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Kuba: Konzerte sind heilige Orte
Interview mit dem kubanischen Musiker und Sänger Raul Paz

Raul Paz ist mit seiner neuen CD "Mulata" (Ministry of Sound 0030015) auf Tournee. Das Album ist eine Mischung aus Popmusik, kubanischen Rhythmen, Hiphop und anderen urbanen Sounds, garniert mit ein wenig Elektronik. Tanzbar und gute Laune erzeugend.

Der Titel "Mulata" erinnert mich sehr an die beiden letzten Alben von Santana, kann das sein?
Vielleicht, denn die beiden letzten Alben von Santana klingen wie die von... (lacht!). Ich denke wir kommen alle aus einem Kulturraum. Vieles was Santana gemacht hat, erinnert stark an guajira, eine ländliche Musik aus Kuba. Aber Santana habe ich nie viel gehört, auch wenn mir seine Platten gefallen. Ich habe eher Sachen aus dem angelsächsischen Raum gehört.

Was zum Beispiel? Wenn Du Idole hast – international und in Kuba – wer sind sie?
Ich habe eines Tages beschlossen, keine Idole mehr zu haben, denn als Kubaner bekommst Du genug Idole vorgesetzt. Das war so im Alter von 13, 14. Aber bis dahin haben mich natürlich die Sänger der Nueva Trova begeistert, Pablo Milanés etc.

International hat mich der Pop der 70/80er Jahre geprägt, der trotz aller Sperren nach Kuba kam. Verbotenerweise habe wir immer Sender aus den USA gehört.

Radio Martí?
Nein, es waren englischsprachige Kurzwellensender mit viel Musik. Dank ihnen habe ich Led Zeppelin kennen gelernt oder Brian Adams. Danach habe ich die música campesina meiner Heimatregion entdeckt. Ich komme aus einem Dorf und ich glaube, das war letztendlich der entscheidende Einfluss: Leute mit einer Gitarre, die sich jeden Sonntag treffen, um gemeinsam zu spielen. Diese Musik ist sehr einfach, viel Improvisation. Ich glaube diese Leute sind meine wahren musikalischen Idole.

Hast Du diese Musik erst später für Dich entdeckt oder schon als Teenager? Normalerweise lehnen Teenager solche Musik doch als altbacken ab.
Das war ein evolutionärer Prozess. Es gibt da zwei Etappen: meine Ausbildung in Kuba und die Zeit im Ausland. Eine Charakteristik der kubanischen Musiker ist, dass sie einen sehr offenen Geist haben. Sie wollen so viel wie möglich lernen, von allen Musikrichtungen und Kulturen. Während der ganzen Ausbildung als ich klassische Musik und Jazz studierte, gab es diesen Einfluß der Musik meines Dorfes und aus dem Radio. Darum sind auch sie Teil meiner Ausbildung. Als ich Kuba verlassen habe, passierte mir was allen passiert: es gab einen Moment der Nostalgie, in dem ich kubanischer wurde als je zuvor. Wenn man weit weg ist, sucht man eher nach seinen Wurzeln.

Als Du Kuba verlassen hast, war das ein wirkliches Exil oder ein "samtenes", wie die Kubaner sagen, bei dem man problemlos zurückkehren kann, so wie zum Beispiel Gonzalo Rubalcaba?
Ich habe Kuba verlassen, um in Brasilien einen Film zu drehen, da ich ja auch Schauspielkunst studiert habe. Und schon als Kind hatte ich den Wunsch zu reisen. Von diesem Standpunkt aus ist es ein "natürliches" Exil, denn als ich konnte, habe ich meinen Wunsch verwirklicht. Das politische Exil habe ich nicht selbst gewählt. Ich hatte nie etwas mit Politik zu tun und nie die Idee, aus diesen Gründen Kuba zu verlassen. Leider hat mich die Tatsache, nicht zum vorgegebenen Zeitpunkt nach Kuba zurückgekehrt zu sein, gezwungenermaßen zu einem Teil des politischen Exils gemacht. Jetzt muss ich wie alle anderen auch ein Visum beantragen etc., wenn ich nach Kuba reisen will. Aber das war nie meine Absicht, weil ich nichts mit Politik zu tun haben will.

