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macht laune: Durchschlagend formuliert

Die Erzählungen zur Biblioteca Nacional in Madrid klangen allesamt wenig ermutigend. So meinte ein Kenner der Lokalität, ein Nervenzusammenbruch am Ende der ersten Woche wäre das sicherste Zeichen dafür, alles richtig gemacht zu haben und verstanden zu haben, wie das madrilenische Bibliothekswesen funktioniert.

So gerüstet fand ich zunächst einmal alles gar nicht so schlimm, im Gegenteil: Der Hauptlesesaal hat durchaus etwas Erhabenes mit seinen roten Samtsesseln, mit seinen sehr hohen Wänden, von denen alle großen Namen Spaniens auf einen herabschauen und mit den Massivholzschreibtischen – fast ist man geneigt zu sagen "Schreibpulte", klänge das nicht allzu anachronistisch.

Und angesichts der meist nur kläglich ausgestatteten Bibliotheken in Deutschland zu Themen der Iberischen Halbinsel erscheint einem der Bestand hier zunächst wie das Paradies auf Erden. Das Paradies hat allerdings seine Haken: kopiert werden etwa dürfen nur Werke, die nach 1959 erschienen sind, und auch aus diesen nur je zwanzig Seiten.

Insgesamt bleibt hier nichts dem Zufall überlassen, für alles gibt es Vorschriften: Am Eingang wird eine Taschen- und Körperkontrolle durchgeführt, die der eines Flughafens würdig ist. Die Tasche wird durchleuchtet, man geht durch eine elektronische Schranke, die sofort anfängt zu piepen, wenn man vergessen hat, sein Portemonnaie abzugeben.

Nachdem man Mantel und Tasche eingeschlossen hat, passiert man dann einen weiteren Wachposten, der Ausweis und Arbeitsunterlagen überprüft, wobei jedes Blatt einzeln begutachtet wird. Schließlich gibt man seinen Ausweis ab und erhält im Gegenzug eine Sitzplatzkarte, die "Pupitre". Der zugewiesene Arbeitsplatz hat den Vorteil, dass an diesem ein rotes Lämpchen blinkt, sobald die gewünschten Bücher eingetroffen sind; und das geht meist unheimlich schnell. Allerdings darf man nur drei Bücher ordern. Die Anzahl lässt sich auf zehn erhöhen, wenn man vierundzwanzig Stunden im Voraus bestellt.

Dieser Vorgang funktioniert über das Ausfüllen handschriftlicher Formulare. Es gibt rosa Formulare für die sofortige Bestellung, blaue Formulare, für die Bücher, die ausgelagert sind, grüne schließlich für die Vorbestellungen – allesamt sind sie mit dreifachem Durchschlag versehen. Auch kopiert werden darf nur, was vorher in einem Durchschlagsformular festgehalten und abgestempelt worden ist. Man verbringt also einige Zeit damit, Formulare auszufüllen.

Einmal habe ich während der Mittagspause meine Sachen in einem offenen Schließfach vergessen. Doch ich hatte großes Glück, meine Kopien und Mikrofilm-Ausdrucke waren "gefunden" und abgeben worden. Man verzichtete darauf, herauszufinden, ob ich der tatsächliche Eigentümer war. Statt dessen füllten sowohl die Bibliotheksangestellte als auch ich je ein zweiseitiges Formular aus.

Obwohl ich in den ersten Tagen dachte, alles ganz souverän gemeistert zu haben, trat der prognostizierte Nervenzusammenbruch tatsächlich am Ende der ersten Woche ein: Ich wollte am Abend meine letzten Bücher zurückgeben, als mir die Dame hinter der Theke sagte, dass eines fehle. Das gesuchte Buch hatte ich bereits am morgen zurückgegeben; dennoch versammelten sich nun etwa acht Angestellte unterschiedlichen Dienstgrades, um den Fall zu beraten.


Ich dagegen wartete und wartete und wartete. Es stellte sich heraus, dass das Buch gar nicht fehlte. Vielmehr hatte ein emsiger Mitarbeiter der Bibliothek Unterstreichungen in besagtem Werk festgestellt. Die hatte ich in der Tat auch bemerkt, und sie ob ihrer Farbigkeit auf die sechziger Jahre geschätzt.

Sind die von Dir?", fragte mich ein unbekittelter Mitarbeiter.
Natürlich nicht", sagte ich.
"Das würde jeder sagen.", gab er patzig zurück, worauf ich weitere zwei Stunden zum Warten verdammt war. Erst als sich mein Gemütszustand nervlich dem Zusammenbruch näherte, durfte ich das Gebäude verlassen. Nachdem ich mich daraufhin das ganze Wochenende über in Tapabars hatte aufpäppeln lassen, erinnerte ich mich der warnenden Worte des Kenners der Biblioteca Nacional, trotzte der Bürokratie und beschloss von nun an noch mehr Zeit in de Bibliothek zu verbringen.

Text: Belle Bär
Fotos: Berthold Volberg
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