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Peru: Weihnachtsessen in der Defensoría

Die kleine Stadt Chepén liegt weit abseits der touristischen Routen an der nördlichen Küstenwüste Perus, ungefähr 30 Kilometer vom Meer und etwa acht Stunden von der Hauptstadt Lima entfernt in der Nähe von Trujillo und Chiclayo. Sie ist eine der vielen Städte, die neben der Tristesse der Armut dem Auge wenig zu bieten hat.

An der breiten Hauptstraße, die die Stadt in zwei Hälften trennt, befinden sich, wie Perlen an einer Schnur aufgereiht, die ambulanten Schuster. In ihren mehr als provisorisch anmutenden Ständen reparieren sie die Schuhe, die ihre Kinder auf dem Marktplatz für 15 Cent putzen.


Am Rande dieser menschlichen Geografie der Traurigkeiten liegt ein weitläufiges Gelände mit zwei einfachen weißen Häusern, die das eigentliche Ziel unserer langen Anfahrt aus den Bergen um Cajamarca sind: der Defensoría (eine Organisation, die sich um die Rechte und die soziale Entwicklung einer Stadt kümmert).

Man hat uns zum Weihnachtsessen eingeladen, und als eine der ersten treffen wir im Haus der ehemaligen Direktorin der Entwicklungshilfeorganisation ein, die sich vorgenommen hat, das Leben in Chepén und Umgebung ein wenig lebenswerter zu machen. Das Hauptgericht besteht aus einem Truthahn mit Rosinen. Dazu wird trotz der Jahreszeit ein heißer, dickflüssiger Kakao getrunken. Teller mit Panettone und kleinen, weißen Brötchen stehen auf dem langen Tisch, an dem die knapp 30 Mitarbeiter sitzen.

Wladi lächelt mir zu. Vor einigen Tagen haben wir gemeinsam die Abschlussveranstaltung eines Kurses besucht. Ein Jahr lang wurden die Teilnehmer unterrichtet, um in den Dörfern der Umgebung Rechtsbeistand leisten zu können. Zu der Ausbildung gehörten auch Spiele, in denen Grundrechte und einfache Spielregeln der Demokratie erklärt wurden.

Die Teilnehmer erhielten neben einer Urkunde auch Fahrgeld. Ansonsten würden viele von ihnen nicht an dem Kurs teilnehmen können.

Nach dem Essen wird eine Art Julklapp veranstaltet. Dazu nimmt der Weihnachtsmann ein Geschenk und nennt den Beschenkten. Dieser muss dann erraten, von wem das Geschenk kommt. Liegt er falsch, so muss er sich wieder setzen und auf die nächste Runde warten.

Die Defensoría unterhält eine Schule für arbeitende Kinder und Jugendliche. Diese Schule versucht nicht, die Kinderarbeit zu unterbinden, da man eingesehen hat, dass die Familien ohne diesen Beitrag zum Haushalt nicht leben können. Die Organisation versucht vielmehr, den Kindern neben der Arbeit auch den Schulbesuch zu ermöglichen. So besuchen die Kinder vormittags die Schule, bekommen dort – wichtiger Anreiz – ein Frühstück und tragen dann nachmittags zum Familieneinkommen bei.

Ein Lehrer, der mit seinen großen braunen Augen für diese mit allen Wassern gewaschenen Kindern allzu sanft erscheint, geht in die zweite Runde, denn er errät nicht, wer ihm das Geschenk macht. Dabei haben alle in den letzten Wochen kleine anonyme Briefe erhalten, in denen die Schenker Anspielungen auf sich selber machen und damit dem Beschenkten das Erraten erleichtern.

Die Sozialarbeiterin und ausgebildete Psychologin, Frau Pocha, hat ihre Hausaufgaben gut gemacht. Sie weiß sofort, von wem das Geschenk kommt und umarmt ihre Wohltäterin unter dem Applaus der Anwesenden. Sie gehört zu den Älteren unter dem durchweg jungen Personal. Und vielleicht stammt die förmlichere Anrede „Frau“ allein daher. Ich aber habe noch einen anderen Grund, ihr mit äußerstem Respekt zu begegnen. Im Rahmen eines Projektes habe ich sie bei einem ihrer unzähligen Hausbesuche begleitet.


Dazu fuhren wir an den äußersten Stadtrand, wo sich die Baracken langsam den Berg hochschieben. Eine der oberen Hütten war unser Ziel. Ein Stück verrostetes und verbogenes Blech kennzeichnete den unverschlossenen Eingang zu der ärmlichen Behausung. Wir waren auf der Suche nach einer Frau, die von Nachbarn der Vernachlässigung ihres Kindes angezeigt worden war. Das Dreijährige war wiederholt gesehen worden, wie er versuchte, Essbares aus den Müllhaufen zu ziehen. Die Frau hatte ihn anscheinend ohne Nahrung zu Hause gelassen, während sie auf einem Feld in der Umgebung arbeitete.

Wir treffen jedoch lediglich ihre Schwester an, die eine Baracke weiter wohnt. Im Innern ihrer nicht weniger erbärmlichen Hütte ist es trotz der Tageszeit dunkel. Ein großes Bett nimmt fast das gesamte Innere ein.


Darüber ist eine Schnur von einer Wand zur anderen gespannt. Die Kleidung, die dort hängt, verrät den Zweck der Leine: es handelt sich um den Kleiderschrank der Familie. Im Innenhof dient ein mäßig überdachtes Loch als Toilette. Frau Pocha spricht mit der Schwester, erklärt ihr, dass diejenige, die wir eigentlich besuchen wollten, sich in der Defensoría zu melden habe, damit die Polizei nicht eingeschaltet werden müsse.

Nun steht Frau Pocha strahlend im Kreis ihrer Kollegen. "Fröhliche Weihnachten", heißt es überall und man umarmt sich herzlich.

Es ist wahr, dass Chepén dem zufälligen Touristen keinen Halt für sein die Schönheit suchendes Auge gibt. Aber es wird seinen Grund haben, warum meine Gedanken immer wieder an diesen Ort zurückkehren, an dem ich so viele Menschen kennen gelernt habe, deren Arbeit und deren Persönlichkeit Respekt verdienen. Und die trotz allem, nachdem in der dritten Runde selbst der braunäugige Lehrer seinen Schenker erraten hatte, die ganze Nacht lang tanzen können.

Text + Fotos: Nil Thraby Druckversion    

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