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caiman.de 6. ausgabe - köln, 01. juni. 2000
von humboldt bis venezuela joe

caimanexpedition im jahre 1850 (teil 1)

Am Abend des 19. April im Jahre 1850 verabredeten wir, bei einigen Fläschchen französischen Rotweins, "den caiman" ausfindig zu machen. Schon früh am Morgen des folgenden Tages trafen wir uns wie vereinbart ausgeruht und die Pferde gesattelt vor "La Mama". Unser asistente, sprich Guide, Don Joe wartete bereits mit drei mit erlesenem Proviant bepackten Eseln und seiner Mula.


unser asistente don joe
Dieser Anblick erfreute uns sehr, denn ein jeder unserer kleinen Gesellschaft hatte bereits über die Maßen schlechte Erfahrung mit sogenannten bzw. selbsternannten "Führern" gemacht, hängt doch das Gelingen eines Vorhabens wie dem unseren entscheidend von der Qualität des lokal bewanderten Begleiters ab.

Don Joe, soviel sei vorab erlaubt, erwies sich nicht nur als exzellenter Kenner des Weges und Koch mit erlesenem Gaumen, vielmehr vermochte er unser botanisches und ornithologisches Wissen um diverse Spezies beider Forschungszweige zu bereichern.

Punkt 5 Uhr in der Früh des 20. April, es war ein Donnerstag, verließen wir, das junge Forscherteam aus Köln, ein Vogelkundler-Pärchen aus Sachsen und Don Joe, bester Laune, ein fröhliches Liedchen auf den Lippen, die Stadt Mérida, in den venezolanischen Anden gelegen. Nach sechs Stunden im Sattel erreichten wir den bezaubernden Bergsee Laguna Mucubají. Wir begannen unverzüglich unsere Untersuchungen an der im Páramo zuhauf heimischen Epiletienart, die die Einheimischen als "Frailejón" bezeichnen. Doch erst am nächsten Tag ward uns der Zusammenhang zwischen der Pflanze und den "kleinen Franziskanermönchen" bewusst. Den Aguila-Pass bereitend, auf 4200 Metern Höhe, trafen wir auf dieselben Frailejones, nur waren diese - im Gegensatz zu den Bodengewächsen nahe der Lagune - mannshoch.

Und wahrlich, so in den Nebel gehüllt, die braunen langen Blätter wie eine Kutte von den Schultern herabfallend, glich die Pflanze einem Fray Jerónimo de Mendieta wie ein Ei dem anderen.

frailejón: der kleine mönch

Am 3. Tag war es uns per Zufall vergönnt, das Wissen der Ornithologie, um ein ausgesprochen auffälliges und schönes Exemplar zu bereichern. Der in der Sangeskunst weit bewanderte Sachse und ich entfernten uns etwa 300 Meter von der Gruppe, um einen kleinen Sängerwettstreit auszutragen. Bald schon wurde ich mir meiner Unterlegenheit bewusst, und so nutzten wir die gewonnene Zeit, den uns unbekannten Vogelrufen zu folgen, welche uns schließlich zu einem, dem deutschen Hahn in entferntester Weise ähnelnden, aber viel zierlicheren und trotzdem stolzeren Vogel führten. Männchen und die vergleichsweise hässlichen Weibchen waren schnell unterschieden, und so überließ ich, in Anbetracht meiner Niederlage, dem sächsischen Kollegen die Namensgebung. Er taufte ihn nach kurzer Überlegung auf den Namen "Anden-Felsen-Hahn". Dieses Ereignis musste natürlich gefeiert werden.


speis und trank sind des wandersmann glückseeligkeit
Und so begab sich Don Joe auf Trucha- (Forellen) Fang. Über dem Feuer gebraten ließen wir uns jeder zwei der köstlichen Fische munden und genossen dazu die letzten Flaschen Wein aus unserem Proviantkorb.

Der 4. Tag: Wieder auf dem Pferderücken, wurde es von Minute zu Minute wärmer. Und plötzlich lagen sie vor uns: Die Llanos - einem Weltmeer gleichend. Unglaublich! Noch heute hab ich dieses Bild vor Augen, das als erstes dem größten deutschen Forscher und unser aller Vorbild Alexander von Humboldt vorbehalten war. Im Wind wogen die Grasfelder wie Wellen, und erst beim Eintauchen in die selben wurde uns der täuschende Effekt gewahr.

