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Brasilien: Santos - Am Wendekreis des Steinbocks


Nach der Entdeckung durch Cabral im Jahre 1500 versinkt Brasilien in eine Art Dornröschenschlaf. Besiedlung und wirtschaftliche Entwicklung kommen nur sehr langsam in Schwung. Die portugiesische Krone richtet ihr Augenmerk voll auf den Handel mit Indien, der unglaubliche Gewinne abwirft und die Kasse des Staates füllt.

Anders dagegen die Situation in Spanien: die "Entdeckung" Brasiliens durch die Portugiesen, nur kurze Zeit nach Abschluss des Vertrages von Tordesillas, weckt einen bösen Verdacht. Haben die Portugiesen nur deshalb so hartnäckig auf dem Grenzverlauf bestanden, weil sie vom Vorhandensein von Land an dieser Stelle bereits wussten? Und was verbirgt sich in diesen unbekannten Sphären noch? Spanien fühlt sich über den Tisch gezogen und brütet darüber, wie man die Kreise der Portugiesen stören und eigene Vorteile daraus ziehen kann.

Infokasten: Vertrag von Tordesillas
1494 wird im Vertrag von Tordesillas eine Demarkationslinie zwischen Portugal und Spanien vereinbart. Diese verläuft 360 Seemeilen westlich der Kapverdischen Inseln. Portugal werden alle neu zu entdeckenden Länder zugesprochen, die sich östlich dieser Linie befinden. An Spanien gehen alle neuen Entdeckungen westlich der Demarkationslinie.

Im Jahre 1515 wird seitens der spanischen Krone eine Expedition ausgerüstet. Ihr Kommandant ist Juan de Solis. Seine Aufgabe ist es, dem Küstenverlauf ab dem Landepunkt Cabrals nach Süden zu folgen und festzustellen, an welchem Punkt die 360 Meilen-Marke erreicht ist. Von da ab würde das Land laut Vertrag Spanien unterstehen.

Juan de Solis segelt nach Süden, definiert die Grenzmarke, erreicht kurze Zeit später die Mündung eines großen Flusses und folgt ihm stromaufwärts. Bald dringen Gerüchte vom Reich eines weißen Königs im Westen zu ihm vor. Dieser soll unermessliche Schätze besitzen und in seinem Reich soll sich ein Berg befinden, der ganz aus Silber besteht; schon ist der Name des Flusses geboren - Rio da Prata, heute Rio de la Plata.

De Solis beschließt, weiter nach Westen vorzustoßen, doch das Vorhaben steht unter keinem guten Stern. De Solis wird in einem Gefecht mit Indianern getötet und die Expedition daraufhin abgebrochen. Dennoch gilt die Unternehmung als erfolgreich: Hat man doch neues Land für die spanische Krone entdeckt und Wissen über bis dahin unbekannte Reichtümer gesammelt.

Der zweite spanische Anlauf erfolgt 1526. Diesmal soll Sebastiao Caboto sein Glück versuchen. Vom Rio de la Plata aus folgt er dem Rio Paraná bis zur Mündung des Rio Paraguai.

Damit ist er bereits weiter vorgestoßen als de Solis. Und ihm gelingt noch mehr: Im Tauschhandel mit Indianern erwirbt er Gold und Lamas.


Er hat die Grenze des Reiches des weißen Königs erreicht, das Reich der Inkas. Aber auch für ihn ist kein weiteres Vordringen möglich; der Widerstand der Indianer ist zu groß. Doch was er entdeckt, erfahren und erworben hat, ist von größter Wichtigkeit. Deshalb entsendet Caboto eilends ein Schiff zurück nach Spanien. Als es 1528 in Sevilla landet, wecken die Informationen, vor allem aber die goldenen Mitbringsel großes Interesse; und das nicht nur in Spanien.

Über seine Spione ist Portugal stets auf dem Laufenden, was sich bei der Konkurrenz im Nachbarland so tut. Das Ergebnis der Reise von de Solis war zwar interessant, aber nicht beunruhigend. Doch die Reise Cabotos löst am portugiesischen Hof Alarmstufe Rot aus. Man möchte unter allen Umständen vermeiden, dass sich Spanien in unmittelbarer Nähe der portugiesischen Entdeckung eine starke Präsenz schafft. Zudem ist man nicht gewillt, den Spaniern Reichtümer anscheinend unermesslichen Ausmaßes zu überlassen. Es stellt sich die Frage, ob das Reich des weißen Königs nicht auch von portugiesischem Gebiet aus erreichbar ist.

Im Jahre 1529 beginnt Portugal mit der Planung einer Expedition nach Brasilien. Offizielles Ziel ist der Besuch, die Stärkung und die Neugründung portugiesischer Siedlungen. Die Bedeutung, die Portugal diesem Unternehmen beimisst, zeigt sich in der Person des Mannes, dem die Leitung anvertraut wird. Er gilt als enger Vertrauter des Königs, Martim Afonso de Souza.

