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brasilien

Kapitän David und die Walfänger
Die Rettung kommt aus dem Meer
Früher lebten viele Menschen an der Südküste Santa Catarinas vom Walfang. Doch nachdem im Jahr 1973 die letzte Walfangstation in Imbituba ihre Tore schloss, ging es wirtschaftlich steil bergab. Nun keimt wieder Hoffnung auf. Dabei setzt man ausgerechnet auf die Lebewesen, die man früher gnadenlos gejagt und getötet hat und hofft, dass diese zahlreiche Touristen anlocken werden: die Wale.

Die Region Santa Catarina gilt in Brasilien als eine Art Musterländle. Es ist der am stärksten von deutschen Einwanderern geprägte Bundesstaat. Dafür stehen Städte wie Blumenau mit seinem "Oktoberfest" und Joinville und Pommerode mit ihrer Lederhosenidylle. Und Florianopolis ist die heimliche Hauptstadt Südbrasiliens und Surferparadies zugleich. Doch an der Küste weiter südlich merkt man nicht viel davon an. Die Bevölkerung ist meist portugiesischer Herkunft, viele von den Azoren. Angeblich waren 100 Abenteurer von dort auf dem Weg nach Argentinien, um Silber zu suchen, als ihr Schiff vor Imbituba strandete, wo sie sich zwangsläufig niederließen. "Die Leute von den Azoren sind ein typisches Inselvolk, ein wenig lethargisch-fatalistisch, ohne den Drang, wirklich etwas auf die Füße zu stellen", erzählt der Taxifahrer. Und so dümpelt die Region vor sich hin. "In den letzten Jahren wurde stark auf die argentinischen Touristen gesetzt, bis dann die argentinische Wirtschaft zusammenbrach. Die reichen Argentinier machten in Florianopolis Urlaub, hier bei uns an der Küste dagegen waren es eher die ärmeren Argentinier", erzählt der Taxifahrer weiter. "Naja, davon gibt es ja jetzt richtig viele"; doch meinen kleinen Witz überhört er.

"Die Südküste ist die zweitärmste Region Santa Catarinas. Im Sommer, von Dezember bis März, haben wir zahlreiche Touristen, doch zwischendurch passiert nicht viel. Nur ein paar Surfer verlaufen sich hierhin." Der Hoteldirektor setzt seine Hoffnung auf das "Projekt Baleia Franca", einem Programm zur Beobachtung und zum Schutz der vor Santa Catarinas Küste niederkommenden Wale. Sie sollen Touristen in die Region bringen, die die bis zu 17 Meter langen und 45 Tonnen schweren "Baleia Francas", in Fachkreisen auch als "Eubalaene Australis" oder "Right Whale" bekannt, aus der Nähe betrachten möchten.

Die "Baleia Franca" wandert während des Jahres im Südatlantik zwischen der Küste Südamerikas, Afrikas und der Antarktis. Die Muttertiere kommen zwischen Juni und Dezember an die Küste Santa Catarinas, um dort in den flachen und geschützten Buchten und dem wärmeren Gewässer ihre Jungen zur Welt zu bringen. Die Männchen begleiten sie nur bis zur Halbinsel von Valdez in Argentinien, danach ziehen die Weibchen alleine weiter. In den ersten Wochen ernähren sich die Jungtiere von Muttermilch, die dermaßen fettreich ist, dass die Kleinen bis zu 50 Kilo Gewicht pro Tag zulegen. Später steigen sie dann auf bis zu eine Tonne Krill pro Tag um.

Der zahnlose Museumsführer muss so um die 80 Jahre alt sein. "Ich bin, so glaube ich, der letzte von den Walfängern, die noch leben. Wir hatten Harpunen mit Sprengköpfen, die explodierten, sobald sie in den Wal eindrangen. Wenn der Wal dann zerlegt wurde, stank die ganze Stadt, tage-, nein, wochenlang. Das Fleisch wurde weggeworfen, uns interessierte nur das Öl, das als Brennstoff für Lampen verwandt wurde." Die Kessel, in denen früher das Walöl gefiltert wurde, sind zwar vollkommen verrostet, aber um sie herum hat man ein Museum gebaut. Davor wurde eine marmorne Walflosse mit Häuptling Seattles berühmter Warnung vor der Unessbarkeit des Geldes aufgestellt. Es ist schon die zweite Flosse. An die erste hatte jemand sein Pferd angebunden, bis dieses dann auf die Idee kam, Reißaus zu nehmen und die Marmorflosse in Einzelstücken zurückzulassen.

Außerhalb der Saison gleicht Imbituba einer Geisterstadt. "Die Leute wissen einfach nicht, dass hier in Imbituba die besten Surfstrände Brasiliens warten. Und wenn man Glück hat, taucht plötzlich neben einem noch ein 15 Meter großer Wal auf. Was will man mehr?"

Wir gehen auf ein letztes Bier in die "Anker-Bar". Hier kuscheln sich leicht bekleidete Damen an Seefahrer, die offenbar eine ausgeprägte Leidenschaft für Videoke haben. "Ebony and ivory, live together in perfect harmony…"

"Die Gesellschaft ist bunt gemischt. Links sitzen Russen, weiter vorne Philippinos, und da drüben im dunklen Nebenzimmer Indios. Nie Probleme, 20 Liter Vodka pro Abend, aber niemals Streit", erklärt der Besitzer der Bar, ein Jugoslawe, der seit 8 Jahren in Imbituba lebt. Was die Indios da im Dunkeln so treiben, interessiere ihn nicht. Der Krieg in seiner Heimat habe ihn gelehrt, die Leute in Ruhe zu lassen, sagt er. Und auch zu den Walen hat er eine besondere Beziehung. "Vor vielen Jahren war ich als Seefahrer unterwegs als die Schiffsschraube kaputt ging. Tagelang trieben wir auf See, und die ganze Zeit waren Wale um uns herum. Als ob sie auf uns aufpassen wollten."

