Portugal: Astrolabio - Von Längen- und von Breitengraden
Die Sterne waren der einzige Orientierungspunkt auf den ersten großen Entdeckungsfahrten der Spanier und Portugiesen nach Afrika, Asien und Amerika. Sie trauten sich all den schrecklichen Vorstellungen des späten Mittelalters zum Trotz auf den Atlantik hinaus. Dieser, so glaubte man damals, würde im Westen abrupt in einem riesigen Wasserfall enden, und gen Süden wäre die Hitze aufgrund der Zenitstellung der Sonne so groß, dass Segel und Schiffe verglühen würden.
|
Doch ein Problem erschwerte wesentlich die Navigation der tapferen Seefahrer: die Bestimmung von Längen- und Breitengrad. Bereits um 150 n. Chr. hatte Ptolemäus die damals bekannte Welt in Längen- und Breitengrade eingeteilt. Den Null-Breitengrad, also den Äquator, konnte er durch den Sonnenzenit genau bestimmen, den Null-Längengrad wählte er willkürlich und legte ihn durch die Insel Madeira.
|
Zur Bestimmung des Breitengrades wurde auf den ersten Entdeckungsfahrten des 14., 15. und 16. Jahrhunderts ein Instrument benutzt, das bereits von den Griechen, wahrscheinlich von dem Begründer der wissenschaftlichen Astronomie, Hipparch von Nikaia, um 130 v. Chr. entwickelt wurde: das Astrolabio, antiker Vorläufer des Sextanten. Mit ihm maßen die Menschen der Antike die Höhe von Gebäuden und die Tiefe von Brunnen. Allerdings ging das antike Wissen in den Wirren des untergehenden Römischen Reiches und den dunklen Zeiten des frühen Mittelalters für die Bewohner des Okzidents, des Abendlandes, verloren.
Die Araber jedoch hüteten die Erkenntnisschätze der Antike, bewahrten sie in den für die Wissenschaft dunklen Zeiten vor dem Vergessen und perfektionierten das Astrolabio. Es waren wohl die Portugiesen, die das Instrument von den Arabern übernahmen und derart weiterentwickelten, dass man mit seiner Hilfe den Winkel der Sonne oder des Polarsternes im Verhältnis zur Horizontalen selbst auf bewegter See messen und damit den Breitengrad bestimmen konnte. Das Astrolabio wog zwei Kilogramm und war derart an Bord der Schiffe befestigt, dass es selbst bei starkem Wind und stürmischer See in der Vertikalen blieb.
|
Die Methode des Messens ist recht einfach zu verstehen: befindet man sich am Nordpol, steht der Polarstern genau über einem, in einem Winkel von 90°. Je weiter man nach Süden geht, desto geringer wird der Winkel zwischen dem Polarstern und dem Horizont, bis der Polarstern am Äquator mit ihm verschmilzt.
|
Auf der Südhalbkugel benutzte man das Kreuz des Südens für den gleichen Zweck. Tagsüber konnte man sich am Stand der Sonne orientieren, indem man den exakten Höchststand der Sonne zur Bestimmung der Position benutzte.
Die Bestimmung des Längengrades dagegen bereitete den Wissenschaftlern viel mehr Schwierigkeiten. Zwar hätte man den Längengrad anhand der Winkelstellungen zwischen Mond und bestimmten Sternen berechnen können, die dazu benötigten Messinstrumente wurden jedoch erst im 18. Jahrhundert entwickelt und funktionierten nur bei sternklarem Himmel. Eine andere Möglichkeit war die Zeitmessung der aktuellen Position auf See, die man dann mit der exakten Zeit im Heimathafen vergleichen konnte. Da sich die Längengrade mit zunehmendem Breitengrad verkürzen, bis sie schließlich in den beiden Polen zusammentreffen, musste man dann noch mithilfe einer Umrechnungstabelle die genaue Position bestimmen. Theoretisch war das Problem erkannt, jedoch gab es keine technische Möglichkeit, eine Uhr mit der erforderlichen Exaktheit zu bauen.
Zuerst versuchte man das Problem zu umgehen, indem man möglichst immer auf demselben Breitengrad fuhr und mit Methoden zur Bestimmung der Geschwindigkeit des Schiffes, die aber nicht sehr genau waren, die zurückgelegte Strecke definierte. Windabdrift und Meeresströmungen machten den Seefahrern dabei immer wieder einen Strich durch die Rechnung, und für Piraten war es ein leichtes, die immer auf dem selben Breitengrad fahrenden Handelsschiffe aufzubringen.
Das Problem der genauen Zeitangabe des Heimathafens musste also gelöst werden. Hierzu fehlte es nicht an teilweise recht witzigen Lösungsansätzen. So glaubte man das Problem durch das "Pulver der Sympathie" lösen zu können, einem Wundheilmittel, das auf einen beliebigen Gegenstand einer kranken Person aufgetragen werden konnte, egal, wie weit der Gegenstand von der Person entfernt sei.
|
|
Die Heilung verursachte angeblich solch starke Schmerzen, dass der Patient vor Schmerz aufheulte. Man plante nun, einen durch einen Messerstich verletzten Hund dem Schiff mitzugeben und jeden Tag um Mittag das Heilpulver auf das im Heimathafen zurückgelassene Messer zu streuen. Sobald der Hund vor Schmerz aufheulte, wusste die Besatzung des Schiffes folgerichtig, dass im Heimathafen gerade Mittag war.
Eine andere Idee war, über alle Meere verteilt sogenannte "Böllerschiffe" ankern zu lassen, die mehrmals täglich Schüsse abgeben sollten. Anhand der Zeitdifferenz zwischen Lichtblitz und Knall sollte der Kapitän dann den Abstand des eigenen Schiffes zu dem "Böllerschiff" berechnen.
Auch dies erwies sich als nicht praktikable Lösung, allein schon deshalb, weil das Ankern eines Schiff in bis zu 6.000 Meter tiefen Gewässern gewisse Probleme mit sich bringt. Das Problem konnte erst durch die von John Harrison im 18. Jahrhundert gebauten Schiffsuhren gelöst werden, die so exakt waren, dass sie auf einer Reise von England in die Karibik und zurück nur um 2 Sekunden abweichten.
|
|
Harrisons geniale Uhren sind heutzutage im National Maritime Museum in London zu sehen. Mit den Schiffen, die im Laufe der Jahrhunderte der stürmischen See zum Opfer fielen, ging auch ein Großteil der Astrolabios unter. Noch vor 50 Jahren kannte man nur 20 Exemplare. Doch die moderne Schatzsucherei barg zahlreiche Astrolabios vom Grund der Weltmeere, sodass heute über 80 dieser Visierinstrumente in den Schifffahrtsmuseen zu bewundern sind. Die größte und eindrucksvollste Sammlung ist im "Museu de Marinha" im Lissabonner Stadtteil Belém untergebracht.