logo caiman
caiman.de archiv
 


Brasilien: Pom-Pom und der Hut von Senhor Claude

Die Ilha Grande kommt dem, was sich normale Menschen unter einem Paradies vorstellen, wohl so nahe wie kaum ein anderer Fleck brasilianischer Erde. Dabei wurde sie bis vor wenigen Jahren von einem Hochsicherheitsgefängnis beherrscht, was nicht gerade zum Besuch der Insel einlud. Doch jetzt tummeln sich die Touristen in Abraão, dem einzigen kleinen Städtchen der Insel. Und dort treffen wir auf Senhor Claude, einen Franzosen, der jahrzehntelang Rios Edelrestaurants, Spitzenhotels und die europäischen Konsulate mit feinsten Pasteten und Haus gemachten Würsten belieferte. Mittlerweile Besitzer einer kleinen Pousada am Strand von Abraão, genießt er es, den täglichen Sonnenuntergang mit seinen Gästen und reichlich Caipirinhas zu feiern.

"Pom-Pom, raus mit Dir. Die Gäste wollen frühstücken." Doch Pom-Pom rührt sich nicht, bleibt vor dem Buffet liegen, alle viere von sich gestreckt. "Wo ist nur meine Autorität geblieben, nicht einmal mehr der Hund hört auf mich!" Senhor Claude zündet sich eine Zigarette an. Er öffnet das Gartentor, bleibt auf den Stufen stehen.

Auf seinem Kopf ein vollkommen durchlöcherter weißer Hut, der eins mit seinen weißen Locken zu sein scheint. Sein Blick schweift über den Strand mit den vielen spielenden Kindern, über die Bucht mit den kleinen Fischerbooten und Motoryachten.


"Als ich vor 35 Jahren zum ersten Mal auf die Ilha Grande gekommen bin, gab es das alles hier noch nicht. Kein Tourismus, nur die Fischer und die Angestellten des Gefängnisses." Seit über 40 Jahren lebt Senhor Claude jetzt schon in Brasilien, aber sein französischer Akzent ist geblieben. Ich muss ihn unbedingt fragen, was es mit diesem alten Hut auf sich hat!

"Ihr müsst viel frühstücken, das ist nix für Spaziergänger", hat uns Senhor Claude geraten, und er sollte Recht behalten. Wir schwitzen fürchterlich, der Trampelpfad durch den Urwald geht an manchen Stellen steil die Berge hoch. Autos gibt’s nicht auf der Ilha Grande, und so umschiffen die meisten Touristen die Insel per Boot, um zu den Stränden zu gelangen. Wir gehen mitten durch. Und sterben fast dabei. Es sind diese Momente im Leben, die einen schwören lassen, das Rauchen aufzugeben und endlich mit der immer wieder angedachten Obstdiät zu beginnen. Vollkommen erschöpft sinken wir nach zwei Stunden Klettern in den weißen Sand von Lopes Mendes, einer drei Kilometer langen Postkarte mit Palmen, feinstem Sand und wohltemperiertem Atlantik. Das Wasser ist kristallklar, kleine bunte Fische umspielen unsere Füße.

3000 Jahre Philosophiegeschichte, 250 Jahre industrielle Revolution, 1 Jahr sparen für den 29 Zoll Fernseher und drei Jahre für das Auto, und dann entdeckt man, dass das Paradies dort ist, wo man von alledem verschont bleibt.

Aber ganz ohne Technik kommen wir an diesem ersten Tag dann doch nicht aus. Wir lassen uns von einem Boot mit zurück nehmen, niedergeschlagen ob unserer jämmerlichen Kondition. Mit jedem weiteren Tag aber, an dem wir uns über die schier endlosen Pfade der Ilha Grande kämpfen, werden wir fitter, langsam verschwindet der Wohlstandsbauch. Wir pflücken uns Mangos von den Bäumen und trinken das kühle Wasser der Gebirgsbäche. Dabei weichen wir den zahlreichen Touristenbooten aus, die jeden Tag um die gleiche Zeit die gleichen Strände anlaufen, dort die fußkranken Heerscharen abliefern, die sich an spaghettiförmige Schwimmreifen klammern, um in der spiegelglatten See nicht zu ertrinken. Nach einer Stunde lichten die Boote den Anker und machen sich auf, den nächsten Strand heimzusuchen. Nur ein Haufen Bierdosen und einige im Wasser treibende Chipstüten erinnern noch an ihren Besuch.

Senhor Claude hat ein Boot organisiert, um mit uns an die entfernteren Strände zu gelangen. Das Boot ist zwar viel zu schnell, um Fische zu fangen, trotzdem wirft er Köder aus. "Nur wenn der Haken zufällig an einem gerade schlafenden Fisch hängen bleibt, wirst Du was fangen!" Doch er reagiert nicht auf meinen Spott. Als dann plötzlich zwei Wale neben dem Boot gesichtet werden, holt er hektisch seine Angelschnur ein. "Damit sie sich nicht darin verfangen!" Wenig später umschwirrt ein kleiner Hai unser Boot und beißt wohl bei dieser Gelegenheit Senhor Claudes Angelleine durch, was dieser zunächst nicht bemerkt. Als uns dann auch noch ein halbes Dutzend Delphine auf der Fahrt begleiten, steht Senhor Claude vorne am Bug und schwenkt seinen Hut: "Das gehört alles zu meinem Tourpaket. Alles inklusive!" Ich muss ihn unbedingt fragen, woher dieser zerfledderte Hut stammt.

