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Grenzfall: Hot Dog mit Elza

Rauchige Spannung wabert durch die Halle. Die Spotlights ziehen geräuschlos ihre Bahnen, die Verstärker summen ihre erwartungsvolle Rauschmelodie leise vor sich hin. Die Spannung ist zum Greifen nah. Viel gehört haben wir von der "Stimme des Jahrhunderts", der Alt-Diva Elza mit dem rund gespritzten Gummigesicht. Die Band kommt auf die Bühne, schiebt dem Publikum einen schneidenden Beat ins Gehör. Und dann kommt sie...

"Rund" ist wohl das erste, was einem bei ihrem Anblick in den Sinn kommt. Sie steckt in einem knallengen Glitzerkleid, das die Pobacken extrem zur Geltung bringt. Können diese echt sein angesichts ihres fortgeschrittenen Alters? Aber vielleicht liegt es an ihrem jugendlichen Liebhaber, dass die 1937 in einer Favela in Rio geborene Elza immer noch so gut in Schuss ist?

Mit "A carne" – "Das Fleisch", eröffnet sie passend zu diesen Überlegungen ihr Set. Eindrucksvoll ertönt ihre rauchige Stimme. Ihr Markenzeichen schneidet sich wie eine Motorsäge durch die Gehörwindungen. Wie aus einer Pumpgun geschossen prasseln die Töne in Salven auf das staunende Publikum nieder. Ihre Hüften rotieren zum Samba schneller als ein Kolibri flattern kann.

Zu alledem verzieht sie keine Miene. Ihr Gesicht gleicht einer Maske, die Backenknochen sind zu Tennisballgröße aufgespritzt, der Mund stramm gezogen und von den unter einer Schicht schwarzer Schminke bedeckten Augen sieht man auch nicht wirklich viel. Sie shakert mit ihren Musikern, die alle zusammen etwa so alt sind wie Elza für sich alleine. Sie bringt Klassiker ihrer 50-jährigen Karriere, von damals, als sie unter anderem mit Louis Armstrong sang, vor langer langer Zeit.

Mit 12 Jahren heiratete sie zum ersten Mal, mit 13 bekam sie ihr erstes Kind, mit 18 wurde sie Witwe. Damals arbeitete sie in einer Seifenfabrik, um zu überleben, bis sie entdeckt wurde und zum Star aufstieg. In den 60ern heiratete sie den brasilianischen Wunderstürmer Garrincha, Torschützenkönig der WM 1962, und half ihm dabei, sich ins Grab zu trinken und sein Vermögen zu verprassen.

So etwas kann an einem nicht spurlos vorbei gehen. Doch ihre Stimme ist immer noch die gleiche, vielleicht sogar besser denn je.

Vor ein paar Jahren wurde sie von einem US-amerikanischen Musikmagazin zur "Stimme des Jahrhunderts" gewählt. Dabei schien ihre Karriere bereits beendet. 1997 erschien einem Nachruf gleich ihre Biografie: "Singen, um nicht verrückt zu werden".

Ein nachhaltiges Summen liegt in unseren Ohren, als wir nach 90 Minuten Elza-Total die Halle verlassen und im kalten Nachtwind auf unser Taxi warten.

Ein heißer Hot-Dog scheint genau das richtige, um die Wartezeit in dieser ungemütlichen Winternacht zu überbrücken. Und dann passiert es: Durch einen Nebenausgang kommt Elza auf uns zu, umringt von ihren Bodyguards. Um die Schultern hat sie sich einen wärmenden Pelzmantel gehängt. Sie bleibt stehen und überlegt laut: "Der Hot-Dog sieht echt lecker aus..."

Da ist sie wieder, diese rauchige Stimme. "Möchtest Du?", fragt einer von uns und hält ihr den Hot-Dog unter die Nase. Sie scheint einen Augenblick zu überlegen, dann antwortet sie: "Nein danke! Gute Nacht, Ihr Lieben", hebt kurz die Hand zum Abschied und verschwindet in der tiefschwarzen Nacht.

Text + Fotos: Thomas Milz druckversion  

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