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Brasilien: Stressfreie Zone Reisebüro

Alles wird gut enden. Und wenn es nicht gut geendet hat, dann deshalb, weil es wohl noch nicht das Ende war.

Hinter diesem banalen brasilianischen Sprichwort versteckt sich eine ganze Erlebniswelt, die für den Nicht-Brasilianer leicht zu Stressanfällen führen kann. Da heißt es, cool bleiben.

Die Idee: Die laut über die kalten Temperaturen des Winters in São Paulo klagende Freundin in den subtropisch heißen Sommer Deutschlands einzuladen. Flugs die Visitenkarte des freundlichen Reisebüros in São Paulo rausgekramt und angerufen. "Ich brauche einen Flug für eine Freundin, in acht Tagen von São Paulo nach Düsseldorf. Da ich in Deutschland bin, faxe ich Ihnen meine Kreditkartennummer zwecks Bezahlung. Klappt das?"

"Gar kein Problem. Ich suche Ihnen sofort die günstigsten Angebote raus und faxe sie Ihnen in zwei Stunden zu."

Und so nimmt alles seinen geregelten Lauf.

Noch sieben Tage
Da wider Erwarten kein Fax bei mir angekommen ist, rufe ich halt noch mal persönlich an. Roberta, so heißt die für mich zuständige Sachbearbeiterin, versichert mir, dass sie in eben diesem Moment die Angebote für mich heraussucht und sich dann meldet.

Noch sechs Tage
In spätestens zwei Stunden könnte ich noch mal anrufen, dann wird sie die von mir gewünschten Informationen haben. Fünf Stunden später weiß ich, dass ich zwischen dem günstigsten Flug mit der Swiss und einem etwas teureren mit der Lufthansa wählen kann. Ich entscheide mich für den Swiss-Flug. Das Tastaturgeklapper am anderen Ende der Leitung vermittelt mir, dass Roberta den Flug in das System eingibt. "Ist reserviert, alles okay. Ich schicke Ihnen gleich ein Fax mit den Kreditkarteninformationen, dass Sie bitte ausgefüllt zurückschicken. Dann kann ich Ihnen umgehend das Ticket ausstellen."

Noch drei Tage
Bis heute ist kein Fax angekommen. Okay, da lag ein Wochenende dazwischen, da arbeitet ja niemand. Also kurz angerufen und Roberta informiert, dass das Fax nicht angekommen ist. "Ja, ich habe es noch gar nicht geschickt, da ich den Swiss-Flug nicht bestätigt bekomme.

Alle Plätze belegt, aber Sie sind auf der Warteliste." "Sollten wir nicht besser auf den Lufthansa-Flug umsteigen, zur Sicherheit?", gebe ich zu bedenken. "Nein nein, alles unter Kontrolle. Spätestens bis morgen habe ich den Platz für Sie, versprochen."

Noch zwei Tage
Heute ist Roberta etwas geknickt, als sie mir mitteilen muss, dass der Swiss-Computer ein Problem habe und sie nicht ins System komme. "Beruhigen Sie sich, der Rückflug und die Strecke Zürich – Düsseldorf habe ich ja schon bestätigt, fehlt nur noch das kleine Stück São Paulo – Zürich."

Noch ein Tag
Robertas Stimmung ist heute sehr gut. "Ich bin gerade im Swiss-System, und es sieht ganz so aus, als ob wir die nächsten sind, die einen Platz zugeteilt bekommen. Kein Grund zur Panik." Auf meinen Vorschlag, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit doch lieber auf die etwas teurere Lufthansa-Maschine umzusteigen, beruhigt mich Roberta: "Nein, warum sinnlos Geld verschwenden, wenn wir doch einen billigeren Flug sicher haben." Auf mein Drängen hin schickt sie mir das Fax für die Kreditkartenbezahlung. Ich fülle es aus, faxe es zurück und rufe gleichzeitig Roberta an. "Prüfen Sie doch bitte jetzt schon mal, ob die Transaktion von der Kreditkartenfirma genehmigt wird," schlage ich vor, "damit wir damit nicht irgendein Problem bekommen." "Das funktioniert schon, keine Sorge. Außerdem ist schon spät, ich muss den Laden schließen. Morgen früh mache ich das gleich als erstes. Versprochen!"

Der nächste Morgen, 5 Stunden 35 Minuten vor Abflug
Roberta kommt ins Büro.

