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Peru: San Francisco in Lima: Das Kloster mit eingebauter Geisterbahn

Wir stehen beeindruckt vor der spektakulären Doppelturm-Fassade, die mächtiger wirkt als die der Kathedrale und eine der prunkvollsten von Lima ist. Wegen der Erdbebengefahr hat man die Türme des Klosters San Francisco im Herzen der barocken Altstadt von Lima nicht hoch, dafür aber pompös gebaut.

Der sonnengelbe Anstrich soll den massigen Mauern etwas von ihrer Schwere nehmen. Die Glockentürme rahmen ein sehr schönes Retablo-Portal aus dunklem Marmor ein, in dessen Zentrum eine große Statue der Inmaculada die eintretenden Gläubigen begrüßt. Gekrönt wird das Portal durch ein filigranes Medaillon mit Christussymbol im Strahlenkranz.

Die Monumentalität und architektonische Schönheit dieses Franziskanerklosters dienten in der Epoche seiner Errichtung auch missionarischen Zwecken. Die Eingeborenen sollten in Staunen versetzt und zum neuen christlichen Glauben verführt werden. Nach minutenlanger Betrachtung der Fassade, die von Taubenschwärmen umkreist wird, treten wir durch den Seiteneingang ein und beginnen mit der Erforschung der Geheimnisse, die diese Mauern bergen.

Eine Besichtigung des Klosters San Francisco ist auch ein Streifzug durch Jahrhunderte der Stadtgeschichte von Lima. Die Vergangenheit der "Stadt der Könige" ist hier so präsent wie an kaum einem anderen Ort der peruanischen Metropole. San Francisco ist neben Santa Catalina in Arequipa und Santo Domingo im mexikanischen Puebla eine der drei größten Klosteranlagen Amerikas.

Unsere Führerin ist eine sympathische Indígena, die mit geheimnisvollen Andeutungen unsere hohen Erwartungen weiter schürt. Die erste Überraschung erwartet uns bereits im Treppenhaus. Denn es ist überwölbt von einer prachtvollen holzgeschnitzten Kuppel mit Sternenmuster im andalusischen Mudéjarstil des späten 16. Jahrhunderts.

Der Mudéjarstil hat seinen Ursprung in der Südhälfte Spaniens, wo er von Architekten und Künstlern ins Leben gerufen wurde, die zu den Morisken gehörten, die auch nach der christlichen Reconquista an ihrem islamischen Glauben fest hielten und sich durch traditionelle islamische Kunstformen inspirieren ließen. Weil vielen christlichen Fürsten diese orientalische Dekoration sehr gefiel, kombinierten die Mudéjarkünstler sie mit christlichen Stilelementen der Gotik und Renaissance. So entstanden in Andalusien, besonders in Sevilla, Paläste mit Patios im Stil der italienischen Renaissance, jedoch dominiert von islamischen Schmuckelementen. Und in Teruel oder Toledo wurden Kirchen mit gotischen Gewölben gebaut, deren Glockentürme wie Minarette aussehen.

Da der Islam die Darstellung von Mensch und Tier in der Kunst verbietet, dominierten florale und geometrische Dekorationen und auf Zierkacheln und Holzkuppeln wiederholte sich das Sternenmuster. Außerdem schmuggelten die Mudéjarmeister in die Schmuckfriese der von ihnen erbauten Paläste für christliche Herrscher (und manchmal selbst in Kirchen) Kalligrafien mit Koranversen ein. In vielen Fällen bemerkten es die Auftraggeber nicht, weil sie der arabischen Sprache nicht mächtig waren. Die goldene Epoche des Mudéjarstils dauerte vom Ende des 13. Jahrhunderts bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Der Stil erlebte im 20. Jahrhundert seine Wiedergeburt in Form des Neo-Mudéjar.

Die Blicke zur Kuppel gerichtet, steigen wir hinauf zur Bibliothek, die in der Epoche ihrer Errichtung Anfang des 17. Jahrhunderts als eine der modernsten und wichtigsten in Amerika galt.

In den hohen Regalen aus Ebenholz trotzen wertvolle, oft meterhohe Manuskripte und Gesangbücher dem drohenden Verfall. Darunter befinden sich auch Bücher in den Indiosprachen Quechua und Aimara. Leider kann man die Bibliothek nicht besichtigen, sondern nur vom Eingang aus einige Blicke erhaschen.


Nächste Station der Besichtigung ist die Hauptkirche des Klosters. Von der Empore haben wir einen schönen und nicht alltäglichen Blick auf die Basilika, deren Seitenschiffe von den Kapellen geformt werden. Die ganz mit geometrischen Mustern in Rot und Weiß überzogenen Säulen, Gewölbe und Hauptkuppel der Kirche entstanden im frühen 17. Jahrhundert und sind stark durch den Manierismus geprägt. Im Vergleich mit den ultrabarocken Kirchenbauten Limas (z. B. La Merced oder San Pedro) erscheint dieser Tempel schlichter: die Hochaltäre sind nicht so kolossal und schwindelerregend wie in den beiden erwähnten Barockkirchen. Aber wir konnten uns davon überzeugen, dass die Kirche und der Klosterkomplex San Francisco viel mehr und bedeutendere Kunstwerke zu bieten haben als die im Inneren eher enttäuschende Kathedrale von Lima.