In Dois Rios, unserer ersten Station, stehen die Überreste des 1994 gesprengten Gefängnisses, und Senhor Claude erzählt uns die Geschichte: "Das hat die ganze Entwicklung der Insel gehemmt.

Auf der Ilha Grande lebten nur einige griechische Einwandererfamilien, die Sardinin gefangen und verarbeitet haben. Und das Wachpersonal des Gefängnisses. Ständig flohen Gefangene und versteckten sich im Urwald.


Mit Spürhunden durchkämmte man den Dschungel, und die Strände waren voll von Polizeispitzeln. Kein besonders einladender Flecken."

Unsere zweite Station ist der Strand von Caxadaço, versteckt in einer kleinen Bucht, deren Wasser in einem unglaublichen Grün schimmert und Meeresschildkröten beherbergt. Während wir tauchen gehen, sitzt Senhor Claude am Strand und raucht. "Das hier ist ein Paradies. Aber dieses Paradies muss verteidigt werden. Man will immer mehr Touristen auf die Insel locken, aber es fehlt an allem. Der Müll stapelt sich überall, er wird nicht abgeholt. Die Abwasserrohre sind viel zu dünn, und viele Leitungen sind gar nicht an das Klärwerk im Dorf angeschlossen." Wieder auf dem Boot müssen wir feststellen, dass unsere Bierreserven erschöpft sind. "Ganz schlechter Service hier an Bord. Ich habe den Jungs extra gesagt, dass wir drei Paletten brauchen. Jetzt sitzen wir auf dem Trockenen."

Als wir einen wunderschönen Sonnenuntergang mitten auf dem Meer später nach Hause kommen, erwartet uns Pom-Pom schon an der Gartenpforte. "Er ist mir eines Tages zugelaufen. Er hat sich also mich als Herrchen ausgesucht.

Dabei ist er der Chef, ich habe keinen Einfluss auf ihn. Manchmal ist er für ein paar Tage weg, irgendeiner Hündin hinterher. Dann kommt er ausgehungert wieder und ich füttere ihn durch." Senhor Claude führt seine Pousada gemeinsam mit seiner Frau Mara, die jeden Morgen ein großartiges Frühstücksbuffet zaubert und abends frisches Brot für den nächsten Tag backt. Währenddessen sitzt Senhor Claude mit uns am Strand und verteilt frische Maracuja-Caipirinha. Neben der Herstellung feinster Pasteten und Würstchen, die ihm hier in Brasilien zu Wohlstand verholfen hat, ist er zudem Experte für Cachaça. "Tom, Du musst diesen Cachaça unbedingt probieren, er stammt von der Fazenda meines Schwagers", begrüßt er mich eines Morgens. "Mara ist nicht da. Heute bin ich für das Frühstück verantwortlich."

"Bis 1990 gab es hier auf der Insel nichts, keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine Kanalisation. Unser Kühlschrank lief mit Gas. Vor einem Jahr haben wir uns dann entschlossen, aus unserem Haus eine Pousada zu machen. Einfach nur als Rentner zu leben, ohne was zu tun zu haben, ist zu langweilig. Aber wir nehmen möglichst nur junge Leute als Gäste auf, mit denen man nicht so viel Stress hat und abends noch Caipirinha am Strand trinken kann." Wir haben Pom-Pom lange nicht mehr gesehen. "Heute ist Samstag, da trifft er sich mit den anderen Hunden auf dem Dorfplatz, Essensreste abstauben."

Fast hätte ich dann doch noch vergessen, ihn nach dem Hut zu fragen. "Den habe ich 1956 bei meiner Grundausbildung in Marokko bekommen. Danach habe ich in Algerien gekämpft. Kurz danach bin ich dann nach Brasilien ausgewandert, und der Hut ist natürlich mitgekommen. Er hat schon einiges gesehen auf dieser Welt. Allerdings nicht nur schöne Dinge."

Pom-Pom rennt ohne ersichtliches Motiv den Strand rauf und runter. Mal spielt er mit kleinen Kindern im Wasser, dann legt er sich zu wildfremden Leuten mit aufs Handtuch.

"Eigentlich hätte ich den Hut bei meinem Ausscheiden aus der französischen Armee abgeben müssen. Aber ich habe einfach einen anderen Hut von einem Rekruten geklaut und diesen dann abgegeben. War schon okay so, mit mir hatte man vorher genau das gleiche gemacht."

Die Pousada "Mara e Claude" liegt in der Rua da Praia, 333, Vila de Abraão. Tel: 024 – 3361-5922 und 3361-5999. Nähere Infos und Fotos der Pousada und der Ilha Grande im Internet www.ilhagrande.com.br. Für Fragen und Kontakt tom@caiman.de.

Text +Fotos: Thomas Milz
Druckversion    

Weitere Artikel zu Brasilien findet ihr im Archiv.







 
Archiv
nach




© caiman.de - impressum - disclaimer - datenschutz pa´rriba