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VII. Ein Meisterwerk vom „Gott des Holzes“

23:30
: An der Ecke der beiden engen Gassen Francos/ Chapineros. Ein beinahe erschreckender Anblick nach den farbenfrohen Tunikas des Tages: erstmals nähern sich – in absolutem Schweigen – pechschwarz vermummte Nazarenos. Unheimliche, schlafwandelnde Schattengestalten. Der einfache Gürtel aus Espartogras betont ihre asketische Haltung. Diese sehr strenge Bruderschaft „Pasión“ wurde 1531 von kastilischen Juristen gegründet. Sehr diszipliniert schreiten die schwarzen Nazarenos im bleichen Mondlicht. Da dies eine „Schweige-Bruderschaft“ ist, dürfen sie während der ganzen Prozession kein Wort sprechen und verständigen sich nur durch Zeichensprache. Plötzlich erfasst Unruhe die beiden Zuschauerreihen. Denn in diesem Moment biegen die großen Silberleuchter, die den ersten Paso ankündigen, um die Ecke und werfen den bizarren Schatten eines Kreuztragenden an die Wand.


Jesús de la Pasión:
Dann bahnt sich ein silberglänzendes Gebirge seinen Weg: ein grandioser, neobarocker Paso, in dem über 300 Kilo reines Silber verarbeitet wurden (insgesamt wiegt er über drei Tonnen), geschmückt mit Reliefs und Elfenbein-Figuren.

Es ist kaum zu glauben, dass dieses Wunderwerk erst in den 40er Jahren des 20. Jh. vom Silberschmied Cayetano González geschaffen wurde.

Jeder hofft, dass der Paso direkt vor ihm hält.Denn noch erstaunlicher ist die „heilige Fracht“, die darauf transportiert wird und die man unbedingt aus nächster Nähe sehen muss: Der „Jesús de la Pasión“ ist ein realistisches Meisterwerk des Juan Martínez Montañés, der von Zeitgenossen der „Gott des Holzes“ genannt wurde und um 1615 diesen oft kopierten „Prototyp“ eines kreuztragenden Christus schuf. Die Gesichtszüge, die ganze Körperhaltung, jede einzelne Ader wirken so echt, als ob man Christus persöhnlich begegnen würde. Der damalige Erzbischof soll erschreckt ausgerufen haben: „Jetzt fehlt nur noch, dass Er anfängt zu atmen!“ In der Tat fällt es schwer, dem Blick dieses Erlösers aus Zedernholz standzuhalten. Niemand wagt es, zu sprechen und die ganze Gasse erstarrt für Momente, als der Paso leise knirschend wieder empor gehoben wird. Unwillkürlich folgen viele seinem violetten Schatten auf diesem letzten Abschnitt der Prozession, wollen ihn begleiten bis zur Kirche.

Info: Juan Martínez Montañés
Der Maestro war seinem Werk bei der ersten Prozession auch gefolgt, selbst erstaunt über den Realismus seiner Schöpfung. Wenn sein ebenfalls zur Sevillaner Schule gehörender Zeitgenosse Velázquez als „Maler der Wahrheit“ gerühmt wird, so muss man Juan Martínez Montañés (1568 – 1649) als den „Bildhauer der Wahrheit“ bezeichnen.
Velázquez hat ein Porträt seines Künstlerkollegen gemalt, von dem Martínez Montañés eher unsympathisch auf den Betrachter blickt. Und wie so viele Genies, hatte er in der Tat einen (harmlos formuliert) schwierigen Charakter. Er war cholerisch und jähzornig. Seine Sturheit beim Feilschen um den Preis für seine Kunst war gefürchtet . Dieser „Gott des Holzes“, der unzählige heilige Skulpturen und ganze Hochaltäre für Sevilla, Peru und Mexiko geschaffen hat und bei der Arbeit für das Gelingen des Werks betete, führte oft Prozesse gegen Klöster, weil sie ihn seiner Meinung nach zu schlecht bezahlten. Im Jahre 1591 tötet er sogar einen Menschen beim Duell in einem Klostergarten (!) und war von der Exkommunion bedroht. Im Gegensatz zu seinem Werk war sein Leben also eher heftig als heilig zu nennen, aber immerhin ging die Hälfte seiner zwölf Kinder ins Kloster.

24.00. Wir stehen an der Treppe, die hinauf führt zur Iglesia del Divino Salvador, der größten Barockkirche Sevillas. Eine wogende Menschenmenge bevölkert den Platz und alle Blicke sind wieder auf IHN gerichtet. Langsam bewegt sich die silberne Bühne des Jesús de la Pasión auf die hölzerne Rampe zu, die zur Erleichterung der „Costaleros“ auf der Treppe errichtet wurde.

Schon hebt sich der vordere Teil des Paso an, dann gleitet er langsam empor. Man hört nur die rhythmischen Schritte der Träger auf dem Holz. Und hoch über uns gegen den Vollmond erscheint das ernste Antlitz Christi und der dunkle Schatten des Kreuzes. Das Unausweichliche steht diesem Jesus ins Gesicht geschrieben: der Aufstieg nach Golgotha. Und doch geht ein rätselhafter innerer Frieden von diesem Gesicht aus.

Ein Schatten auf dem Weg nach Golgotha

Die flackernden Lichter verlieren sich im Dunkel der Kirche, zwei kleine Engel helfen ihm, sein Kreuz zu tragen.

Hunderte von Büßern, ebenfalls schwarz vermummt, tragen ihr Kreuz und folgen ihm während der ganzen Prozession. Jetzt verschwinden auch ihre Schatten in der Kirche. Da sieht man am Eingang des Platzes schon wie eine riesige Leuchtfackel in der Nacht die Kerzenpyramide der „Virgen de la Merced“ („Jungfrau von der Gnade“), die sich langsam nähert.

Unmittelbar vor der Rampe wird er noch einmal abgesetzt, damit die Träger für die letzten, durch die Steigung sehr schwierigen Schritte Kraft sammeln können. Von einem fernen Balkon auf der anderen Seite des Platzes erklingt eine Saeta, die aber wegen der Geräuschkulisse kaum hörbar ist. Dann gibt der Führer des Paso das dumpfe Kommando für die letzten Meter. Mit zitternden Silberstäben bewegt sich der Baldachin nach oben, einen magischen Augenblick lang sehen wir das wunderschöne Gesicht dieser Madonna über uns im Kerzenschein; dann nur noch ihren riesigen Mantel aus türkisblauem Samt mit floralen Goldstickereien. Die Pforten der Nacht schließen sich. Doch sie werden sich erneut öffnen, wenn Trommeln und Trompeten ertönen in der Ferne bei der arabischen Stadtmauer der Macarena und in Triana, am anderen Ufer des Flusses. Das „himmlische Jerusalem“ wird keinen Schlaf finden heute Nacht.


Tipp:
Das aktuelle Programm + neueste Infos über Jueves Santo und die ganze Semana Santa könnt ihr vor Ort den Sonderbeilagen der Sevillaner Tageszeitungen ABC und Diario de Sevilla (Beilage in Farbe) entnehmen.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Interessante links:

http://www.arrakis.es/~nautylus/

http://www.elcapillita.com

http://www.costalero.com

http://www.hermandad-de-la-quinta-angustia.org

http://www.hermandad-de-monte-sion.org


Text + Fotos: Berthold Volberg

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