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Spanien: Fisch, Rum, Tabak und das Zeitproblem

Angenommen, Max findet einen Job als Gärtner in Diensten eines Kleinindustriellen. Ihm obliegt die Pflege der Pflanzen und des englischen Rasens eines Ferienhauses in der Eifel. Er verdient pro Woche 200 Euro. Obwohl er nicht kontrolliert wird, legt er sich mächtig ins Zeug. Nach den ersten beiden Arbeitswochen kommt der Kleinindustrielle in sein Wochenenddomizil, sieht, dass Max hervorragende Arbeit geleistet hat und verdoppelt dessen Lohn.

Zur gleichen Zeit in der Dominikanischen Republik findet Máximo ebenfalls eine Anstellung als Gärtner, irgendwo an der Playa. Er verdient 10 US-$ pro Woche und ist, wie sein deutscher Kollege, die ersten zwei Wochen auf sich alleine gestellt. Auch Máximo arbeitet ohne Unterlass. Don Dueño, der Besitzer des Bungalows mit Garten, ist nach seiner Rückkehr hoch zufrieden und verdoppelt den Lohn Máximos auf 20 US-$ pro Woche.

Beide, der Kleinindustrielle und Don Dueño, sind weitere zwei Wochen unterwegs. Was werden sie vorfinden, wenn sie in ihre Ferienanlage zurückkommen? Wie werden sich Max und Máximo in der Zwischenzeit verhalten? Mehr über diese Entwicklung nach einem kurzen Abriss über den Verfall Spaniens zu Beginn der Neuzeit; den Niedergang der damals gerade erst emporgestiegenen Welt-, Wirtschafts- und Territorialmacht:

1469 vereinigen sich Isabel und Ferdinand und damit die Königreiche Kastilien und Aragon. Die übrigen Teile des heutigen Spaniens sind schnell erobert; und quasi mit dem Fall des letzten iberischen Mauren bricht Kolumbus auf, um weite Teile des Süd- und Nordamerikanischen Kontinents als Kolonien dem spanischen Territorium einzuverleiben. Die Brut des expandierenden Königpaares, Karl V., römischer Kaiser deutscher Nation und König des vereinten Königreiches Kastilien-Aragon regiert Spanien, die Niederlande, Mailand, Neapel, Sizilien, Sardinien, Burgund, halb Amerika und die deutschen Habsburger Länder. Letztere überlässt er 1521 seinem Bruder Ferdinand. Unter Karls Nachfolger Philipp II. verbündet sich Spanien mit Portugal und damit auch mit Brasilien und erfährt seine größte Ausdehnung.

Der Luxus der Größe jedoch kostet Geld und Zeit. Viele Gebiete unter spanischer Krone sind den Nachbarn ein Dorn im Auge und so werden unzählige Kriege zur territorialen Verteidigung geführt. Hinzu kommen die durch Martin Luther ausgelösten katholisch-protestanischen Glaubensstreitereien, die im 30-jährigen Krieg gipfeln, in dessen Verlauf Spanien die Niederlande in die Unabhängigkeit entlassen muss. Die Krone ist aufgrund der permanenten Ausgaben für Rüstung und Militär chronisch Pleite und im In- und mehr noch im Ausland, vor allem bei den Fuggern und Welsern, verschuldet.

Obwohl sie zu mindestens einem Zehntel, der steuerpflichtigen Abgabe, am Gewinn aus dem Handel mit Übersee beteiligt ist, hofft sie auf den ganz großen Goldfund. Aber die Entdeckung des Sagen umwobenen El Dorado, der von den Eroberern des amerikanischen Bodens mystifizierten Goldstadt, bleibt aus.


Trotz der Geldnot der Krone, die es sich aber immerhin leisten kann, an allen Grenzen des Landes gleichzeitig Krieg zu führen, entsteht der Eindruck, Spanien sei zu unermesslichem Reichtum gelangt, nicht zuletzt durch die rege Handelsschifffahrt zwischen dem Mutterland und den Kolonien. Und es ist einiges dran an dieser Wahrnehmung, denn es gibt in Spanien unzählige Reedereien, Händler und Investoren, die sich an den Edelmetallen aus den Kolonien in Übersee die Nase vergolden.

Doch - und nun zeigt sich die Auswirkung eines dekadenten Wirtschaftsgebarens in der Praxis - sie reinvestieren nicht. Ein jeder der erfolgreichen Geschäftsleute will seinen so eben erlangten Reichtum in vollen Zügen genießen. Anstatt also neue Handelsschiffe auszurüsten und das Unternehmen Ich-vermillionenfache-meinen-Einsatz zu wiederholen, kaufen sich die Neureichen Titel, Ländereien und Sklaven. Und um dem Ganzen die Krone der Dekadenz aufzusetzen, lassen sie ihre Sklaven selbst im heißesten andalusischen Hochsommer in teure Pelzmäntel gehüllt umherlaufen.

