caiman.de 03/2004
Peru: Ayacucho Ein Tag im Herz der Anden
Als die Nacht hereinbricht in Lima, nähern wir uns dem Busbahnhof mit dem schönen Namen "Cruz del Sur" (Kreuz des Südens) und steigen um 22.30 Uhr in den Bus Expreso Molina Unión, der uns zunächst über die Küstenstraße nach Süden bringt. Unser Ziel heißt Ayacucho, die ungeschliffene Perle der Anden, die immer noch im Schatten des strahlenden Cuzco steht. Vor uns liegen 570 Kilometer durch die nächtliche Wüste, rechts geben Felsbuchten immer wieder den Blick frei auf dunkle Pazifikwellen. Mit diesem düsteren Meerblick schlafe ich ein, kurz bevor der Bus mitten in der Nacht nach Osten abbiegt.
Bis zum Zielort wird er nun innerhalb von etwas mehr als vier Stunden fast 3000 Höhenmeter überwinden. Denn Ayacucho liegt 2800 Meter über dem Meeresspiegel und als wir kurz nach Sonnenaufgang ankommen und aus dem Bus steigen, spürt man das sofort. Die Luft ist dünn und ziemlich kalt. Ich sehne mich nach dem Morgenkaffee, doch daraus wird erstmal nichts. Denn Tito, unser Freund aus Ayacucho, der uns am Busbahnhof erwartet, drängt zur Eile. Auf nüchternen Magen müssen wir die ersten Kirchen besichtigen. Nun gut, es ist sowieso Fastenzeit, also beginnen wir asketischer und durch die Höhenluft müder als geplant unsere sakrale Entdeckungstour. Denn die meisten Gotteshäuser sind hier nur zu den Messen geöffnet am frühen Morgen und frühen Abend.
Während wir durch die Hauptstraße, gesäumt von eindrucksvollen Kolonialbauten, schlendern und durch den barocken Torbogen schreiten, erklärt uns Tito, dass Ayacucho in Peru als Stadt der 33 Kirchen bekannt ist: d.h. eine Kirche für jedes Lebensjahr von Jesus Christus. Zwar gibt es inzwischen mehr Kirchen in der Stadt, aber nur 33 von ihnen sind historisch, was für einen Ort von höchstens 90.000 Einwohnern eine stattliche Zahl ist.
Tito meint, wir sollten mindestens sechs oder sieben dieser 33 Tempel schaffen, und so beginnen wir gleich mal mit Santo Domingo. Besonders von außen ist diese Klosterkirche eine der interessantesten von Ayacucho. Erbaut ab 1548 in einem eigenwilligen Renaissancestil, erhebt sich die Doppelturmfassade, eingerahmt von einer steinernen Kreuzessäule rechts und einer Espadaña (Glockenwand) aus Ziegeln, auf der linken Seite. Außergewöhnlich sind die Loggia der Frontfassade und die breite, flach gemauerte Kuppel. Das Innere dagegen enttäuscht etwas, alles wird dominiert von einem barocken Hochaltar, der zu pompös und damit deplatziert wirkt. Die Frühmesse wird gleich beginnen, also noch schnell ein kurzer Rundgang, begleitet vom "Ave María"-Geflüster alter Indígenas, die im Halbdunkel knien und im Kerzenlicht selbst wie Heiligenstatuen wirken.
Wir verlassen Santo Domingo und begeben uns zur zentralen Plaza de Armas. Nachdem wir erfahren haben, dass die Kathedrale noch geschlossen ist, schlendern wir langsam weiter durch die Gassen dieses geschichtsträchtigen Orts inmitten der Anden, der 1539 von Pizarro als San Juan de la Frontera de Huamanga gegründet wurde. Die ungewohnte Höhenluft zwingt uns zur Entdeckung der Langsamkeit. Plötzlich stehen wir vor der Jesuitenkirche. Deren platereske Fassade (1605) ist mit originellen Blumenornamenten geschmückt, das Portal hebt sich ab durch leuchtendrote Ziegel. Im Innern wetteifern mehrere prächtig vergoldete Hochaltäre miteinander.
