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Peru: Kulturkontakt in Lima
(erschienen 03/2001)

Drei Wochen waren wir nun schon in Peru unterwegs, und wir hatten alles in unserer Macht Stehende getan, um dieses Land von seiner eigenen, typischen Seite kennen zu lernen. Auf ziellosen Irrfahrten durch Limas Randgebiete glaubten wir, viel zu sehen und ein bisschen das Leben dort zu verstehen. Unsere ideologisch motivierte Abstinenz jeglicher westlicher Güter verpflichtete uns zum Trinken der chemisch-süßen Inka-Cola und verursachte bedingt durch den häufigen Besuch der Garküchen am Straßenrand immerfort Unstimmigkeiten in der Magengegend. Jedes einzelne dieser Verdauungsprobleme bestätigte uns in dem Glauben, das Richtige zu tun; ja wir genossen sie förmlich und sahen sie als Zeichen dafür, kulturimperialistischen Tendenzen erfolgreich von der Schippe gesprungen zu sein. Doch Durchfall allein macht nicht glücklich. Ich begann, mich ein wenig zu ärgern; noch immer hatte ich keine Peruaner kennen gelernt und noch immer wusste ich traurig wenig über ihre Wurzeln und ihre Kultur.

Was uns fehlte, war die Begegnung mit den Menschen, ein intensiver Austausch mit der Bevölkerung, ein Frage-Antwort-Spiel nach unseren Regeln, ein paar Opfer für unseren Heißhunger auf Kultur. Ich gebe zu, ich hätte ein wenig mehr lesen können. Aber geleitet von dem Glauben, im Land selbst sei alles einfacher, hielt ich es für überflüssig, mich vorab zu informieren; wie langweilig wäre es doch gewesen, alles schon zu wissen, was die vielen hilfsbereiten, offenen Menschen mir unterwegs voller Stolz und patriotischen Gefühlen preisgeben würden.

Andreas, meine Reisedate aus dem Internet, hatte sich vor allem mit dem Bergen beschäftigt und war auch nicht besser vorbereitet als ich. Um einer sich anbahnenden Enttäuschung vorzubeugen, beschlossen wir, die nächstbeste Gelegenheit zu nutzen und uns so richtig unters Volk zu mischen.

Als hätte er auf uns gewartet, sprach uns auf der Straße ein peruanischer Student an. Mein Gott, ein echter Peruaner - wer hätte damit noch gerechnet! Alejandro hieß er und studierte Englisch und Marketing in Lima, um später mit Touristen wie uns sein Geld zu verdienen. In seinem schokoladenfarbenen Gesicht die sanften Augen eines Spaniers, eingebettet in die harten Zügen der Indígenas, bot er ein Prachtexemplar aus dem Bilderbuch dar; genau, was ich mir vorgestellt hatte.

Er war durchaus interessiert daran, uns ein wenig die Stadt von ihrer anderen Seite zu zeigen. Allerdings schien sein Interesse an uns größer als die Bereitschaft, von sich und seinem Land zu berichten. Wir verbrachten den Tag gemeinsam und ließen uns breitschlagen, ihn abends ins Kino einzuladen. Ein gesellschaftskritischer Film über die Jugend in Limas Straßen – na, das passte doch bestens zu unseren Vorstellungen.

Der Kinosaal war überfüllt mit jungen Leuten, und ich spürte eine gewisse Befriedigung meiner Neugier. Es waren genau zwei "Weiße" im Raum, und das waren wir. Alejandro hatten wir im Gewühl der Menschen verloren; vielleicht hatte er auch Freunde getroffen oder so, es war uns egal. Mit Spannung erwarteten wir nun diesen Film, der uns in Details des peruanischen Lebens einführen sollte.

Ein Saal voller Peruaner ist schon ein Erlebnis für sich. Die Menge ging richtig mit, es wurde gejohlt, gepfiffen, geklatscht. Inhaltlich war der Film eher von mäßiger Qualität, was dem Vergnügen der Zuschauer aber keinen Abbruch tat. Mich beschlich irgendwie ein unwohles Gefühl; soviel positives Feedback auf Gewaltszenen war ich nicht gewohnt, und inmitten so vieler Fremder fühlte ich mich plötzlich ziemlich verlassen. Ich schaute unauffällig zu Andreas rüber und merkte, dass er das Ganze auch etwas eigenartig fand. Durch Blickkontakte verständigten wir uns zu gehen. Doch der Augenblick war ungünstig, da in unserer Reihe gerade ein wilder Sturm von Begeisterung ein Durchkommen unmöglich machte.

Ein Blick auf die Leinwand verriet mir den Grund: Eine Horde betrunkener Halbwüchsiger hatte eine weiße Prostituierte in ihr Auto gezerrt und machte sich nun gierig über ihre Beute her. Und der Saal tobte vor Mitgefühl. Ich werde euch die Details dieser Szene ersparen; wer billige lateinamerikanische Filmproduktionen kennt, kann sich sicher vorstellen, wie sie in Bezug auf Einstellungen, Länge, Lautstärke und Inhalt gewesen sein muss. Ein vorzeitiges Verlassen des Raumes war unmöglich; im Endeffekt waren wir die Allerletzten, die fassungslos aus dem Raum schlichen, um dann den Heimweg in unser Hotel in Rekordgeschwindigkeit anzutreten; eine der billigsten Unterkünfte der Stadt mit Einschusslöchern in der Tür.

Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich dankbar bin für diesen Abend, obwohl er mich eine schlaflose Nacht gekostet hat und mir die Peruaner von einer Seite präsentierte, von der ich in Hinblick auf die weitere Reise lieber nichts gewusst hätte.

Vielleicht etwas unausgeschlafen, aber nichtsdestotrotz guter Dinge machten wir uns am nächsten Morgen wieder auf den Weg. Die Erlebnisse vom Vortag begleiteten uns noch eine Weile, aber ein paar Sonnenstrahlen und die bunte und unterhaltsame Busfahrt an der Küste entlang entschädigten uns und korrigierten den vorübergehend miserablen Eindruck, den wir von unseren Gastgebern bekommen hatten. Peru war doch ein wundervolles Land und die Menschen begegneten uns mit soviel Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft, dass wir gewillt waren, schnell zu vergessen.

Text: Cora Steigenberger
Fotos: Marcus Behnke
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