba Flamenco momentan gut ankommt, belegt auch eine gelungene Compilation aus dem Hause Putumayo: "Rumba Flamenco".
Außer den auch hier vertretenen Ojos de Brujo finden sich auf dem Album 11 weitere Interpreten, die sich dieser Musik verschrieben haben, viele - wie die Gitano Family oder Ricao - aus dem Umfeld der bekanntesten aber nicht unbedingt besten Vertreter dieser Musik, der französischen Gruppe Gypsy Kings.
Weitere Musiker zeigen, dass die Rumba Flamenco sich auch gut mit anderen Musiken vermischen läßt: Wafir, der sie mit kubanischem son und der Musik seiner sudanesischen Heimat mischt oder Eric Fernández und seine Gastmusiker aus Israel, die Klezmermusik hinzufügen.
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Und selbst in Deutschland finden sich Musiker, die Rumba Flamenco spielen: Das Duo Tierra Negra aus Meerbusch hat auf seiner dritten CD "Clouds in the sky/Flamenco Nuevo" (Tierra Negra Records) viele Instrumentaltracks versammelt, die excellent als Soundtrack für eine Cabrioletfahrt dienen können. Die beiden Gitarristen Leo-Michael Henrichs und Olivier Raughi Ebert präsentieren - unterstützt von verschiedenen Percussionisten - Eigenkompositionen, die ohne Ecken und Kanten daherkommen und manchmal ein wenig WDR4-lastig klingen (Stück No. 18).
Musik aus Galizien und Katalonien
Die Regionen Spaniens emanzipieren sich auch musikalisch immer stärker vom Zentralstaat. Die katalanische Regionalregierung finanziert gerne Festivals wie "Tradicionàrius", durch die die einheimische Musiktradition gefördert wird. "Tradicionàrius 2002" (Disc Medi) ist eine Doppel-CD, die 37 Vertreter mehr oder weniger traditioneller Musik vereint: La Font de la Carota spielen mittelalterliche Lieder, La Banda del Gat und La Coixinera fusionieren traditionelle Klänge mit Rock und La Carrau kombinieren den katalanischen Gesang mit karibischen Rhythmen. Vieles klingt nach Liedermachern und die Klänge der "Viola de Roda" (Drehleier), einem Instrument aus vorigen Jahrhunderten, sind oft gewöhnungsbedürftig. Mittelalterliche Musik spielt auch bei den Stücken der Companyia Elèctrica Dharma eine große Rolle. Diese Band hat mit "Llibre Vermell" (Disc Medi Blau) ihr 19. Album seit 1975 herausgebracht. Die Geschwister Fortuny und Mitstreiter verbinden in ihrer Musik mediterrane Folklore mit Rock und Jazz. Auf "Llibre Vermell" haben sie gemeinsam mit einem katalanischen Chor versucht, Musik aus dem 13. Jahrhundert eine moderne Form zu geben: Das "Llibre Vermell de Montserrat" ist die älteste überlieferte Handschrift in Katalanisch und enthält auch zehn Melodien im gregorianischen Stil, die die Grundlage für die Titel der CD bilden.
Auch LHam de Foc aus Valencia benutzen alte Instrumente, hauptsächlich aber aus dem Orient und vom Balkan: Mit der Stimme von Sängerin Mara Aranda gehen sie auf dem neuen Album "Cançó de Dona i Home" (Sonifolk) eine mytische Verbindung ein. Frei nach Antoni Gaudís Motto "Loriginalitat consisteix en retornar a lorigen" interpretiert Adolfo Osta auf seiner neuen CD "Avedivare" (ventiladormusic) schöne traditionelle Weisen aus Katalonien. Er singt und spielt Laute, aber auch einige moderne Instrumente schleichen sich in die Lieder ein. Sol de Nit halten es eher puristisch und verzichten auf solche Ausflüge: Mit gaita (galizischer Dudelsack), Mandoline und Akkordeon spielen sie auf "B 91 00-SN" (Punteiro) traditionelle katalanische Folkmusik. Joan Valent und sein Ars Esemble ("Ensems"; Muxxic Records) mischen Folklore mit Kammermusik und Toti Soler begleitet seinen traurigen Gesang auf "Vita Nuova" (Muxxic Records) mit der Gitarre.
Für jazzige Sounds sorgt der Valencianer Perico Sambeat. Unter seiner Leitung trafen sich einige der besten spanischen Jazzmusiker und spielten bei einer Live-Session eine Hommage an vier große Saxophonisten - Lester Young, John Coltrane, Dexter Gordon, Charlie Parker - ein: "Jam en el Kursaal" (Satchmo Jazz Records). Flöte und gaita treffen auf Elektronik und Loops: So hört sich neue Musik aus Galizien an. LAIO vereinen diese beiden scheinbar so entfernten Welten auf "Luneda" (Muxxic Records) mit Leichtigkeit zu wunderbaren Instrumentalstücken.
