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Macht Laune: Tupi or not Tupi - Teil 2

ANHANGABAÚ – woher kommt so etwas? Und wenn man es schon nicht aussprechen kann, kann man es dann wenigstens essen? Fragen über Fragen türmen sich vor dem unvorbereiteten Brasilienbesucher auf. Doch keine Sorge, wir lassen niemanden im Ungewissen. Hier und jetzt beginnen wir mit unserer kleinen Reihe "Tupi or not Tupi", mit der wir uns auf die Spurensuche nach dem Erbe der brasilianischen Indianer machen. Tupi or not Tupi, das ist hier die Frage.

Entwicklungen und Veränderungen als Resultat der Begegnung zweier Welten

Phonologische Entwicklungen
Es waren portugiesische und spanische Jesuiten, die die oralen Indianersprachen verschriftlichten. Ihnen unbekannte Laute wurden dabei derart moduliert, dass sie in das portugiesische Lautsystem eingegliedert werden konnten, oder aber, wenn dies nicht gelang, einfach weggelassen.

Im Laufe der Zeit erfuhr das vor ca. 470 Jahren erstmals schriftlich erfasste Tupi vielfach Veränderungen. Es kam zu Lautveränderungen z.B. durch die im Portugiesischen typische Nasalierung. Aus p wurde oftmals b. Ein Beispiel hierfür ist Guanã-pará, was zu Guanabara (Goá = bacia), seio = Becken, nã = semelhante = ähnlich, pará = ao mar = dem Meer), die Bucht Rio de Janeiros, wird. Des Weiteren wird aus c ein g, wie es an dem Suffix caba zu erkennen ist. Aus caba wird gaba (poran = bela = schön, porangaba = beleza = Schönheit).

Die Endungen indianischer Worte wurden dem Portugiesischen angepasst. So wurde aus: Maranan = Maranhão, aus Paranã = Paraná, aus Guayanã = Guayaná (indivíduo parente = Verwandter).

Doppelte Vokale fielen weg, wie in den Beispielen Caapy zu capim (Gras), Caatinga zu catinga (mato branco = weißer Wald), Caa-poêra zu capoeira (mato extinto = gerodeter Wald) zu sehen ist.

Das y wurde zu u: Anhangabahy zu Anhangabaú (rio da maldade = Fluss der Schlechtigkeit oder verwunschener Fluss), Yby-tantã zu Butantan (terra firme, dura = harte, feste Erde), Yby-tyra-etê zu Baturité (montanha verdadeira = wahrer Berg).

Infokasten: Die línguas indígenas brasileiras

Die línguas indígenas, die Eingeborenensprachen Brasiliens, gehören zu der Familie des tronco ameríndio, den in Amerika vor der Ankunft der Europäer gesprochenen Sprachen, von denen heute noch circa 1000 existieren. In Nordamerika finden sich vier große Sprachfamilien: algonquino (bestehend aus 31 Sprachen), hoka (27 Sprachen), asteca (60 Sprachen) und na-dene (42 Sprachen). In Mittelamerika ist die der maia mit 68 Sprachen die größte, und in Südamerika gibt es fünf große Gruppen: aruák (19 Sprachen), jê (8 Sprachen), chibcha (22 Sprachen), karib (21 Sprachen) und tupi mit 21 Sprachen.

Die "brasilianischen" Índio-Sprachen können in zwei Stränge unterschieden werden. Zum einen das schon oben erwähnte tupi (tupi-guarani, arikém, juruna, mondé, mundurucu, ramarama, tupari). Zum anderen, das in Zentral- und Nordbrasilien verbreitete macro-jê (jê, bororó, botocudo, carajá, maxacali). Zusätzlich gibt es weitere 23 Sprachfamilien, deren Zuordnung aufgrund fehlender Gemeinsamkeiten oder mangelhafter Erforschung nicht möglich ist (karib, aruaque, araua, guaicuru, nhambiquara, txapacura, pano, catuquina, mura, tucano, macu, ianomâmi).

Zu dieser Gruppe gehört auch die am häufigsten gesprochene Índio-Sprache, tucuna, die heute noch von über 23.000 Menschen beherrscht wird. Die Zahl der Indianersprachen, die auf dem Gebiet des heutigen Brasiliens vor dem Beginn der europäischen Kolonisation gesprochen wurden, wird auf circa 1300 geschätzt. Allerdings müssen diese Schätzungen mit Vorsicht genossen werden, da es kaum verlässliche Hinweise auf die tatsächliche Anzahl einst existenter Sprachen gibt, aufgrund der Tatsache, dass es sich bei ihnen nicht um Schriftsprachen handelt. Heutzutage schätzt man die Zahl der immer noch existierenden Indianersprachen in Brasilien auf 190-200, die von etwa der Hälfte der 330.000 Índios (circa 0,2% der Gesamtpopulation Brasiliens) gesprochen werden.

