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Peru: Armut statt Kokain


Seitdem die Kleinbauern in Peru keine Cocasträucher mehr anbauen dürfen, sind ganze Landstriche verarmt. Die Hoffnung mit der Kultivierung von Kaffee genug Geld zum Leben zu verdienen, hat sich nicht erfüllt.

"Prinzessin, Prinzessin", ruft die fünfjährige Ladani, und ein mageres Hundebaby mit riesigen Ohren läuft in die Hütte aus Bambusstangen, in der Ladanis Mutter Anita gerade auf einer offenen Feuerstelle das Mittagessen zubereitet. Es gibt Kochbananen, wie jeden Tag. "Früher, als wir noch Coca angebaut haben, da konnten wir uns besseres Essen leisten, da gab es regelmäßig Fleisch und Käse", erzählt ihr Mann Marcelino, "Aber jetzt..." Er spricht nicht weiter.

Bis in die neunziger Jahre war die Gegend um Tarapoto in Nordperu eines der Hauptanbaugebiete Südamerikas für den Cocastrauch, dessen harmlos aussehende grüne Blätter den Rohstoff für das weiße Gold, das Kokain, liefern. Fast alle Familien lebten hier vom Anbau der Coca und die gesamte Region befand sich im Aufschwung; auch wenn der Hauptteil des Gewinns nicht von den Cocaleros, den Cocabauern, sondern von den Drogenkartellen in Kolumbien eingestrichen wurde.

Das ging so lange gut, bis die peruanische Polizei auf Drängen der USA damit begann, die Cocapflanzungen zu zerstören. "Eines Tages kam die Polizei und zerhackte mit Macheten unser Feld. Wir hatten große Angst, denn ich kannte Leute, die sich der Polizei entgegen gestellt hatten und getötet wurden. Deshalb haben wir nur zugesehen und von einem Tag auf den anderen alles verloren."

"Bevor man damit anfängt Cocafelder zu zerstören, müsste den Bauern eine Alternative geboten werden", erklärt Mathilde Pulgar Tapia, die im Auftrag der UN versucht, die Bauern mit Hilfsprogrammen aufzufangen. "Sonst bleiben die Menschen hier ohne jede Überlebenschance." Oft werden die Felder auch mit Gift zerstört, dann wächst auf dem Boden über Jahre nichts mehr. Die Peruanerin berichtet von Gegenden in ihrem Land, in denen die Wut der Bevölkerung auf die Ausländer so groß ist, dass Reiseführer empfehlen, diese Landstriche zu meiden.

Ob Marcelino versteht, warum er keine Coca mehr anbauen darf? "Wir haben gehört, dass das Kokain zu vielen Problemen führt, dass Menschen gewalttätig und kriminell werden. Doch für uns ist es wichtig soviel zu verdienen, dass wir unsere Kinder ernähren und ordentlich kleiden können." Der Vierzigjährige mit dem ledrig wirkenden, braunen Gesicht schaut auf das zerrissene Hemd seines Sohnes. Der 17-jährige Jorge würde gerne Anwalt werden, weil er glaubt, dass er "dann was bewegen kann". Vorerst hilft er seinem Vater bei der Arbeit in der Kaffeepflanzung.

Es ist nur ein kleines Feld, vielleicht einen halben Hektar groß. Der Boden ist überwuchert von Unkraut, das ständig gejätet werden muss. Zwischen den Kaffeepflanzen stehen ein paar Kochbananenstauden. "Wenn es mit dem Kaffee nicht klappt, dann haben wir immerhin etwas, das wir essen können - ohne, dass wir Geld dafür ausgeben müssen." Zu deutlich hat die Familie noch die Zeit vor Augen, in der sie nicht wusste, was am nächsten Tag auf dem Tisch stehen würde.

Die fensterlose, mit Palmblättern gedeckte Hütte der siebenköpfigen Familie ist mit zwei Schlafstätten eingerichtet, an der Wand hängende Plastiktüten ersetzen den Kleiderschrank. Ein Huhn scharrt unter einem kitschig-bunten Marienbild auf dem festgetretenen Erdboden. "Es war einfach verdientes Geld, damals", sagt Marcelino. "Wir dachten, das geht immer so weiter und haben uns schöne Kleidung und ein Radio gekauft, anstatt etwas zur Seite zu legen. Jetzt tut mir das leid, aber dafür ist es zu spät."

Marcelino versucht nun, sich und seine Familie so gut wie möglich mit dem Anbau von Kaffee zu ernähren. Und das ist schwierig. Während die Blätter des anspruchslosen Cocastrauchs bis zu viermal im Jahr gepflückt werden können, machen die Kaffeepflanzen viel Arbeit und werfen nur ein Mal pro Jahr eine Ernte ab, die wegen des niedrigen Weltmarktpreises für Kaffee nicht viel einbringt. "Um einen Sack Cocablätter zu ernten, haben wir eine Stunde gebraucht und dafür sechs US Dollar erhalten. Ein Sack Kaffee kostet uns drei Tage Arbeit, für die wir 30 US Dollar bekommen."

Die von der UN unterstützte Kooperative Oro Verde, Grünes Gold, beschäftigt Agraringenieure, die den Bauern erklären, wie sie den Ertrag und die Qualität ihres Kaffees verbessern können. Zusätzlich werden Kurse in Buchführung angeboten.

"Kaffee statt Kokain", das war lange Zeit das Konzept vieler Hilfsorganisationen gegen den Cocaanbau. Doch seit zwei Jahren ist der Weltmarktpreis für Kaffee auf einem historischen Tiefstand, so dass diese Strategie im Kampf gegen die Drogen nicht mehr aufgeht. Matilde Pulgar Tapia sieht wenig Chancen, den Cocaleros mit dem Anbau von Kaffee eine echte Alternative zu bieten "Wir erreichen nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung, und so lange die Preise für den Kaffee weiter sinken, geben die Bauern die Coca nicht freiwillig auf."

Die Sonne brennt auf das kleine Feld nieder, die Luft ist feucht und heiß. Zwischen Marcelinos Kaffeepflanzen hat ein Cocastrauch überlebt. "Eine Erinnerung an bessere Zeiten." Marcelino würde gerne wieder Coca anbauen, doch seine Angst davor, abermals die Polizei im Haus zu haben, ist zu groß. So bleibt ihm nur die Hoffnung, dass der Kaffeepreis wieder steigt.

Dieser Artikel ist erschienen in der Welt am Sonntag vom 8. April 2003.

Text + Fotos: Katharina Nickoleit

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Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Peru verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag voraussichtlich ab dem 01.12.2009 erhaltet.

Titel: Peru Kompakt
Autoren: Katharina Nickoleit, Kai Ferreira-Schmidt
288 Farbseiten
4. überarbeitete und komplett aktualisierte Auflage
ISBN: 978-3-89662-336-2
Verlag: Reise Know-How

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