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Brasilien: Ouro Preto
Barock- und Goldrausch

Für den portugiesischen König Manuel I. ist die Entdeckung Brasiliens im Jahre 1500 mehr von strategischer, denn von wirtschaftlicher Bedeutung. Das neu entdeckte Land sichert die Flanke des 1497 durch Vasco da Gama geöffneten Seewegs nach Indien, besitzt jedoch, wie der portugiesische Koenig an seinen spanischen Amtskollegen schreibt, „nem ouro nem prata, nem nenhuma cousa de metal“ (weder Gold noch Silber noch irgendwelche Erzvorkommen).

Da sich die Interessen Dom Manuels und seiner Berater darauf konzentrieren, das Gewürzmonopol möglichst effektiv zu nutzen und damit die Reichtümer Indiens und Malakkas dem Herrscherhaus verfügbar zu machen, ist in diesem Szenario für Brasilien kein Platz. Nichts beschreibt die geringe Bedeutung, die man dem Land beimisst, besser als die Tatsache, dass in den „Lusiaden“, jenem Heldengedicht, in dem Camoes die portugiesischen Entdeckungen beschreibt, Brasilien in keiner einzigen Zeile erwähnt wird. Es ist das Aschenputtel unter den portugiesischen Kolonien und bleibt es fast 200 Jahre lang.

Die Situation ändert sich grundlegend als „Bandeirantes“ (brasilianische Bezeichnung für Pioniere, die unter Vorantragen der Fahne (bandeira) das Innere Brasiliens erforschten) aus São Paulo in die noch unerforschten Täler des heutigen Minas Gerais vordringen und dort am Rio das Velhas ein schwarzes Erz finden. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass es sich dabei um Gold handelt – die schwarze Färbung stammt vom Eisenoxid im Boden.

Ein beispielloser Goldrausch setzt ein, zu Tausenden strömen die Menschen an den Fundort. Und in nur wenigen Jahren entsteht im Goldbezirk eine Reihe von Städten, darunter auch Vila Rica, das bald in Ouro Preto (Schwarzes Gold) umbenannt wird. Die Region heißt nun Minas Gerais, die allgemeinen Minen, und wird die Keimzelle des späteren brasilianischen Bundesstaates gleichen Namens. Urplötzlich ist aus dem Aschenputtel Brasilien der kostbarste Besitz der portugiesischen Krone geworden.

Im Zuge des Goldrausches entstehen in der Region Minas Gerais Städte nach portugiesischem Vorbild, im Stil der damaligen Zeit, dem Barock. Zuerst setzen europäische Architekten und Handwerker die Maßstäbe, aber bald sind die ortsansässigen Künstler über die Phase des Nachahmens hinaus und entwickeln eigene Ideen – beispielhaft belegt an den Arbeiten von Antonio Francisco Lisboa – genannt Aleijadinho, das Krüppelchen.

Mit dem Wissen um den Reichtum des Landes und um die Abhängigkeit des Mutterlandes von Brasilien entsteht ein neues Selbstbewusstsein. Die strengen Regeln der Kolonialverwaltung, das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschehen betreffend, reizen dazu, nach Wegen zu suchen, diese zu umgehen.

Neben den Waren strömen auch Informationen ins Land. Das Gedankengut der Aufklärung und die damit verbundenen Entwicklungen in Europa und Amerika sind für Brasilien von hohem Interesse.

Aus Selbstbewusstsein, Ungehorsam und dem Gedankengut der Aufklärung entwickelt sich das Bedürfnis nach Unabhängigkeit. Minas Gerais und Ouro Preto bilden den geeigneten Nährboden für die Inconfidencia Mineira, den ersten Versuch der Loslösung Brasiliens vom Mutterland Portugal.