5 Stunden 30 Minuten vor Abflug
Ich rufe Roberta an. "Den Swiss-Flug bekommen wir doch nicht. Aber ich buche jetzt auf die Lufthansa-Maschine."

5 Stunden vor Abflug
Ich rufe Roberta an. "Ich habe gerade die Lufthansa auf der anderen Leitung. Können Sie in einer halben Stunde noch einmal anrufen?"

4 Stunden 30 Minuten vor Abflug
Ich rufe Roberta an. "Alles okay, die Lufthansa hat einen Platz frei. In zehn Minuten habe ich das Ticket ausgestellt." Auf der anderen Leitung ruft mich meine nervöse Freundin aus São Paulo an. "Ich muss jetzt los zum Flughafen, bei dem Verkehr brauche ich mindestens 1 ½ Stunden. Was ist jetzt mit dem Flug?" "Warte noch eine halbe Stunde, bleib ruhig, Du weißt doch wie die Brasilianer sind. Chaos, Chaos, Chaos, doch am Ende funktioniert alles", teile ich, der coole Deutsche, ihr, der Stress erprobten Brasilianerin aus São Paulo, mit.

3 Stunden 30 Minuten vor Abflug
Ich rufe Roberta an. "Sagen Sie Ihrer Freundin, dass sie schon mal zum Flughafen losfahren soll. Und geben Sie mir die Handynummer Ihrer Freundin, ich rufe sie dann direkt an und teile ihr die Ticketnummer mit."

2 Stunden 45 Minuten vor Abflug
Roberta ruft an. "Die Kreditkartenfirma verweigert die Bestätigung. Ich kann das Ticket nicht ausstellen. Aber ich spreche mit denen. Rufen Sie in zehn Minuten noch mal an."

2 Stunden 35 Minuten vor Abflug
"Die Kreditkartenfirma will Ihre Adresse in Deutschland, Ihr Geburtsdatum und Ihre Reisepassnummer als Sicherheit. Können Sie mir diese Daten bitte durchgeben." Nach drei gescheiterten Versuchen, den deutschen Straßennamen am Telefon zu buchstabieren, faxe ich die Daten. "Alles klar!", sagt Roberta. "In zehn Minuten haben Sie das Ticket. Bleiben Sie ganz ruhig, das klappt schon." Ich entgegne ihr, dass es nicht gerade einfach sei, in so einer Situation ruhig zu bleiben. Sie lacht. "Das wird schon, keine Sorge."

1 Stunde 45 Minuten vor Abflug
In der Warteschlange vor dem Check-in-Schalter der Lufthansa erhält meine Freundin den erlösenden Anruf. 5 Minuten später quält sich ein Fax von Roberta mit den Flugdaten aus dem Empfangsgerät. Ich rufe Roberta an. "Schön, dass das noch alles geklappt hat. Danke!", heuchle ich ins Telefon, obwohl ich mir in den letzten Tagen und vor allem Stunden die übelsten Foltermethoden für Roberta ausgemalt habe. "Nicht der Rede wert", lautet ihr Kommentar, und sie lässt ein kurzes Auflachen hören.

Seit diesem Lachen frage ich mich ständig: Wusste Roberta die ganze Zeit mehr als ich? Verkauft sie vielleicht alle ihre Reisen auf diese Art, oder macht sich einen Scherz auf Kosten ihrer hilflosen Kunden? Hat sie die Bestätigung der Reise schon seit Tagen in der Schublade? Oder, und das sagt man den Brasilianern ja sowieso nach, hat sie etwa einen direkten Draht zu den Mächten, die über unser Schicksal entscheiden?

Ein Taxifahrer in Rio de Janeiro hat es mir einmal so zu erklären versucht: "Der Mensch macht sich ständig Sorgen über alles Mögliche, das geschehen könnte. Dabei treffen in 95% der Fälle unsere pessimistischen Erwartungen nicht ein. Nun, wir können aber auch nicht wissen, welche 5% eintreffen. Es ist also besser, sich einfach keine Sorgen zu machen. In 19 von 20 Fällen wird man Recht behalten."

Auf dem Fax mit den Flugdaten entdecke ich einen kleingeschriebenen Hinweis:

"Einchecken bis maximal eine Stunde vor Abflug!" Da hätte ja ruhig noch was schief gehen können, bei dem Zeitpolster. Aber zum Glück hat ja alles reibungslos geklappt.

Text + Fotos: Thomas Milz Druckversion  

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