Auf der CD gibt es keine Credits, warum nicht? Spielen auch andere Kubaner mit?
Genau deswegen. Es gab Rechtsprobleme mit dem kubanischen Staat. Deswegen hätte ich nur einige Musiker nennen können und andere nicht. Das erschien mir ungerecht, so ließ ich alle weg. Es wirken viele Kubaner mit, denn den traditionellen Teil haben wir in Kuba eingespielt: Klavier, Bass, Percussion. Danach haben wir in Frankreich die Stimmen aufgenommen und weitere Instrumente und sind dann nach Hannover zum End-Mix gefahren und um kleine elektronische Akzente setzen zu lassen, wobei die Platte keine elektronische ist. Aber ich wollte der Platte eine leichte elektronische Färbung geben.

Du sprichst von elektronischer Färbung. Wie hat dieser Prozess funktioniert? Haben die DJs Dir Vorschläge gemacht oder habt Ihr das gemeinsam erarbeitet?
Bei mir war es immer so, dass wenn ich Musik geschrieben und produziert habe, egal ob Klassik oder Pop, viele Leute daran beteiligt waren. Ich bringe einen Teil und hoffe, dass die anderen diesen dann weiterentwickeln. In Hannover war es ähnlich: Ich habe Ferry Ultra und Danya meine Musik präsentiert und gesagt, dass sie etwas vorschlagen, mich in ihr Universum tragen sollten. So kam es zur Fusion aus zwei total unterschiedlichen Kulturen. Darüber hinaus konnten wir uns sprachlich ohnehin kaum verständigen. Ich spreche kaum Englisch und kein Deutsch, sie kaum Spanisch. So sprachen wir durch die Musik. Das klappte gut.

Auch in Kuba gibt es ja Leute, die elektronische Musik machen, z.B. Edesio Alejandro. Hast Du dort auch schon mit elektronischer Musik experimentiert?
Ja. Wie Du schon sagst, gibt es in Kuba schon lange eine intellektuelle Bewegung, die mit elektronischer Musik experimentiert. Ich hatte das Glück auch mit Juan Blanco, einem Pionier dieser Musik, zu arbeiten. Ich habe in seinem Studio in Havanna meine ersten Aufnahmen gemacht. Ich war 17 und bin mit meiner Gitarre dort angekommen. Das war zwar keine elektronische Musik, aber ich konnte das Studio nutzen. Und 1989 habe ich am 1. Festival für elektroakustische Musik teilgenommen, das in Varadero stattfand. Ich habe bei einer Art elektroakustischer Oper mitgesungen. Wenn mich mal wieder jemand fragt, ob ich die Elektronik benutze, um meine Musik der aktuellen Mode anzupassen, antworte ich immer, dass ich schon mit 17 elektronische Sachen gesungen habe und es interessant fand.

Und wenn Du dann so berühmt bist wie Ricky Martin, finden wir diese Aufnahmen und werden sie auf einem B-Side-Album veröffentlichen.
Keine schlechte Idee (lacht!)

Du lebst in Paris, die kubanischen Hiphoper Orishas ebenso und auf deiner Platte gibt es Hiphop-Einflüsse. Werdet ihr mal zusammenarbeiten?
Ich war bei der Gründung der Orishas dabei, den Namen haben Ivan, Nico und ich gefunden. "Historias", ein Stück von meiner ersten Platte, sollte eigentlich ein Orishas-Titel werden. Es war auf einem Demoband, durch das sie ihren Plattenvertrag mit EMI bekommen haben. Leider gab es dann Probleme zwischen uns und ich unterschrieb einen Vertrag mit RMM in den USA. Aber sie sind noch meine Freunde und ich mag ihre Musik sehr. Wir sind alle aus einer Generation und machen so genannte "urbane" kubanische Musik, d.h. solange es die cubania als Basis gibt, passt da alles rein.

