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hopfiges: Pilsener (El Salvador)

El Salvador ist ein traumhaftes Land. Unzählige perfekt geformte Vulkane. Unberührte Seen-Landschaften mit Vögeln besiedelt, die das Herz eines jeden Birdwatchers in Wallung versetzen. Kilometerlange einsame Strände für das Bad zu Zweit. Wilde Wellen-Buchten für Boarder. Und die bestplatzierten Seafoodbars, die den allabendlichen Sonnenuntergang bei schwarzen Austern und gemeinsamem Trink-Schmerz-Gesang in die Seele brennen.

Doch scheinbar gibt es auch eine zweite Seite. San Salvador, die Hauptstadt des durchweg von bezauberten Menschen bewohnten Staates, steht auf Patz drei der gefährlichsten Städte Lateinamerikas. Das Tragen und Benutzen von Waffen scheint zumindest genau so gebräuchlich wie in einschlägigen Vierteln westeuropäischer Großstädte. Seit einiger Zeit versucht die Polizei der Gewalt Herr zu werden und verhängte ein strikt einzuhaltendes Alkoholverkaufsverbot ab zwei Uhr nachts.

Und genau an diesem Punkt setzen wir unseren Biertest an. Schnell finden wir zwei bis unter die Zähne Bewaffnete, die mit uns in die Nacht aufbrechen. Zunächst geht es auf Stippvisite in die Bar Tres Monkeys. Wir stürzen drei Halbe in der extrem ungefährlichen Szenerie. Ein laues Lüftchen fegt um die Terrasse der Bar. Der Kollege pfeift zwei Hübschen hinterher und flirtet ein wenig. Wir halten es mit dem Zweiten, lassen den Zahnstocher vom linken in den rechten Mundwinkel wandern, schauen zutiefst entspannt und unbeteiligt, quälen uns zu einem Hauch von einem Lächeln.

Ein leichtes Hungergefühl naht. Mit sportlichen 120 Meilen fegen wir durch die Innenstadt vorbei am geliebten Burger King. Die beiden wollen uns was bieten und so landen wir in einer Bar mit Livemusik und Fassbier. Zu jedem Glas reicht der Kellner Leckereien: scharf gebratene Nierchen, kleine lebende Muscheln, die unter dem Saft der Zitrone erzittern, Pansen auf frittierten Bananenscheiben, gesottenes Papageienblut mit Speckwürfen und weitere Schweinereien über deren Herkunft sie schweigen.

Als wir die Diskothek Jungle erreichen, ist es bereits ein Uhr. Noch genießen wir unser Pilsener völlig entspannt, denn der Test ist erst für die heiße Phase ab zwei anberaumt. Der Laden kocht. Die Jungs treffen Freunde und beteuern uns, dass hier im Laden mit keiner zwei Uhr Klausel zu rechnen sei. Doch sie fehlen. Kurz nach zwei rasen Kellner durch die Reihen, entreißen den Gästen die halbvollen Flaschen und entsorgen ihren Inhalt in die Pflanzendeko. Sekunden später wieseln verstohlen Zivilbullen durch die Menge und inspizieren Toiletten und Pflanzenbeete.

20 Minuten später herrscht urplötzlich erneuter Andrang am Tresen, der Bierverkauf ist wieder eröffnet. Doch das Trauerspiel von Entreißen, Vergießen und Inspizieren wiederholt sich abermals. Die Besitzer sind es leid und kündigen den Feierabend an.

Wir sind immer noch durstig. Ein zweiter Wagen voller Jungs und Mädels hat sich uns angeschlossen und so brettern wir gemeinsam auf der Suche nach Stoff durch die City. Zwei bekannte Tankstellen werden angesteuert - vergebens. Dann finden wir eine, die bevölkert ist mit Prostituierten und Transvestiten. Obwohl drei Polizeiwagen quer vor dem Eingang parken, versuchen wir unser Glück – abermals vergebens. Nach kurzem Schäkern mit der Straßenstrichbesatzung erhalten wir den gewünschten Tipp. Einige Blocks weiter biegen wir auf einen abgelegenen Parkplatz und drehen zunächst zwei Runden im Kreis. Dann werden die Wagen rückwärts gegen die Wand geparkt. Die Waffen kommen zum Vorschein und liegen griffbereit. Eins der Mädels verschwindet in der dunklen Spelunke und erscheint etwa zehn lange Minuten später mit drei Sixpacks Pilsener.

Wie im schlechten Latino-Gangster-Film wird die erste der beiden Molotov-CDs bis zum Anschlag aufgedreht, und der Biertest kann beginnen: Nicht nur unter diesen Bedingungen ist Pilsener ein exzellentes Bier, das unseren deutschen Bieren in nichts nachsteht. Gerade wenn man die Woche vor dem Test im durchaus in diesem Sinne entwicklungsbedürftigen Nicaragua verbracht hat, erobert Pilsener die Testerherzen im Fluge. Sanft im Ansatz, leicht bitter im Nachgeschmack und Kopfschmerz frei bei 4,7% Alkohol. Einziger Wermutstropfen ist das Etikett: Eine Herz-Ass-Spielkarte in schlichtem weiß.

Gesamteindruck: Gefährliches Bier, da äußerst süffig, in nur scheinbar gefährlicher Atmosphäre.

Bewertung Pilsener (1-4):

1. Hang over Faktor
(4 = kein Kopfschmerz):
2. Wohlfühlfaktor (Hängematte)
(4 = Sauwohl):
3. Etikett/Layout/Flaschenform
(4 = zum Reinbeißen):
4. Tageszeit Unabhängigkeit
(4 = 26 Stunden am Tag):
5. Völkerverständigung
(4 = Verhandlungssicher):


Verkoster: Dirk Klaiber

   

Link zur caiman Bierkunde:
Einführung in die Kolumne "hopfiges"

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