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Música: Música chilena

Fragt man Liebhaber lateinamerikanischer Musik auf europäischen Straßen nach chilenischer Popmusik, fällt den wenigsten auf Anhieb etwas ein. Was die Popszene betrifft, hat sich kaum eine chilenische Band auf dem internationalen Markt etablieren können.

Die Helden der 1980er Jahre, wie Los Prisioneros oder La Ley bestimmen bis heute die Charts. Los Prisioneros hatten 1984 mit La Voz de los 80 ihren ersten Hit herausgebracht. Eugenio Nuñez (27), Musikexperte aus Santiago, erklärt, dass es sich bei der Formation um Jorge González, Claudio Narea und Miguel Tapia um die erste politische Band handelt, die unter der Diktatur Augusto Pinochets innerhalb Chiles Protestlieder sang. Die heftigste Attacke auf das diktatorische Regime war das in nur vier Monaten produzierte Album La Cultura de la Basura. Dieses war im Klima der Vorbereitung der Opposition auf das Plebiszit, mit dem der General 1989 abgesetzt wurde, entstanden.

Die musikalischen Vorbilder der Prisioneros sind Kiss und The Beatles. Ihre Musik war in Chile, obwohl die Band zehn Jahre lang kein Album veröffentlicht hat, ständig präsent. So ist es nicht verwunderlich, dass ihre neue CD Ultraderecha schon während der Präsentation im Mai 2003 bei Feria del Disco, dem größten Plattenladen Santiagos, ausverkauft war.


In einem Interview wundert sich Jorge González: "Was uns am meisten erstaunt, ist, dass so viele Leute nach uns verrückt sind, die nicht mit dieser Band aufwuchsen, sondern viel jünger sind. Das geht von den Sechsjährigen bis zu den Teenagern. Das sind unsere größten Fans."

Der Heimatkult boomt
Während man in Deutschland über die Einführung einer gesetzlich festgelegten Quote für deutschsprachige Musik im Radio debattiert, ist der Heimatkult der chilenischen Musik schon seit einigen Jahren auf dem Vormarsch. Nuñez erklärt: "Wenn man nur von den Verkaufszahlen ausgeht, würde ich sagen, der Anteil einheimischer und ausländischer Musik am chilenischen Markt ist derzeit etwa fifty-fifty. Zwar sind Eminem, Limpkin Park oder Blur auch hier in den Charts, aber die Jugendlichen begeistern sich genauso für chilenische Musik."

In den letzten Jahren hat sich die chilenische Bandkultur sehr viel weiterentwickelt. "Bis in die neunziger Jahre gab es fast nur den typischen Rock und Pop, auch Funk von Los Tetas oder Hip-Hop von Tiro de Gracia, so Nuñez. "In den letzten vier Jahre hat sich hier aber viel getan. Es gibt jetzt sowohl Folklore als auch chilenischen Punk, Rap und Elektro." Die Musiker kommen aus allen Schichten der heterogenen chilenischen Gesellschaft. Dies spiegelt sich auch in der Musik wider. So widmen sich die Bands der unteren Schichten eher dem Hip-Hop, während die Mittelklasse auch traditionelle Elemente chilenischer Musik aufnimmt. Darunter sind Gruppen, wie Los Tres oder Los Bunkers, die für europäische Ohren vor allem an Britpop erinnern. Auch hier werden The Beatles als bedeutende Einflußgröße genannt, aber auch die chilenische Musik der 60er Jahre, wie Violeta Parra, Victor Jara oder Los Jaivas.

Die Oberschichtsrocker La Ley und Lucybell dagegen orientieren sich mehr an nordamerikanischen Vorbildern. "Der Boom der chilenischen Musik in den letzten vier, fünf Jahren spiegelt die wirtschaftlichen Situation des Landes wider", meint Nuñez, "den Leuten geht es besser. Außerdem gibt es mehr Orte, an denen die Bands live spielen können." Independent Bands und kleine Labels haben es dennoch schwer. In den chilenischen Medien gibt es kein spezielles Musikprogramm.

Der Markt bleibt weiterhin dem Lateinamerikaformat von MTV überlassen. "Das Marketing eines großen Labels ist daher superwichtig", sagt Mauricio Durán von Los Bunkers. Daher wechselte die Band, die ihre erste Platte beim Independent-Label Big Sur veröffentlichte, für das zweite Album Canción de Lejos zu Sony Music.

Chilenische Musik im Ausland
Ein großes Label hilft natürlich auch, im Ausland berühmt zu werden. Für die meisten chilenischen Bands bedeutet "Ausland" aber vor allem Lateinamerika. Die Peruaner, Kolumbianer und Mexikaner legen gerne Los Prisioneros oder Los Tetas auf.

Auf der anderen Seite des Atlantiks haben bislang nur wenige von sich reden gemacht, mit Ausnahme die Altrocker von La Ley. Doch eine neue Entwicklung ist erkennbar. In der Szene elektronischer Musik etwa sind in Europa die Chilenen gefragt. Viele von ihnen leben hier und fühlen sich wohl.

Die 27jährige "DJane" Alejandra Iglesis, alias Miss Dinky, beispielsweise ist gerade nach Berlin gezogen. Chile hat sie jedoch schon vor acht Jahren verlassen – zunächst für ein Tanzstudium in New York. Dort begann sie, elektronische Musik aufzulegen und zu komponieren. Mittlerweile hat sie in vielen Ländern Lateinamerikas einen Namen. Nach Chile möchte sie aber vorerst nicht zurückkehren. "In Chile bekomme ich einfach keinen Input. Da ist alles so langsam, man hat das Gefühl, es bewegt sich fast gar nichts."


Trotzdem reist Dinky, die gerade ihr zweites Album Black Cabaret herausgebracht hat, regelmäßig in ihre Heimat und hat dort das Frauen-DJ Kollektiv Angels on Vinyl aufgebaut. Trotz aller Kritik scheint es, dass Chile ihr dennoch am Herzen liegt...

Text: Britta Margraf und Tini von Poser Druckversion    

Dieser Artikel ist erschienen in der Zeitschrift Matices (Heft 38/2003). Diese erhaltet ihr bei:
Projektgruppe Matices e.V., Melchiorstr. 3, 50670 Köln, Tel.: 0221-9727595

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