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Berrogüetto gehen einen anderen Weg und spielen rockig-fetzige Instrumentalnummern mit traditionellen und modernen Instrumenten, während die galizischen Gesangsstücke auf "Hepta" (Boa Music/Endirecto) balladenartig daher kommen. Ein sehr schönes Album, verpackt in eine kunstvoll gestaltete Box.
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Auf dem gleichen Label hat auch Susana Seivane ihre CD "Alma de Buxo" veröffentlicht. Die gaita-Spielerin und Sängerin, die schon als Vierjährige in die Dudelsackpfeifen geblasen hat, verwendet moderne Instrumente sparsamer als Hepta und ist auch in ihrer Stückeauswahl traditioneller.
Neues aus Kuba
Das Label "Cuba Chévere" legt seinen Schwerpunkt auf Party-Musik aus Kuba. Diese in Unterscheidung zur us-amerikanischen salsa timba genannte Musik bringt jede Fete in Schwung. Folgerichtig gibt es eine Compilation namens "Fiesta Cubana" auf der die Künstler des Labels vereinigt sind und mächtig einheizen. Aber auch die Alben der einzelnen Musiker gehen in die Beine. Sowohl Aramis Galindo ("Esto tiene Cohimbye") wie auch Chispa y Los Complices ("Qué le pasa a mi negra?") setzen auf Orchester mit Chor und großer Bläsersektion. Ihre Bandbreite reicht von der Schmuseballade bis zum fetzigen Abräumer. Allerdings unterscheiden sich die Künstler des Labels "Cuba Chévere" nicht großartig in ihrem Musikstil. Große Ausnahme: Klimax. Mit seiner neuen Produktion "Giraldo Piloto and Friends" stößt der begnadete Drummer und Bandleader Giraldo Piloto in Sphären des Latin-Jazz vor, die auch auf der "Insel der Musik" nicht viele erreichen. Die Liste der Gastmusiker, unter anderem Chucho Valdés, "Changuito" und Julio Padron, unterstreicht dies. Auf der CD finden sich schöne Balladen wie das Stück "Debí llorar", aber auch schnelle und tanzbare Titel wie "Contraste".
Ebenfalls aus Kuba, aber mit ganz anderer Musik im Gepäck, kommen die Sängerin und Gitarristin Yusa und ihr gleichnamiges Album: "Yusa" (Tumi Records). Ihre Musik - in der Tradition der Nueva Trova - klingt wie Tracy Chapman, gepaart mit gut dosierten karibischen Rhythmen und Jazz, Blues und Pop. Yusa und ihre Mitstreiter, besonders zu erwähnen ist hier der Pianist und Arrangeur Roberto Carcassés, präsentieren wunderschöne Musik mit - manchmal - nachdenklichen und traurigen Texten. Insgesamt eher eine ruhige Platte, die aus der häufig zu sehr als Partymusik mißverstandenen kubanischen Musik heraussticht.
Klassische kubanische Musik von son bis guaracha präsentiert das Septeto Santiaguero auf seiner neuen Doppel-CD "Para los Bailadores" (Nubenegra). Die Gruppe aus der Heimat des son wandelt auf bekannten Pfaden und bringt das für Europäer "typische" Kuba-Feeling gut rüber.
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Son con Swing, eine neue und junge Formation, spielen auf "Terciopelo" (Endirecto) den son frisch und mit originellen Texten, so zum Beispiel in "La cucaracha", einer ironischen Neuinterpretation des bekannten Klassikers. In Ansätzen experimentieren sie auch mit der Integration anderer Rhythmen - zum Beispiel Reggae - in den son, eine Idee, die sie in Zukunft noch konsequenter umsetzen sollten. Ganz andere Musik machen Nilo MC und Kelvis, beide auch aus Kuba stammend. Nilo ist eine wichtige Figur in der Rap-Szene Havannas und kann als härtere Ausgabe der Orishas, mit denen er auch häufiger zusammenarbeitet, gelten. Sein Album "Guajiro del Alfalto" (Virgin) wurde für den Latin-Grammy nominiert. Kelvis, der schon Erfolg mit der Band Habana Abierta feiern konnte, mischt den typischen sucu-sucu-Gesang (eine Art des son) seiner Heimat Isla de Juventud mit Pop und Rock. Auf "Kelvis" (BMG) gibt es aber auch sehr funkige Stücke, wie "Si tu no quieres".
Zum Abschluss noch eine neue CD aus dem lusophonen Sprachraum: Der in den Niederlanden lebende Portugiese Fernando Lameirinhas hat im Exil eine bunte Mischung aus Fado, Jazz, Samba und dem kapverdischen morna zu seiner Musik gemacht. Auf seinem sechsten Album für Munich Redords, "Alegria do Triste", präsentiert er diesen Strauß verschiedener Einflüsse in der wunderbar traurigen Art des Fado.
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