Ende 1530 verlassen unter seiner Leitung fünf Schiffe Portugal und erreichen Anfang 1531 die brasilianische Küste. Nach kurzen Aufenthalten in Pernambuco und Bahia segelt er weiter nach Süden, erreicht die Mündung des Rio de la Plata und entsendet einen Erkundungstrupp ins Landesinnere.

Mehrere Monate vergehen bis zu dessen Rückkehr, doch das Ergebnis entspricht nicht den Erwartungen. Man hat das Reich des weißen Königs nicht erreicht.

Aber de Souza lässt nicht locker. Er lenkt seine Flotte zurück in portugiesisches Gebiet. Aus den Aufzeichnungen bzw. Karten vorangegangener Fahrten entlang der brasilianischen Küste - die heute berühmten "Roteiros" – entnimmt er, dass es auf einem Küstenabschnitt direkt am Wendekreis des Steinbocks zwei Inseln gibt, die für einen längeren Aufenthalt und möglicherweise für die Anlage einer Niederlassung gut geeignet sind. Auf den Seekarten sind sie als "Ilha de Sao Vicente" und "Ilha de Santo Amaro" verzeichnet.

Martim Afonso de Souza steuert diese Inseln an. Am 22. Januar 1532 geht er vor der Ilha de São Vicente vor Anker, lässt die Beiboote zu Wasser und geht an Land. Das ist der Moment, in dem Santos – noch namenlos - zum ersten Mal seine Funktion als Hafen erfüllt.

De Souza richtet sich auf der Insel für einen längeren Aufenthalt ein und gründet den Ort São Vicente. Sein großes Ziel verliert er dabei nicht aus den Augen, er will den Weg nach Westen öffnen und die dort zu erwartenden Reichtümer finden. Erneut schickt er eine Expedition aus. Befreundete Indianer begleiten den Trupp als Führer. Die Gruppe bahnt sich mühsam einen Weg über die Serra do Mar. Auf der Hochebene angekommen, geht es leichter voran. Die Männer erreichen den Rio Tiete, bauen Boote und folgen dem Flussverlauf stromabwärts. Sie erreichen den Rio Paraná, die Mündung des Rio Iguazu und die dortigen Wasserfälle. Hier ziehen sie ihre Boote an Land und dringen zu Fuß weiter nach Westen vor. Doch auch diese Expedition steht unter keinem guten Stern. Die Männer werden von Indianern in eine Falle gelockt und nur ein einziger Mann, ein Indianer aus der Begleittruppe, überlebt und kann entkommen. Unter größten Mühen erreicht er São Vicente und informiert de Souza über das Schicksal der Truppe. Martim Afonso de Souza resigniert und kehrt kurze Zeit später nach Portugal zurück.

Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wissen kann, ist, dass seine Mühen nicht vergeblich gewesen sind. Mit Santos hat er einen Hafen geschaffen, der schon kurze Zeit später mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Der Weg auf die Hochebene ist geöffnet. Dort werden 22 Jahre später jesuitische Missionare die Stadt São Paulo gründen, die im Zusammenspiel mit Santos die Entwicklung Brasiliens gewaltig vorantreiben wird. Und man hat einen ersten Eindruck gewonnen, welch gewaltige Landmasse hinter der Serra do Mar auf ihre Erschließung wartet.

Doch das Rennen um das Reich des weißen König machen letztendlich die Spanier. 1531 erobert Pizzaro Peru und damit das Reich der Inkas.

2004
Hektische Betriebsamkeit umgibt uns, als wir an der Ponta da Praia die Fähre verlassen, die uns über den Meeresarm gebracht hat, der Guarujá auf der Insel Santo Amaro von Santos auf der Insel Sao Vicente trennt.

Ponta da Praia ist nach Meinung der Historiker der Platz, an dem Senhor de Souza vor 472 Jahren an Land gegangen ist. Mit Sicherheit ist es hier damals etwas ruhiger zugegangen.

Wir orientieren uns an dem Hinweis Centro und fahren Richtung Innenstadt. Die Straße führt an kilometerlangen Kaianlagen vorbei - wir zählen 39 Anlegestege, vielleicht sind es sogar noch ein paar mehr. Schlangen von Lastwagen warten auf ihre Abfertigung, beladen mit den unterschiedlichsten Produkten aus industrieller und landwirtschaftlicher Produktion. Aus den Schiffen werden Container entladen und zu Bergen auf den Kais gestapelt.