Es gibt auch Reggae-Einflüsse auf "Mulata".
Ja, auf meinen Reisen bin ich auch mehrmals in der Karibik gewesen und das ist eine kleine Erinnerung daran. Außerdem hat die Musik von dort die gesamte heutige Pop-Musik sehr geprägt.

Gibt es Pläne, mal mit deinem berühmten Onkel "Changuito" zusammen zu spielen?
Nein. Er ist ein großer kubanischer Musiker, aber nein. Außerdem sind wir erst seit kurzem eine Familie, vorher habe ich ihn nie gesehen, was in den Pressemappen steht ist totaler Blödsinn. Es war allerdings eine nette Geschichte, wie wir zusammen gefunden haben: Wir trafen uns zufällig in Paris und sprachen natürlich über Musik. Er mochte meine Platte. Wir unterhielten uns weiter und stellten fest, dass wir beide aus Pinar del Rio sind. Dann merkten wir, dass wir beide aus einer Familie namens Quintana stammen. Und meine Mutter, die zufälligerweise auch dabei war, rief ihre Mutter in Kuba an und es stellte sich tatsächlich heraus, dass wir verwandt sind. Das war schon sehr emotional. Na ja, vielleicht können wir doch mal zusammen spielen...

Warum bist Du nach Frankreich gegangen?
Wie ich schon sagte, habe ich Kuba nicht verlassen, um an einen bestimmten Ort zu gehen, sondern um zu reisen. Es war klar, dass ich nicht in die USA gehen würde, denn mich nervte die Politik in Kuba und ich wollte nicht in eine eben so nervige Politik nur von der anderen Seite hineingezogen werden. Von Brasilien ging ich nach Argentinien, Mexiko, blieb ein wenig dort und eines Tages hatte ich das Glück, ein Gesangs-Stipendium für Frankreich zu bekommen ... und bin dort geblieben. Ich war dann kurze Zeit in New York, aber das war mir zu schnell, und so kehrte ich zurück. Und nun habe ich ja auch eine Familie in Frankreich.

Für Musiker wie Dich, die moderne Musik mit vielen Einflüssen machen, ist Paris, neben Barcelona, ja auch ein idealer Ort.
Ja, die lateinamerikanische Gemeinde dort ist groß und vielfältig. Zu den großen nord- und zentralafrikanischen Szenen habe ich allerdings noch keinen Zutritt gefunden. Es gibt viele Asiaten und Europäer von überall. Das gibt es in Madrid nicht und in Barcelona nur in kleinerem Ausmaß. An meinem zweiten Abend in Paris wurde ich zu einem Geburtstag in einen Club eingeladen. Dort gab es eine Jam-Session mit Musikern aus vielen Ländern und plötzlich stand ich auch auf der Bühne und sang. Das war toll und ich dachte, mein Traumland gefunden zu haben. Das beeinflusst natürlich auch meine Musik.

Was wird bei der nächsten CD anders sein als bei dieser?
Ich glaube, sie wird akustischer werden als diese. Und ich möchte einmal alles zusammen aufnehmen, nicht immer einzelne Spuren. Dann kann ich auch mehr ich selbst sein, denn das gleicht eher einer Konzertsituation. Und der heilige Ort ist für mich das Konzert. Wenn ich da rausgehe, sind die Lieder wie nie zuvor, manchmal natürlich auch schlechter. Diese Spontaneität fehlt bei vielen heutigen Alben, sie klingen sehr perfekt, aber auch klinisch und das will ich anders machen.

Text: Torsten Eßer / Cécile Carrion
Foto: amazon.de
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