In der Sakristei und im Kapitelsaal des Franziskanerklosters entdecken wir zahlreiche Gemälde der Sevillaner Malerschule, besonders von Francisco de Zurbarán (1598 – 1664), Skulpturen von Alonso Cano und anderen importierten spanischen Barockmeistern. Bei den damaligen Transportmöglichkeiten ist es schon ein Wunder, dass so empfindliche Objekte heil hier angekommen sind, ohne Seestürmen oder englischen Piraten in die Hände zu fallen. Unter den in Peru selbst entstandenen Werken gefällt uns besonders eine großformatige Darstellung des Heiligen Abendmahls von einem Meister der Malerschule Cuzcos.



Dieses Bild zeigt Christus umringt von seinen Aposteln; doch statt des Osterlamms hebt Christus seine segnenden Hände über einem Meerschweinchen (seit jeher die Nationalspeise der Andenregion). Ein ähnliches Gemälde hängt auch in der Kathedrale von Cuzco.

Aber alle Kunstwerke in diesen heiligen Hallen mögen noch so bedeutend sein – für die meisten Besucher befindet sich der überraschende Höhepunkt des Klosters San Francisco tief unter der Erde.

Unsere kleine Führerin schreitet tapfer voran in die Unterwelt. Nachdem sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sehen wir, dass sich unter dem schmalen Steg, über den wir gehen, rechts und links riesige Gruben befinden, die randvoll gefüllt sind mit – weiß schimmernden menschlichen Knochen und Totenköpfen! Wir wandeln also buchstäblich über Leichen.

Die Reaktionen in unserer Gruppe sind unterschiedlich: von spontanen schrillen Schreien über Angst unterdrückendes Gekicher bis hin zu coolem Pfeifen ist alles vertreten. Einige der sich gebückt durch diesen Toten-Tunnel schiebenden Zuschauer werden ganz stumm aufgrund des Schocks der Konfrontation mit der schrecklichen Vergänglichkeit menschlicher Körper. Andere, die Abgeklärten, erfreuen sich an den pittoresken Gruselmomenten in dieser unterirdischen Kathedrale der Knochen.

Zur Steigerung des Horrorvergnügens hat man in einigen Gruben die Schädel und Gebeine kunstvoll zu geometrischen Mustern angeordnet, so dass einen die grinsenden Totenköpfe plötzlich aus Kreisen und Spiralen heraus anstarren. Aber natürlich wurden die Katakomben von San Francisco nicht als Touristenattraktion angelegt, sondern waren vor allem in den beiden ersten Jahrhunderten der Hauptfriedhof von Lima. Schätzungen besagen, dass 70.000 Menschen hier ihre letzte Ruhestätte fanden.

In der Gegenwart scheint es allerdings mit ihrer Ruhe vorbei zu sein, denn Lima braucht den Tourismus und die Touristen wollen Attraktionen. So werden die Katakomben des Klosters San Francisco zu einer unfreiwilligen Geisterbahn und viele der 70.000 Schädel leuchten mehrmals täglich auf im Blitzlichtgewitter.

Vielleicht fühlen sich die Seelen dieser Verstorbenen gar nicht gestört durch die Besucher, sondern blicken amüsiert auf uns sterbliche Kreaturen, die wir die Angst vor dem Tod vertreiben wollen, indem wir ihn fotografieren oder Witze über ihn machen. Jedenfalls ist die Gruppe – genau wie Kinder nach einer Fahrt durch die Geisterbahn – erleichtert als die Führerin uns nach einer Viertelstunde wieder hinausführt aus der modrigen Finsternis und noch ein letztes Highlight präsentiert.

Der Kreuzgang des Klosters, dessen aufwändige Restaurierung sich dem Ende nähert, ist fast komplett bestückt mit glänzenden Azulejos (Zierkacheln).

Dies wäre nichts Besonderes, wenn nicht einige dieser Azulejos ein Datum tragen würden. Da steht zu lesen: 1620, La Cartuja. Fast alle diese Azulejos sind Originale von 1620, damals hergestellt in Sevilla in der berühmten Keramikmanufaktur La Cartuja und auf abenteuerlichem Weg übers Meer nach Lima gebracht.

Und nun kämpfen Restauratoren um ihre Erhaltung gegen das subtropische Klima. Vorbei an Stützbalken schreiten wir durch die schattigen Gänge und bewundern die prachtvollen Kachelbilder, die oft erstaunlich profane Motive zeigen. Zurück im hellen Tageslicht auf dem sonnigen Platz vor der Kirche beobachten wir ein paar Momente die spielenden Kinder, die rund um den Brunnen laufen und Tauben jagen. Wann werden sie erfahren, dass nur wenige Meter unter ihnen ihre Vorfahren ruhen?

Text + Fotos: Berthold Volberg Druckversion  

Tipps:
Convento de San Francisco:
Museo y Catacumbas
Adresse: Jr. Ancash, Cuadra 3, Lima 1
Tel.: (00511) - 4271381
Geöffnet: Täglich Montags – Sonntags 9.30 – 17.45
Eintritt. 5 Soles (ca. 1,40 €)
Hinweis: Individuelle Besichtigung ist leider nicht möglich, doch jede halbe Stunde startet die Führung einer Besuchergruppe.

Nur die Klosterkirche:
Eintritt Frei
Geöffnet: Montags – Sonntags 10.00 – 13.00, 17.00 – 19.00

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