Santos ist der Umschlagplatz für den gesamten ein- und ausgehenden Warenverkehr des Bundesstaates São Paulo und für Teile des Warenverkehrs benachbarter Bundesstaaten. Knapp 40% des gesamten brasilianischen Bruttosozialprodukts werden allein im Staat São Paulo erwirtschaftet. Kein Wunder, dass der Hafen vor Energie fast aus den Nähten platzt.

Wir finden einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe der "Alfandega", des Zollgebäudes und machen uns von hier aus zu Fuß auf den Weg. Erster Anlaufpunkt ist das Convento do Carmo, das Kloster des Karmeliterordens, das 1760 an der Praca Barao do Rio Branco im Stil des portugiesischen Barock errichtet wurde.

Zur damaligen Zeit ein prächtiger und repräsentativer Bau, steht es heute renovierungsbedürftig und etwas verloren da. Unmittelbar daneben wurde ein Klotz von Bürogebäude errichtet - eine Bausünde, die in den Augen schmerzt.

Das reiche Innere der Kirche erinnert an die glanzvollen Zeiten, als Santos das Zentrum des Kaffeehandels bildete.

Die Rua 15 de Novembro führt uns in eines der Viertel, die von der Stadtverwaltung von Santos revitalisiert wurden. Gebäude wurden im Inneren modernisiert, Schäden an den Fassaden behoben und das alte Straßenbild blieb somit erhalten. Teil des Programms ist auch die Wiederherstellung der Steinmosaike der Gehsteige und die Installierung einer Straßenbeleuchtung, die der zu Beginn der vergangenen Jahrhunderts weitgehend entspricht. Ein gelungenes Beispiel ist das Gebäude der Handelskammer mit einer prachtvollen neoklassizistischen Hausfront. Nur wenige Schritte entfernt schlug zurzeit des Kaffeebooms das Herz der Stadt: "O prédio da Bolsa do Café", die Kaffeebörse. Ein imposantes Gebäude, das die Bedeutung des Kaffees für die damalige brasilianische Wirtschaft widerspiegelt. Hier wurden in kurzer Zeit riesige Vermögen gewonnen, aber ebenso rasch wieder verloren.

Die Praca Rui Barbosa mit ihrem kleinen Park wird beherrscht vom eleganten Bau der Stadtverwaltung. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes stoßen wir auf eine weitere Attraktion, die Santos für seine Besucher bereithält - eine alte Straßenbahn, liebevoll "Bondinho" genannt.

Früher bediente sie als Transportmittel die gesamte Stadt, heute ist sie Teil des Revitalisierungsprogramms und führt in einer kleinen Rundfahrt von 15 Minuten durch die Innenstadt. Diesen Spaß lassen wir uns natürlich nicht entgehen.


Langsam zuckelt die Bahn durch die Straßen und der Führer, der uns begleitet und der auf seiner Schirmmütze das Schildchen angebracht hat "Sabe tudo", Er weiß alles, gibt uns währenddessen eine ganze Reihe von interessanten und nützlichen Informationen.

Eine davon nutzen wir gleich, als wir wieder am Ausgangspunkt angekommen sind. Wir gehen in das Café Paulista, das sich ganz in der Nähe befindet, und stärken uns dort an "Pasteis", Teigtaschen gefüllt mit Hack-, Hühner- oder Krebsfleisch, die in siedendem Öl gebraten werden - köstlich.

So gestärkt besuchen wir noch die Kirche Nossa Senhora do Rosário, eine der ältesten Kirchen der Stadt, mit ihrem schönen Innenraum.

Dann haben wir genug vom Pflastertreten und wandern langsam zurück zu unserem geparkten Auto. Glücklicherweise haben Hafenstädte den Vorteil, dass überall - vor allem aber in Hafennähe - kleine Kneipen vorhanden sind, in denen erschöpfte Werktätige oder müde Wanderer eine Erfrischung zu sich nehmen können. Die Bar Pier Quatro ist ein solcher Platz und der Treibstoff in Form eines "Cafezinho" gibt uns Kraft für die verbleibende Strecke zu unserem Parkplatz.


Den Rückweg zur Fähre nehmen wir über die "Praias", die Strände zur Bucht von Santos hin, an denen sich das entspanntere Leben abspielt. Eine breite Avenida für den Autoverkehr, der auf 40 km/h reduziert ist, zur Stadtseite hin elegante Wohnhäuser mit Blick aufs Meer, Parkanlagen mit Wegen für Radfahrer und Jogger, dahinter dann die Strände - das ist die Schokoladenseite dieser Stadt, die man hier eigentlich gar nicht vermutet hätte.

Auf einer Parkbank im Schatten genießen wir noch die kühle Brise und den Panoramablick auf die Bucht, bevor wir uns wieder auf die Fähre nach Guarujá begeben. Valeu - der Besuch hat sich gelohnt!

Text + Fotos: Dieter Hauguth
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