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Die Supermarktplastiktüte
Dieser Held steckt sie alle in den Sack
"Man geht mir das auf den Sack, diese Warterei." Jedes Teil schön säuberlich in eine Tüte verpackt. Durschnittliches Fassungsvermögen 7 Liter bei 30 cm Länge, 25 cm Breite im unteren Bereich und 35 cm oben an der Öffnung.

Mit der Ananas muss man aufpassen, ihre scharfen Blätter schneiden die dünnen Plastikträger durch. Ritsch, Ratsch, Flatsch. Oft reicht auch schon eine 2 Liter Flasche Cola Light. Trotz ihrer nur 9 Kalorien ist sie für die dünne Plastiktüte einfach zu schwer. Ich hatte sowieso schon immer den Verdacht, dass das mit den 9 Kalorien niemals stimmt. Wenn man eine Mücke verschluckt, hat man schon 50 Kalorien zu sich genommen. Und dann 2 Liter Cola nur 9 Kalorien? Aus Sicherheitsgründen packt die Verkäuferin noch mal zwei Tüten drum.


autor vor ort - eingetütet

Sicher ist sicher. Sicherheitssupermarktplastiktüte. Doppeltesicherheitssupermarktplastiktüte (einen Brasilianer kann man richtig beeindrucken, wenn man ihm zeigt, was für lange Wörter man im Deutschen bilden kann). Probleme bereitet auch der 8er-Pack Klopapier, der nämlich doppelt so groß wie die Tüte ist. Also je eine von beiden Seiten, und dann noch mal eine drübergestülpt, zum tragen halt.

Der „Saco“, also der Sack, muss in Brasilien für vieles herhalten. Mal zieht man an ihm („puxar saco“), was soviel bedeutet wie „sich einschleimen“, mal bekommt man den eigenen vollgemacht („encher meu saco“), was ungefähr dem deutschen „mir auf den Sack gehen“ entspricht. Etwa das gleiche wie „mein Sack ist auf dem Mond“ („tô com saco na lua“) oder „Du verbrennst mir meinen Sack“ („você tá torrando meu saco“). Mit „Was für ein Sack!“ („Que saco!“) beschimpft man alles, was irgendwie nicht so läuft, wie man es will. Und eine „pessoa sacal“ ist eine, die einem so richtig auf den Sack geht.

Etwa so wie der Typ an der Supermarktkasse, der mit der Kassiererin gemeinsame Sache macht und jedes einzelne Teil in jeweils drei Tüten packt. Bei dem Deoroller zögert er noch etwas, um ihn dann aus der Tüte mit der Milch rauszunehmen. „Doch lieber in ne eigene Tüte, sonst riecht die Milch noch!“

Als der Mann schließlich seinen mit 150 Plastiktüten vollgestopften Einkaufswagen zu seinem Auto schiebt, frage ich mich, was er wohl nach dem Auspacken damit machen wird. Als erstes kommt eine Supermarktplastiktüte zur Abfalltüte unfunktioniert in den Mülleimer. Eine zweite kommt nebens Klo, damit man das benutzte Klopapier reinwerfen kann.

held im einsatz - reißfest

Ist sie voll, knotet man die beiden Träger zusammen und stellt die vollen Säcke vor die Tür. Das Mädchen, das sauber macht, bringt sie dann raus. Millionen kleiner Supermarktplastikmüllabfallundklorestetüten stehen so jeden Morgen vor der Tür und warten darauf, vom Müllwagen abgeholt zu werden. Danach warten sie dann noch weitere 250 Jahre darauf, sich in nichts aufzulösen. Vielleicht wird das einzige, was von unserer fortschrittlichen „Plastiktüten-und-Tütensuppengeneration“ eines Tages übrigbleiben wird, ein Haufen Supermarktplastikmülltüten verschiedensten Inhalts sein.

Und hier kommt der umweltbewusste Europäer endlich an die Reihe. Die Kassiererin will schon wieder beginnen, alles vom Fließband in die Tüten zu stopfen; die Supermarktassistentin, die auf Rollschuhen durch die vollgestopften Regalreihen gleitet, hat gerade noch einen frischen Stapel Reservesupermarktplastiktüten an meine Kasse gebracht. „Haha, wartet nur ab, Euch werde ich es zeigen“, denke ich mir und fühle mich dabei wie Paul McCartney eine Woche vor der Veröffentlichung von „Sgt. Pepper“.

„Nein, das kommt gar nicht in die Tüte, dass Sie hier alles einpacken; es gibt schon genug Müll auf dieser Welt, und dieser hier wird noch ihren Urururenkeln Kopfschmerzen bereiten." Urururenkelkopfschmerzbereitsupermarktplastiktüte!
Ich habe meinen Rucksack mitgebracht und beginne damit, meine Einkäufe zu verstauen. „Ist auch viel leichter zu tragen, so auf dem Rücken“, erkläre ich der Frau hinter mir.

megaheld - kalt
Und dieses gute Gefühl, einer überlegenen Kulturstufe der Menschheit anzugehören, lässt sich auch von dem im unteren Drittel des Rucksack platzierten Brot nicht verdrängen, das Zuhause angekommen ungefähr die Flachheit einer CD-Hülle angenommen hat. Und das meine neuen Bücher nach dem ausgelaufenen Duschgel riechen, finde ich auch nicht unbedingt schlimm.

So werde ich mich demnächst bei jeder Dusche an dieses Buch erinnern, so wie ich mich immer, wenn ich Senf esse, an Elvis`„In the ghetto“ erinnere, weil ich damals so gerne Bockwürstchen beim Musikhören gegessen habe und den Senf auf das Cover von George Harrisons "Cloud Nine" habe tropfen lassen. Höre ich jetzt ein Lied von dieser Platte, bekomme ich Hunger auf Bockwürstchen und möchte Elvis hören, esse ich Bockwürstchen, so sehne ich mich nach meiner George Harrison-LP! Sind es nicht gerade diese Assoziationsketten, die dem Leben das Gewisse etwas geben? Den Müll habe ich übrigens in einen leeren Schuhkarton geschmissen, das benutzte Klopapier ins Klo, so wie der Name es ja nahe legt und was dann auch zwangsläufig zu einer richtig hartnäckigen Kloverstopfung führte.

Bis ich mich dann an eine weitere europäische Tugend erinnerte, nämlich den Grundsatz, sich den Sitten seines Gastlandes anzupassen. Natürlich ist mir bewusst, dass es umweltmoralisch verwerflich ist, wenn ich mir jetzt alles in dreifache Supermarktplastiktüten einpacken lasse. Aber ein gebildeter Europäer weiß sich im richtigen Moment auch mal zurückzunehmen, im Namen der Völkerverständigung.

Dogmatische Verbohrtheit kommt mir schon gar nicht in die Tüte. Supermarktplastikmülltütendogmatismusverweigerungshaltungsprinzip halt!

Text: Thomas Milz

An Anna Carolina vielen Dank für Fotos und Unterstützung!

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