Anschließend kommen wir nach Santa Clara, einer weiteren Renaissancekirche von Ayacucho, die 1568 erbaut wurde und von außen schlichter wirkt als die anderen Gotteshäuser der Stadt. Innen birgt sie jedoch einen kostbaren Schatz: Jesús Nazareno, die berühmteste Christusskulptur dieser Provinz. Und Tito erzählt uns, dass dieser Christus der Protagonist der Semana Santa von Ayacucho ist und am Mittwoch der Karwoche in der feierlichsten Prozession durch die Straßen getragen wird.
Die Prozessionen der Karwoche sind in Ayacucho durch die Größe der "Pasos" und die mit Blumenteppichen und Sandbildern geschmückten Straßen besonders spektakulär. Nach Sevilla und Málaga in Andalusien gilt die Semana Santa von Ayacucho als die drittwichtigste der Welt und zieht immer mehr Touristen an. Wir betrachten noch einen Moment den traurig blickenden Christus im violetten Gewand, umgeben von Goldglanz, dann verlassen wir die Kirche.
Es ist schon kurz vor Mittag und der Hunger meldet sich deutlich. Wir beschließen, uns auf dem Markt von Ayacucho umzusehen. Dabei kaufen wir den Nachtisch zuerst, denn vor dem Eingang der Markthalle hat sich eine Indígena mit einem verlockend bunten Obstwagen postiert. Bananen, Platanos, Maracuyas, Avocados, Grenadilles, Zapotes, kolossale Papaya-Melonen und andere für uns exotische Früchte stapeln sich in gewagten Pyramiden auf dem nicht sehr stabil wirkenden Wagen.
Wir kaufen zwei Exemplare jeder Sorte. Als die Eigentümerin merkt, dass wir ihren rollenden Obstgarten fotografieren wollen, meint sie: "ich muss noch alles besser ordnen". Wir warten also, bis sie für das Foto die Fruchtpyramiden noch steiler gestapelt hat und sich mit strahlendstem Lächeln daneben postiert.
In der Markthalle von Ayacucho lassen wir uns treiben in einer Flut von Farben. Die Stände quellen über von allen möglichen und unmöglichen Waren und die hygienischen Zustände vor allem in der Lebensmittelabteilung sind nur etwas für sehr Abgehärtete. Trotzdem wagen wir es, uns mit Brot und Käse einzudecken, bevor wir uns den wirklich interessanten Angeboten zuwenden. Die meisten Souvenirs sind hier billiger als in Cuzco. Besonders günstig kann man hier Ethno-Schmuck, andentypische Kleidung wie Alpaka-Pullover und farbenprächtige Decken kaufen, von denen debil blickende Lamas grüßen sowie Weihnachtskrippen mit Indio-Figuren. Einige der angebotenen Püppchen und Deckchen sind derart kitschig, dass man fast gezwungen ist, sie zu kaufen, um daheim für Unterhaltung zu sorgen.
Bei manchen der Marktstände für Textilien ist alles so dicht gehängt, dass man die Verkäuferinnen kaum sieht, bis plötzlich unter einem Berg von roten und grünen Stoffen eine Stimme erklingt: "Compre, Señorito, buena calidad de alpaca, compre..." Wir kaufen bordeauxrote und türkise Wollpullover und flirten mit der Verkäuferin, um einen Sonderpreis zu bekommen. Sie würde uns am liebsten die Hälfte ihres Ladens verkaufen. Als sie merkt, dass wir uns nicht zum Masseneinkauf hinreißen lassen, bricht sie die Verhandlungen ab und meint, ihr Mann würde zu Hause auf das Mittagessen warten und sie müsse jetzt schließen.
