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Grenzfall: Die Hand Gottes - Obdachlosen Fußball WM 2004
Vorbereitung der argentinischen Nationalmannschaft

Wer erinnert sich nicht an die Fußball Weltmeisterschaft von 1986 als Maradonna den Pokal nach Argentinien brachte...?! Aber wer weiß schon, dass es auch eine WM für Obdachlose gibt? Sie wurde 2003 zum ersten Mal in Graz, Österreich, ausgerichtet. Spielerinnen und Spieler aus 18 Ländern, 20.000 Zuschauer, die die 109 Spiele begeistert verfolgten und anfeuerten, ließen die WM zu einer großen Veranstaltung werden. 90 Journalisten und 25 Fernsehsender verhalfen dem Ereignis zur Medienpräsenz.

Dieses Jahr findet die WM vom 25. Juli – 1. August 2004 in Göteborg, Schweden, statt und wird vom International Network of Streetpapers (INSP) und dem Homeless World Cup Office organisiert. Die Weltmeisterschaft ist eine großartige und einzigartige Möglichkeit für Obdachlose am sozialen Leben teilzunehmen und ihr Leben neu zu ordnen. Es gibt ihnen die Chance, über den Fußball ihre Würde und ihren Stolz neu zu entdecken und 90 Minuten in Freiheit zu spielen! Die Hoffnung der Organisatoren ist, dass man wieder ernsthaft über soziale Themen nachdenkt, den gesellschaftlichen Ausschluss von Obdachlosen neu diskutiert und dass durch diese Sportveranstaltung weitreichende Resozialisierungsmaßnahmen geschaffen werden. Inwiefern eine solche Veranstaltung nun nachhaltig ist, wird sich zeigen.

Dieses Jahr nehmen 32 Länder an der Weltmeisterschaft teil. Zugelassen sind u.a. obdachlose Frauen und Männer über 16 Jahre und Menschen, die ihr Einkommen aus dem Verkauf der Obdachlosen Zeitungen beziehen. Es gelten die internationalen Fußballregeln, wobei die Mannschaften nur aus 8 Spielern und 2 Trainern bestehen.

Es ist nun kaum zu glauben, dass die 1. Fußballweltmeisterschaft der Obdachlosen in Österreich ohne eine argentinische Fußballmannschaft stattgefunden hat! Und das obwohl in Argentinien die berühmtesten Fußballspieler wie Diego Maradonna und Carlos Tevez (der neue Stern am argentinischen Fußballhimmel) aus ärmlichen Verhältnissen stammen und ihre göttlichen Fußballtalente ihnen den Weg nach oben und nach draußen ermöglicht haben. Und das obwohl es auch in Argentinien eine soziale Einrichtung, Hecho en BSAS (HBA), gibt, die monatlich eine Obdachlosen Zeitung mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren herausbringt!

Wir sprachen mit Tamara Slowik, die die Organisation und Koordinierung der argentinischen Fußballmannschaft für die WM 2004 ehrenamtlich übernommen hat:

Majo: Tami, Du hast im November 2003 ehrenamtlich die Koordinierung der argentinischen Fußballmannschaft übernommen. Warum?

Tami: Ich hatte gerade einen Artikel in der Zeitung von HBA über die WM in Österreich gelesen und festgestellt, dass keine argentinische Mannschaft daran teilgenommen hat. Ich habe also bei HBA angerufen und erfahren, dass man weder über die finanziellen noch über personelle Möglichkeiten verfügen würde, um eine Mannschaft auf die Beine zu stellen. Daher habe ich mich angeboten, den Job ehrenamtlich zu übernehmen!

M: Was wird vom Homeless World Cup Office bereitgestellt und was müsst ihr selber beisteuern?

T: Das Homeless World Cup Office stellt internationale Sponsoren, Unterkunft, Essen, Transport vor Ort, internationale Pressemitteilungen, Videoaufnahmen und Bildmaterial zur Verfügung. Wir müssen uns um unsere eigenen Vorbereitungen kümmern, Geldgeber finden, das Team aufstellen, die Reise organisieren, administrative Dinge – wie Reisepass und Krankenversicherung – vorbereiten.

M: Mit welchen Problemen hast Du zu kämpfen?

T: Es gibt eine Anzahl von Problemen: Die meisten Verkäufer der Obdachlosen Zeitschrift von HBA, die letztendlich das Fußballteam bilden, sind Obdachlose. Daher haben die meisten keinerlei Papiere, keinen Personalausweis, geschweige denn einen Reisepass! Viele von ihnen sind entweder vorbestraft oder werden polizeilich gesucht, so dass sie keinen Reisepass beantragen können! Weiterhin befindet sich Argentinien in einer Wirtschaftskrise. Es ist sehr schwer, Unterstützung zu bekommen. Unternehmen können keine Mittel bereitstellen, da sie selber entweder kurz vor dem Bankrott stehen oder bereits bankrott gegangen sind oder weil sie gerade für wenig Geld von multinationalen Firmen aufgekauft wurden., Hinzu kommt, dass ich wenig Zeit habe, da ich ganztags arbeite, aber viele Dinge und Telefonate erledigt werden müssen, die nur zu den üblichen Bürozeiten gemacht werden können!

M: Woher stammen die Obdachlosen?