Nach Barinas, der ersten Ansiedlung auf die wir - in dem wie sich bald herausstellen sollte - recht spärlich besiedelten Steppengebiet treffen sollten, wechselten wir in schnelleren Trab.

einkaufsstopp in barinas

Das Land vor uns war flach, soweit das Auge reichte, hin und wieder aufgelockert durch Galeriewälder, sprich Baumgruppen, die sich um ein Flussbett oder größeres Wasserloch gruppiert hatten, welche von der totalen Austrocknung während der Trockenzeit (die z.Z. herrschte) verschont blieben. Hier stießen wir bisweilen auf eine Horde Brüllaffen, deren Präsenz sich durch ihr enormes Stimmvolumen bereits kilometerweit im voraus ankündigte.

Plötzlich bäumte sich eines unserer Pferde auf und ging durch. Die junge Reiterin konnte sich nur noch einige Sekunden halten und wurde rüde auf die trockene Erde geworfen. Während sich der Rest unserer Truppe um die Reiterin sorgte, die glücklicherweise außer Schürfwunden und einem Schock keinen weiteren Schaden erlitten hatte, kümmerte ich mich um die Klapperschlange, die Ursache des Malheurs. Es sollte aber die einzige Begegnung mit einer giftigen Schlange während unseres zweiwöchigen Ausflugs bleiben.


hato la madera in den llanos
In der ersten Nacht allerdings, die wir nicht unter freiem Himmel verbrachten, hielt uns eine Gruppe Fledermäuse bei Laune. Lästig sind vor allem ihre recht übel riechenden Ausscheidungen, die sie mit einer gewissen Vorliebe genau über dem schlafenden Reisenden fallen lassen.

Ansonsten aber gibt es über die Lokalität, das Hato la Madera, nur das Positivste zu berichten: Speis und Trank uns sehr mundend und auch den Pferden wurde die liebevollste Pflege zu teil, die sie sich nach dem strapaziösen Ritt verdient hatten.

Das Ziel des 5. Tages, das Hato el Frío, lag einen weiteren Tagesritt entfernt. Wir überquerten gerade den Apurestrom, als Don Joe unsere Aufmerksamkeit auf einen caiman lenkte. Wir konnten aber nur ein Stück Treibholz ausmachen und zeigten uns bereits erbost über das Verhalten des asistente, der uns scheinbar zum Narren halten wollte, als das Holz für kurze Zeit unter der Wasseroberfläche verschwand, um im nächsten Augenblick, viel Wasser aufwirbelnd, mit einem großen Fisch im Maul wieder aufzutauchen. Unser erster caiman! – Und verdammt noch Mal, es war uns ganz schön mulmig zu Mute.

pa`rriba


Auf unserem weiteren Ritt allerdings, schlossen wir das Reptil immer mehr ins Herz, meist lag es einfach nur am Rand eines kleinen Tümpels und sonnte sich, trieb ohne großes Aufsehn auf dem Wasser - dass es sich nicht um Treibholz handelte, hatten wir bereits begriffen - oder huschte bei unserem Näherkommen in den nächsten Tümpel. Schließlich erreichten wir Momente vor dem in diesen Breiten üblichen raschen Sonnenuntergang unser Ziel und waren nur noch fähig, eine hamaca aufzusuchen und einen ersten Caimantraum zu träumen.

Nun standen uns fünf Tage im Herzen der Llanos bevor, die zu den schönsten meines Lebens zählen sollten...
Doch muss ich den werten Leser mit dem Fortgang der Schilderung unseres Ausfluges auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten, da mein Magen knurrt, und, obwohl ich über all die Jahre immer mehr zum "caiman" gereift, ich mich bei der Piranhajagd immer noch ein wenig schwer tue.

für nähere infos kontaktiert:
dirk@caiman.de (Dirk Klaiber)
Bild: Birgit Lindenberger
Text: Dirk Klaiber



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