Licht in den durch das dekadente Wirtschaftsverhalten der spanischen Geschäftsleute ökonomisch desolaten Zustand des Landes bringt der holländische Seeräuber Piet Hein, dem 1628 der bislang größte Kaperschlag gegen die spanische Krone gelingt. Vor Cuba bemächtigt er sich der gesamten spanischen Silberflotte, die sich auf ihrer alljährlichen Konvoi-Rückfahrt nach Europa befindet. Die Größe der Beute Piet Heins, der im Auftrag der holländischen West-Indien-Company (WIC) handelt, versetzt nicht nur das protestantische Holland in Aufregung. Die Freude über die erbeuteten 15 Millionen Gulden ist zunächst riesig, da man dem Glaubensfeind, den Spaniern, eine empfindliche Niederlage beigebracht hat; aber alsbald stellt sich heraus, dass nur 5% der Fracht in die Hände spanischer Handelsleute geflossen wären. 95% des Silbers ist für das europäische Ausland bestimmt. Der Löwenanteil hiervon aber gehört kurioserweise der WIC, so dass die ganze Unternehmung Piet Heins für den Auftraggeber aus den Niederlanden letztendlich keinerlei Geschäft bedeutet.

Der militärische Niedergang Spaniens beginnt bereits im Jahre 1588. Die Kriegsflotte, die in aller Welt gefürchtete Armada, ist von den Engländern, die schon zu diesem Zeitpunkt den protestantischen Holländern ein ums andere Mal zu Hilfe eilen, im Ärmelkanal geschlagen worden. Spanien verliert seine Vormachtstellung zur See. Gut 200 Jahre später sind auch die Streitkräfte zu Land außer Form und Spanien ist nicht einmal mehr in der Lage, Napoleons Zug gen Madrid aufzuhalten.

Der Zerfall des Territoriums setzt zur gleichen Zeit ein wie die militärischen Niederlagen. Die Nachfolger Karls V. und seines Sohnes Philipp II. sind allesamt unfähig, staatsmännische Aufgaben zu übernehmen. Sie beschäftigen sich mit der Falkenzucht, der Jagd und für was auch immer ein dekadentes Herz sonst noch zu schlagen pflegt. Im 17. Jahrhundert verlieren sie daher fast alle ihre über die heutigen spanischen Grenzen hinausreichenden Hoheitsgebiete in Europa mit nur halbherziger Gegenwehr. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts folgt die Unabhängigkeit der Kolonien in Übersee. Heute zeugen gerade mal zwei winzige Stützpunkte in Marokko von der einstigen Größe. Und wäre nicht Aznar im Jahre 2002 mit seinem überdimensionierten militärischen Aufgebot ausgerückt, um Marokko zu züchtigen, wer würde heute noch Notiz davon nehmen, dass die unbesiedelte Petersilieninsel ebenfalls zu Spanien zählt.

Kommen wir also zurück zu Max und Máximo. Deutschland und Spanien waren, wenn man so möchte, unter Karl V. von 1519 bis 1521 vereint. Was die beiden Länder heute verbindet, sind die gewaltigen administrativen Apparate. Spanien allerdings besaß nie die Zeit, Deutschland seinen Stempel in Bezug auf dekadente Wirtschaftsmodelle aufzudrücken. Anders erging es der Dominikanischen Republik. Von Kolumbus erobert, wurde die Insel Jahrhunderte lang von feisten, korrupten und selbstherrlichen spanischen Gesandten verwaltet, denen die Dekadenz bereits in die Wiege gelegt worden war. Unter dieser Voraussetzung betrachten wir die zweiten zwei Wochen Abstinenz des Kleinindustriellen und Don Dueños:

Max hat Tag und Nacht geschuftet. Der Garten ist in einem 1a Zustand. Der Kleinindustrielle ist entzückt und voll des Lobes, während Max der Rücken zu schaffen macht und er mit Kisa-Training liebäugelt. 10.000 Kilometer entfernt ist Don Dueño ebenfalls positiv überrascht. Sein Garten ist perfekt in Schuss. Und doch hat sich das Szenario geändert, denn Máximo schaukelt in der Hängematte und labt sich an Fisch, Rum und Tabak, während Máximo Segundo, den Máximo für 10 US-$ angestellt hat, die Gartenarbeit erledigt.

Ach, hätten die Spanier doch auch in Deutschland nur etwas mehr Zeit gehabt!

Text + Fotos: Dirk Klaiber druckversion   


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