T: Es gibt in Buenos Aires insgesamt 280 Verkäufer, die zum größten Teil aus Buenos Aires selbst kommen. Die anderen kommen aus den ländlichen Gegenden oder aus Grenzgebieten, die zu der Zeit als es Buenos Aires wirtschaftlich sehr gut ging, in die Stadt gegangen sind, um dort ihr Glück zu finden. Nach dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch haben sie das Wenige, was sie besaßen, sofort verloren! Generell ist es so, dass die Mehrheit der Verkäufer aus den unteren Schichten kommt, in Einzelfällen kommen sie aus der Mittelschicht.

M: Wie erfolgt die Zusammenstellung der Mannschaft?

T: Im März haben wir mit der Auswahl der Spielerinnen und Spieler begonnen. Erfreulicherweise stellt uns der Club Atlético Boca Juniors (CABJ) seine Fußballplätze zur Verfügung, um dort die Leute trainieren und spielen zu lassen. Es gibt aber immer wieder Probleme, die kaum zu überwindende Hürden darstellen, wie die Ausstellung der Reisepässe. Es können natürlich nur die ausreisen, die nicht polizeilich gesucht oder nicht vorbestraft sind, von denen wiederum nur die mitkommen können, die körperlich und geistig gesund sind! Aus versicherungstechnischen Gründen brauchen wir aber jetzt schon allein für die Trainingsstunden auf den Plätzen des CABJ Ausweise und Krankenversicherungen für die Spielerinnen und Spieler....

M: Wie werdet ihr trainieren?

T: Wir werden voraussichtlich 2x die Woche jeweils 4 Stunden trainieren. Unser Trainer ist ein ehemaliger Obdachloser und ehemaliger Verkäufer der Obdachlosen Zeitung, der jetzt als Trainer für den CABJ arbeitet und die unteren Ligen trainiert. Er kennt sich daher sowohl mit Fußball als auch mit Obdachlosen aus!

M: Da sich Argentinien erst gerade von der wirtschaftlichen und politischen Krise erholt, kämpfen alle noch ums Überleben. Erhältst Du trotzdem Unterstützung?

T: Wie ich eben schon sagte: Es ist sehr schwierig! Man kann den Unternehmern keinen Vorwurf daraus machen, dass sie ihre Landsleute nicht unterstützen, wenn ihre eigene Firma gerade bankrott geht! Deshalb konzentriere ich mich auch auf die multinationalen Firmen... Wir erhalten zudem Unterstützung von Menschen, die erfahren haben, dass dieses Jahr die WM in Schweden stattfindet und nun einen Dokumentarfilm über die Vorbereitungszeit in Argentinien und die Spiele selbst drehen wollen.

M: Obdachlose sind dabei nicht unbedingt die gefragteste Zielgruppe von Sponsoren: Stößt Du trotzdem auf positive Resonanz?

T: Im allgemeinen schon, denn auch wenn Obdachlose nicht die Zielgruppe von Sponsoren sind, so ist es der Fußball auf jeden Fall. Und darin liegt die Magie und die Kraft dieser WM: zwischen all den verschiedenen Strategien und Möglichkeiten der Ressourcenmobilisierung ist Fußball genial einfach: Er begeistert die Menschen.

M: Sind die Sponsoren bereit, Euch auch mit anderen als finanziellen Mitteln zu unterstützen?

T: Die meisten stellen uns andere Mittel zur Verfügung! Für uns sind diese Mittel einfacher einzusetzen. Es macht auch vieles transparenter und weniger verfänglich!

M: Wie soll es nach dem Spiel weitergehen?

T: Den Obdachlosen sollen auf jeden Fall sämtliche Türen geöffnet werden, d.h. die WM soll ihnen die Möglichkeit geben, aus ihrer Obdachlosigkeit herauszukommen: den Kontakt zu ihren Familien wiederherzustellen, Freundschaften zu knüpfen, eine Arbeit zu finden, eine Wohnung zu beziehen und ihnen den Glauben an sich selbst und Hoffnung zu schenken! Es soll sie aber auch dazu motivieren, weiterhin Fußball zu spielen und mehr Menschen in ihrer Umgebung einzubinden und so auch diesen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben zu verändern.

M: Welches war bis jetzt Dein schönstes Erlebnis?

T: Die Vorbereitungszeit fängt gerade erst an! Ich habe all die schönen Erlebnisse noch vor mir!

M: Würdest Du es nächstes Jahr wieder machen?

T: Ja! Auf jeden Fall!

Tamara Slowik, 32 Jahre, ist Anwältin und lebt in Buenos Aires. Sie arbeitet in der NGO "El Otro", wo sie hauptsächlich für Ressourcenmobilisierung verantwortlich ist. Sie ist Ansprechpartnerin für das argentinische Team und jederzeit unter tamaraslowik@hotmail.com zu erreichen. Wenn es die finanziellen Umstände erlauben, wird sie im Juli 2004 mit der Fußballmannschaft nach Schweden fliegen.

Text: Maria-José Poddey
Foto: www.faktum.nu
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Für mehr Informationen über die WM 2004 könnt ihr auf folgende Links klicken:
streetsoccer.org
hechoenbsas.com
www.street-papers.com

Weitere Artikel zur Kolumne findet ihr im Archiv.







 
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