Semantische Veränderungen
Durch den Einfluss der Jesuitenpadres kam es zu Veränderungen auf der semantischen Ebene einiger Wörter. Die Sprache wurde zum Zwecke der Missionierung verändert, ursprünglich positiv besetzte Wörter erhielten dabei eine negative Bedeutung und vice versa.

So wurde der Geist Anhanga vom espírito protetor da fauna e da flora (Schutzgeist der Fauna und Flora) zum diabo (Teufel), da eine solche positiv besetzte Figur nicht mehr mit der christlichen Lehre in Einklang gebracht werden konnte. Im selben Kontext wird der indianische Urvater Tupã von o raio (der Blitz), über espírito temível (furchteinflößender Geist) zum deus bíblico, dem biblischen Gott. Die Bezeichnung Caraíba als estrangeiro mau (schlechter Fremder) verwandelt sich zu santo (Heiliger), cristão (Christ), branco (weißer) und Abaré, ursprünglich der amigo da gente (unser Freund) bezieht sich jetzt konkret auf die Jesuiten: es bedeutet padre und homen sobrenatural (übernatürlicher Mensch).

Neologismen
Die Begegnung der zwei Welten – die der Índios mit der der Europäer – führt zu Neologismen im tupi antigo. Die Indianer sahen sich plötzlich mit Menschen und Artefakten konfrontiert, die ihnen bisher völlig unbekannt waren. So entstanden Neologismen, die teilweise noch heute, wenn auch in anderem Bedeutungszusammenhang, gebräuchlich sind.

So bezeichnet man heutzutage einen in Rio de Janeiro Geborenen als carioca. Carioca bedeutet soviel wie homen branco, also weißer Mann. So bezeichneten die in der Gegend von Rio lebenden Indianer die ersten französischen Siedler, die sich Mitte des 16 Jahrhunderts für einige Jahre in der Guanabara-Bucht niedergelassen hatten.

Auch die noch heute für Mischlinge benutzten Bezeichnungen Caboclo und Mameluco stammen aus dieser Zeit. Caá-boc bedeutet tirado do mato, der "aus dem Wald gezogene / abgestammte", Mameluco (mamã = misturar = mischen / ruca = tirar = ziehen, abstammen) = tirado da mistura / procedência mista = Mischling.

Schwierigkeiten der Ableitung und Übersetzung
Durch diese zahlreichen Veränderungen und aufgrund der historisch begründeten chaotischen Quellenlage ist es heutzutage sehr schwierig, 100%-ige Aussagen über ursprüngliche Bedeutungen von Wörtern zu treffen:

Stammt igarapé von
Ygara-pé = caminho de canoa (Weg der Kanus) oder von
Yga-rapé = caminho de água (Wasserweg) ab?

Oder die Frage, woher die Bezeichnung Ubatuba (Strand zwischen Rio de Janeiro und Santos) kommt und was sie bedeutet ? So kann neben der Bedeutung Ubá = canoa, also Kanu auch Uybá, uuba = flecha, also Pfeil als Ursprung angenommen werden. Bedeutet Ubá-tyba also abundância de canoas (Fülle von Kanus) oder liegt der Ursprung bei Uyba-tyba (flechal)?

Dies führt dazu, dass in den einschlägigen Wörterbüchern mehrere Übersetzungen zu finden sind:

a. o pomar, o frutal, o horto (der Garten, Fruchtgarten)
b. raso e curto (kurz und flach)
c. o canavial de flechas (Pfeilröhricht)
d. o porto das canoas (Hafen der Kanus)
e. o lugar das canoas, o porto das canoas (Ort der Kanus)

Text + Fotos: Thomas Milz druckversion  

Nächsten Monat lesen Sie an gleicher Stelle den 3. Teil unserer Reihe "Tupi or not Tupi": Indianismen in der Geografie Brasiliens. Außerdem lösen wir auf, warum der Anhangabaú, heute eine der wichtigsten Metrostationen im Zentrum São Paulos, "Fluss der Schlechtigkeit" oder auch der "verwunschene Fluss" heißt. Es bleibt weiterhin spannend!

Den ersten Teil findet ihr unter: Tupi or not Tupi - Teil 1

Weitere Artikel zur Kolumne findet ihr im Archiv.







 
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