"Seit 1603 wurde in Brasilien Jagd auf Wale gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Zahlen, übrigens weltweit, mächtig an. Anfang der 80er Jahre sah es dann so aus, als ob die Wale wohl unwiederbringlich von unserem Planeten verschwinden würden, verurteilt zum Aussterben." Vizeadmiral Ibsen de Gusmão Câmara ist der Gründer des Projektes "Baleia Franca" und einer der altgedienten Streiter für den Schutz der Wale. Er berichtet über seine Erfahrungen im Kampf gegen die Walfanglobbys dieser Welt, über Niederlagen wie die der brasilianischen Unterstützung für die japanische Walfangindustrie Mitte der 80er Jahre, und Siege wie den der aktiven Rolle Brasiliens zum Schutz der Wale seit dem Ende jener Dekade.

Das Projekt "Baleia Franca" hat den staatlichen brasilianischen Ölkonzern Petrobrás als Sponsor gewinnen können. Vielleicht ein Versuch des Ölriesen, sein schlechtes Image in Sachen Umweltschutz ein wenig aufzupolieren. Nachdem das staatliche Öl in den vergangenen Jahren erst die Iguaçu-Wasserfälle und anschließend die Guanabarabucht von Rio de Janeiro zu ersticken drohte, ging dann auch noch eine riesige Förderplattform auf hoher See baden. Ein wenig bedrückt beobachten die Mitarbeiter des Projektes die Nachrichten, die über das Fernsehen an den Abendbrottisch gelangen: ein Unfall mit Ölaustritt in Angra dos Reis, drei tote Arbeiter beim Bruch einer Pipeline in Bahia. Doch man ist froh über das Geld, das zum weiteren Ausbau der Walbeobachtungsstationen verwendet werden soll.

Doch die Wale sind nicht der einzige Trumpf der Region im Kampf um die heißbegehrten Touristen. Wir sind mit Kapitän David unterwegs, einem erfahrenen Surflehrer. Seine Surfschule hat er am "Praia do Rosa" aufgeschlagen, einem der schönsten Strände Südbrasiliens und besten Surfstrände Brasiliens überhaupt.

"Egal, aus welcher Richtung der Wind weht, die geographische Beschaffenheit der Bucht erlaubt es immer, zu surfen. Entweder sind die Wellen am südlichen Ende besser oder am nördlichen, aber Wellen hat es auf jeden Fall." Wir versuchen unser Glück, aber bei dem Wellengang ist es schwierig, sich auf dem Brett zu halten. "Ihr müsst wie Könige sein, arrogant, und nicht wie der Plebs!", ruft uns David zu. "Früher durften nur die Könige auf dem Surfbrett stehen, die einfachen Leute surften im Liegen." Für ihn ist Surfen eine Philosophie. "Wenn du dein Gleichgewicht verlierst, suche es nicht im Himmel. Die meisten rudern wild mit den Armen in der Luft herum, aber letztlich fallen sie dann doch. Wenn du dein Gleichgewicht verlierst, geh zu deiner Basis zurück, zum Brett." Und seine Augen halten Ausschau nach der großen Welle, der Königinnenwelle, der meist fünf bis sechs schwächere vorangehen. "An der Königinnenwelle musst du dich orientieren, die musst du nehmen. Denn eine Königin dominiert. Aber Vorsicht, sie ist auch launisch."

"Hier am "Praia do Rosa" hat man seine Ruhe", philosophiert Kapitän David weiter, "weder Fernsehen noch Handy funktionieren hier. Und die Einheimischen wehren sich gegen eine richtige Straße, weil sonst zu viele Touristen hier hin kommen. Man muss die Menschen vor sich selber schützen. Auch sie brauchen ihre Ruhe, nicht nur die Wale."

Am Ortseingang von Imbituba steht ein Schild: "Herzlich willkommen in Imbituba, der Stadt, in der die Heilige Paulina ihr erstes Wunder vollbrachte."

Und ein zweites Wunder werden wohl jetzt die Wale vollbringen. Oder die Surfer. Die Rettung liegt auf jeden Fall im Meer.

Text: Thomas Milz
Fotos: Projekt "Baleia Franca"

Weitere Informationen zum Projekt "Baleia Franca" gibt es unter baleiafranca.org.br. Imbituba hat einen eigenen Touristenführer im Internet: guiaimbituba.com.br. Die zwei besten Hotels vor Ort sind das Silvestre Praia Hotel (silvestrepraiahotel.com.br) und das Imbituba Praia Hotel (prhotel@matrix.com.br).

Kapitän Davids Surfschule am "Praia do Rosa" kontaktiert man per E-Mail (surf@capitaodavid.com) oder Telefon 0055 / 48 / 355 6060 ramal 500 oder 0055 / 48 / 355 6443. Über die aktuelle Surfwetterlage an über 150 brasilianischen Surfstränden informiert die Seite waves.com.br.

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