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El Salvador: Latinohochzeit - alles nach Plan

Auf meiner Stirn bilden sich seit geraumer Zeit Schweißperlen, die mir in kleinen Bächen in die Augen rinnen, wobei ganze Meere meinen Rücken hinab stürzen. Mir bleibt nur der linke Ärmel meines Smokings, um nicht zu erblinden. Mit der anderen Hand halte ich mich an der Braut fest und versuche vollkommen unverkrampft zu erscheinen. Ein aussichtsloses Unterfangen, zumal es sich um einen ökumenischen Gottesdienst handelt und mir einer der beiden kirchlichen Würdenträger andauernd streng ins Gesicht blickt.

Dabei findet die Zeremonie zu 80% auf Spanisch statt, dass nicht gerade zu meinen Stärken zählt (aber ein interessiertes Gesicht aufzusetzen, beherrscht ein jeder seit seiner Schulzeit mehr oder weniger professionell). Die Hochzeitsgäste in meinem Rücken setzen sich zu mehr als zwei Dritteln aus Salvadoreños und dem Rest aus Deutschen zusammen, für die sich das ganze zur größten Belustigung des gesamten Jahres entwickeln soll.

Rechts von mir spielt eine Band live das Liedgut, das angeblich von mir gewünscht worden sein soll. Ich kenne nicht einen der "Songs" und bin somit auch nicht in der Lage, die Kapelle gesangstechnisch zu unterstützen. Mir bleibt wieder nur, auffallend interessiert in die Runde zu schauen.

Es wird immer schwieriger, den Schein zu wahren. Ich habe das Gefühl, der katholische Bischof beginnt langsam, sich innerlich über mich zu amüsieren. Zu allem Übel stirbt meine religiöse Unterstützung in Form des Vertreters der evangelischen Kirche auch beinahe vor Nervosität, hat er doch in seinem Leben noch keinen Gottesdienst gemeinsam mit einem Erzbischof gehalten. Der arme Kerl verkrampft immer mehr. Ich aber bin mit meinen eigenen Problemen beschäftigt: Irgendwann hat man uns eine Kette mit einem Kreuz umgehängt (die Bedeutung dieses Rituals ist mir bis heute nicht klar), die uns zwingt, ganz eng beieinander zu stehen und die Bewegungsfreiheit auf ein Minimum zu begrenzen. Ich frage mich, ob die symbolische Bedeutung dem Aneinandergekettet Sein für den Rest des Lebens durch die Kirche entspricht. Keine Ahnung, gerade müssen wir uns mal wieder erheben, um zu singen und ich widme mich meinen zwei Aufgaben, pseudo-aktiv an der Zeremonie teilzunehmen und die Verkettung nicht zu zerreißen. Wer weiß, wie die Hochzeitsgesellschaft das interpretieren würde.

Der Gesang verebbt, doch bevor wir uns wieder setzen, naht die nächste große Aufgabe in Form einer Handvoll Münzen. Die Brautjungfer übergibt 10-15 Goldstücke äußerst vorsichtig der Braut, die diese an mich weiter reicht, mein erstauntes Gesicht betrachtet und mir die Kostbarkeiten wieder abnimmt.

Die Brautjungfer hält die Hände auf, um alles wieder in die kleine Schatulle aus dem letzten Jahrhundert zu legen, doch der Braut entgleitet die Hälfte der Münzen. Ein mich verhöhnendes Geklimper hallt durch die Kirche; jetzt heißt es, sich gemeinsam zu bücken und dabei wie immer auf die Kette zu achten. Als alles im Kasten ist (man beachte die Zweideutigkeit), steht der Höhepunkt der Zeremonie an. Beide Würdenträger treten nach vorne, um den Brautleuten den Treueeid abzunehmen. Soweit ich mich erinnere, wird zuerst die Braut befragt und antwortet im tadellosen Spanisch, was man in solch einer Situation halt so zu sagen hat. Ich konzentriere mich voll und ganz auf meine drei deutschen Sätze.

Dreimal habe ich im Vorfeld den evangelischen Pfarrer, der primär für mich zuständig ist, angefleht, mir die magische Formel im entscheidenden Moment vorzulesen, so dass ich nur noch durch ein lautes und überglückliches "Ja!" die Bestätigung in die Welt hätte hinaus rufen müssen. Doch er weigerte sich mit dem Argument: "Diese drei Sätze werden Sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen."

