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caiman.de 9. ausgabe - köln, september 2000
spanien: figueras

Croissants de Borassa

Es ist nicht die Rue des Pétits in Paris, sondern die Carrer de Olot in Borassa. Es sind keine Croissants, sondern Croissants.

In dem verschlafenen Nest Borassa, zwischen Figueres und Girona an der N II gelegen, gibt es zwar keine "Boulangeria", dafür aber eine "Carnisseria" untertitelt mit "Forn de Pa". Diese kann trotz der ansonsten beachtlichen katalanischen Wurstauswahl, welche sich vorwiegend aus diversen Unterarten der Fuet summiert, nur eine eingeschränkte Fleischauswahl und Croissants vorweisen.

Auf einem durchsichtigen Plastiktablett durch eine provisorische Glaswand vom Fleisch getrennt, liegen die klebrigen katalanischen Frühstückscroissants.

Es ist Samstagvormittag. Beim Betreten muß ein Lametta artiger Fliegenschutz passiert werden, der den engen, nach totem Fleisch riechenden, schwülen Laden von der Straße trennt. Außer dem Metzger und mir befinden sich in der Carnisseria drei Frauen des Dorfes, deren Alter nur schwer zu schätzen ist. Sie sind wohl mindestens 40 und maximal 70. Alle sind von gleicher Statur und ähnlich gekleidet: Ganzkörperschürze, meist in den Farben hellblau, -grün, oder -rosa gehalten, die keine weiblichen Formen mehr erkennen lassen.

Die Gang der
weiblichen
Metzger-Fans...

Als Laufwerk dienen Frotteeschlappen mit Gummisohle, die augenscheinlich für Haus, Hof und Metzger gleichermaßen geeignet sind. Alle drei haben eine graumelierte mehr oder weniger frische Dauerwelle, die es nicht vermag, ihre ausgeprägten Gesichtszüge graziöser erscheinen zu lassen.

Alle, mit einem noch leeren Brotbeutel ums Handgelenk geschnürt, unterhalten sie sich ungeniert laut und scheinbar ohne Eile, als gäbe es kein gemütlicheres Plätzchen, um Neuigkeiten auszutauschen. Ähnlich ist allen ihr durchdringendes derbes Stimmorgan, mit welchem die Dame in hellblau gerade dem Metzger klare Mengenanweisungen bezüglich ihrer Fleischvorlieben unterbreitet und ihn nebenbei über die Zusammensetzung der Familienmitglieder des Sonntagessens aufklärt.

...nähert sich
ihrem Objekt
der Begierde.

Der Metzger nimmt ergeben die Wünsche entgegen und erfüllt diese möglichst einsilbig. Seine Gedanken scheinen in der Ferne und seinem Ausdruck ein Hauch von Wahnsinn ins Gesicht geschrieben, während er inzwischen scheinbar hoch konzentriert, fast zärtlich, die Bistecs für die Frau in der hellgrünen Schürze schneidet. Abgesehen von dem Metzger halten sich die übrigen Männer des Dorfes von dieser Lokalität fern. Seine Kundschaft, einschließlich mir, ist ausschließlich weiblich.

Seit etwa 20 Minuten schon bedient nun der mundtote Metzger die Hellgrüne, die sich immer noch mit vollem Körpergewicht gegen die Glasvitrine lehnt und mit ihren groben Händen auf weitere Fleischstücke zeigt, um deren Kilopreis zu erfahren. Der Metzger verliert weder die Ruhe noch behält er sie, automatisiert beantwortet er die Fragen.

Während der hellgrüne Drachen an der Theke weiter mit sich selbst diskutiert, ob der Preis angemessen sei oder nicht, kommentiert eine dritte Dame mit großer Hornbrille vom Stuhl aus – sie ist damit beschäftigt, die Ferse ihres stämmigen Beines wieder in ihrem Frotteeschlappen unterzubringen - die angehenden Entscheidungen der vorratswütigen katalanischen Compradita.

Die im hellgrünen Hauskleid fragt und kauft, kauft und fragt: Bistec, Hühnerfüße, Beinscheibe, eine Art Geschnetzeltes, Speck, ein weiteres Trumm Bistec am Stück, etc. Endlich ist sie fertig, der Metzger braucht eine geruhsame Weile, die Rechnung mit Bleistift auf einem Wurstpapier zu erstellen.

Es ist erstaunlich, wieviel es zu kaufen gibt, obwohl die Auslage in der Vitrine auf den ersten Blick nicht besonders vielfältig erscheint.

Ich komme nach ihr an die Reihe, denn die Frau mit Hornbrille im hellrosa-weiß karierten Allzweckkleid bleibt auf ihrem roten Plastikstuhl sitzen und macht keinerlei Andeutungen, von ihrem Recht als Nächste Gebrauch zu machen. Wahrscheinlich sitzt sie einfach gerne hier und berät.

Der Metzger wäscht sich die Hände. Wie ein Ritual vollzieht er dies nach jedem Kunden. Nach dem Waschakt taucht er aus einem der hinteren Zimmer wieder auf.
pa`rriba


Bereit für die neue Kundin, legt er eine unverdächtiger Miene an den Tag, als gäbe es in seinem Leben kein Fleisch.


Nach 35 Minuten halte ich meine 3 Croissants in der Hand und werde von den Wartenden zu Hause heldenhaft gefeiert – jeden Tag aufs neue.

Text, Bild und Croissants-Kauf: Nina Schlieben

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