Auch bei uns stellt sich wieder dramatischer Hunger ein. Wir entdecken die kleine Bar "El Chiclayano" und bestellen eine gewaltige Portion Ziegenbraten mit Reis; dazu das leckerste Bier Perus, "la Negra Cuzqueña". Dieses schwarze, leicht süße Gebräu weist einen recht ordentlichen Alkoholgehalt auf.
Nach dem Essen erkunden wir die Altstadt von Ayacucho weiter, in der koloniale Pracht und provisorische Baracken nah beieinander liegen und die Armenviertel, wie in vielen lateinamerikanischen Städten in den höheren Regionen, an den Berghängen unkontrolliert emporwuchern. Dahinter sieht man die kahlen Gipfel der Anden und vielerorts wirkt die Gegend um die Stadt wie eine erosionsgeschädigte Mondlandschaft, die etwas erahnen lässt von der Armut, dem Gewaltpotential und dem Überlebenskampf, der sich dahinter verbirgt.
Zur Zeit ist das Klima hier aber von einem zaghaften wirtschaftlichen Aufschwung und relativer Ruhe geprägt. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände der 80er und 90er Jahre, als Ayacucho die Region Perus war, die am meisten unter dem Terror des Sendero Luminoso und der Gegengewalt der auch nicht zimperlichen staatlichen Truppen zu leiden hatte, scheinen endgültig überwunden. Nun hofft man auf Stabilität und vor allem auf einen Ausbau des Tourismus.
Dazu wollen wir beitragen, denn noch stehen einige Kirchen auf dem Besichtigungsprogramm, während die Kathedrale immer noch geschlossen ist. Nahe dem barocken Stadttor nehmen wir ein Taxi. Die Taxis in der Stadt und Region Ayacucho sind sehr spezielle Gefährte: dreirädrige, zerbrechlich scheinende Mototaxis.
Für die engen Straßen sind sie ideal, können sich fast in jede Lücke quetschen, sind energiesparend und umweltfreundlich. Bequem sind sie nicht und wer größer als 1,60 Meter ist, muss gebückt sitzen und fühlt sich in der Nähe größerer Wagen nicht gerade sicher - so zerbrechlich wirken diese drolligen "Baby-Taxis". Eine Probefahrt sollte man aber auf jeden Fall machen.
Er bringt uns zur Kirche des Karmeliterklosters Santa Teresa. Für mich die schönste der 33 Kirchen von Ayacucho, denn im Innern hat sie die schönsten Barockaltäre der Stadt zu bieten. Angesichts dieser Pracht beschließen wir, im nächsten Jahr zur Semana Santa wieder zu kommen, wenn viele dieser barocken Skulpturen auf hohen Pasos durch die Straßen wandern.
Text: Berthold Volberg
Tipps und Links
Restaurant:
Picantería Norteña El Chiclayano
Adresse: Jr. Cuzco Nr. 385
Spezialität Ziegenbraten und Entengerichte u.a. Cebiche de Pato
Unterkunft:
Am "Ende der Welt" in Huanta, ca 30 Km entfernt von Ayacucho und nur über Piste mit anderthalb - zweistündiger Fahrt zu erreichen:
La Posada del Marqués
Adresse: Jr. Sáenz Peña Nr. 160, Huanta, Tel.: 064-832287
Sehr einfache Bleibe, und trotz des Namens würde kein Graf je hier absteigen, 2-3 Bettzimmer für 30 Soles, Wasser gibt es nur stündlich, deshalb gleich fragen, wann, damit man nicht eingeseift unter der trockenen Dusche steht.
www.geocities.com/perutopcities/indexayiglesias.html
bietet Fotos und Kurzinfos zu den Kirchen von Ayacucho
www.geocities.com/perutopcities/indexayacucho.html
bietet allgemeine Infos zu Ayacucho und Tipps für Exkursionen in die Umgebung