Es folgt die obligatorische Pause und alle Blicke richten sich auf mich. Mindestens vier Videokameras laufen (auch für viel Geld wird dieses Material niemals den Weg ins Internet finden), die Temperatur steigt nochmals um 10 Grad, die Stille wird unerträglich, mein Pfarrer beginnt hektisch in seinen Unterlagen zu blättern, der Erzbischof vermag sein Grinsen nicht mehr zu unterdrücken und ich kann nur sagen, hätte die Braut mir nach 20 Sekunden (Stunden?) nicht vorgesagt: "Vor Gottes Angesicht nehme ich dich...", ständen wir dort heute noch. O ja, an diese drei Sätze werde ich mich ein Leben lang erinnern; und eine Menge anderer Leute auch!

Der Rest des Gottesdienstes ist mir leider nicht mehr in Erinnerung geblieben. Ich weiß nur noch, dass mich abschließend 200 Salvadoreños in die Arme geschlossen haben, um mich zu beglückwünschen oder zu trösten, wer kann das schon sagen.

Als nächstes stehe ich vor der Kirche und warte mit meiner Angetrauten auf die "Hochzeitskutsche", einen feierlich geschmückten Kleinwagen. Zu meinem Leidwesen versperrt mir eine rasante Ausgabe, aus der mit voller Lautstärke Molotov klingt, den Blick. Erst als ich von hinten in den Wagen gestoßen werde, erfahre ich, dass das eigentliche Frischvermählten-Transportmittel zwar angeblich mit aller Liebe dekoriert, aber leider über Nacht auf offener Straße gestanden hat.

Der einzigen Nacht der letzten drei Monate, in der es geregnet haben soll. Ich werde immer schmerzfreier und entspanne mich für genau 500 Meter. Dann durchdringt ein Ohren betäubender Knall die Nacht und ich denke noch, sollen sie doch auf mich schießen. Zu unser aller Glück handelt es sich jedoch nur um den rechten Vorderreifen. Wir biegen auf die nächstgelegene Tankstelle ab, steigen aus und stellen uns demonstrativ neben den geplatzten Reifen. Eine ganze Menge Salvadoreños ziehen an uns vorbei, beglückwünschen uns, sich dabei halb tot lachend. Der Tag wird lang, o ja, der Tag wird richtig lang. Keine zwei Kilometer weiter warten 250 Hochzeitsgäste darauf, dass ich vor ihren Augen den Tanz eröffne. Und viel schlimmer; Speis und Trank gibt es erst nach dem Eröffnungsdebakel, will sagen, da kann die Menge auf Dauer ganz schön ungehalten werden.

Ich möchte an dieser Stelle auch nicht weiter auf die eigentliche Feier eingehen, sondern nur erwähnen, dass es das volle Programm gab: der ungelenke Deutsche tanzt mit der Braut vor 250 Latinos, danach mit der Mutter, weigert sich erst bei Oma, Vater und Schwiegervater.

Es folgt das erheiternde Anschneiden der vierstöckigen Torte, die der Braut zehn Minuten zuvor auf den Boden gefallen war und das erotische Entfernen des "Strumpfbandes" während per Beamer Kinderfotos des Paares an die Wand geworfen werden.

Nun ja, es entbehrt nicht einer gewissen Komik; zumindest für alle anderen. So gegen 24 Uhr bin ich dann aller Pflichten enthoben und entspanne mich bei dem herrlichen Gesang von neun Mariachis, die zur Untermiete bei der Oma wohnen und der Menge mit Mujeres divinas (göttliche Frauen) und Sigo siendo el rey (ich werde immer der König bleiben) so richtig einheizen. Danach folgen die immer gleichen zehn Lieder vom Band, weil der Bruder leider tags zuvor die für die Festlichkeiten präparierte Festplatte gelöscht hat, und ich weiß, dass das der beeindruckendste Tag meines Lebens war und ich weiß, dass ich das alles nur einmal im Leben durchstehen werde.

Text: Sönke Schönauer
Fotos: Gäste

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