100 Kilometer kurvige Strassen, von Belo Horizonte her kommend, haben wir hinter uns gebracht, als wir nach Überwinden des letzen Bergkammes Ouro Preto vor uns sehen. Gleichzeitig bedeutet es einen Sprung aus der Gegenwart 250 Jahre zurück in die Vergangenheit. Der Blick vom Vorplatz der Kirche São Francisco de Paula zeigt ein Panorama, wie es schon im 18. Jahrhundert bestanden hat – die Häuser gedrängt im Talgrund, überragt von den auf den Hügeln errichteten Kirchen; beherrscht vom markanten Profil des Berges Itocolomi, des Wahrzeichens der Stadt.

Wir beginnen unseren Stadtrundgang an der Praça Tiradentes, dem Zentralplatz von Ouro Preto, benannt nach Joaquim José da Silva Xavier, besser bekannt unter dem Namen „Tiradentes“ (der Zahnzieher), dem Führer der gescheiterten Unabhängigkeitsbewegung der Inconfidencia Mineira. Von einer Säule herab blickt seine Statue auf das Gebäude der früheren Casa de Camara e Cadeia (Rathaus mit Gefängnis). Nach seiner grausamen Hinrichtung 1789 wurde Tiradentes abgetrennter Kopf als abschreckendes Beispiel hier öffentlich zur Schau gestellt. Heute beherbergt das Gebäude das Museu da Inconfidencia mit schriftlichen Dokumenten und anderen Schaustücken. Ein Teil des Museums ist Aleijadinho gewidmet.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes befindet sich der Palacio dos Governadores (Gouverneurspalast). Diese Räume beherbergen heute eine der umfangreichsten Mineraliensammlungen der Welt, deren Besuch ein absolutes „Muss“ für Liebhaber seltener und edler Steine ist.

Von dem hoch gelegenen Platz geht es nun steil bergab vorbei an herrschaftlichen Häusern, geschmückt mit Erkern und Balkonen, verziert mit schmiedeisernen Gittern zum Chafariz dos Contos, dem Geldbrunnen (Conto = alte Bezeichnung für 1000 Escudos). Gleich daneben befindet sich ein weiteres Gebäude mit offiziellem Charakter, die Casa dos Contos. Hier wurde während des Goldrausches das Gold gesammelt, gewogen, geschmolzen und zu Münzen verarbeitet.

Durch schmale Gassen gelangen wir zum Praça Monsignore Castilho Barbosa, an dem sich die Matriz de Nossa Senhora do Pilar befindet, deren relativ schlichte Fassade nicht ahnen lässt, welch reiches Interieur sich hinter ihr verbirgt. Der Hauptaltar und die sechs Nebenaltäre sind überreich mit vergoldeten Skulpturen und Schnitzereien von Engeln und Heiligen geschmückt. Experten schätzen, dass circa 430 Kilogramm Gold verarbeitet wurden.


Im gleich nebenan befindlichen Museu de Arte Sacra bewundern wir neben Werken von Francisco Xavier de Brito, dem Lehrmeister Aleidajinhos, auch sakrale Gegenstände aus purem Gold und Silber – Stücke von unschätzbarem künstlerischen und materiellen Wert.

Vorbei am Teatro Municipal (Stadttheater), einem der ältesten Brasiliens, geht es steil bergauf zum Vorplatz der Kirche Nossa Senhora do Carmo. Wir verschnaufen ein bisschen, setzen uns auf die Balustrade und genießen die Aussicht auf die Unterstadt, die wir gerade durchwandert haben. Dann wenden wir uns der Kirche zu, deren erster Entwurf von Aleijadinhos Vater, dem Ingenieur Manuel Francisco Lisboa, erstellt wurde. Aleijadinho änderte den Bauplan, schuf damit eine elegante Fassade mit Einbindung der beiden Glockentürme und verschönte das Portal durch Skulpturen.

Am nächsten Morgen schmerzt die Beinmuskulatur vom gestrigen „Bergsteigen“ noch etwas, als wir zum zweiten Teil der Stadtbesichtigung aufbrechen. Frühnebel verbirgt den Blick auf den gegenüberliegenden Hügel mit der Kirche Santa Efigênia dos Pretos.

So wenden wir uns zunächst der Kirche São Francisco de Assis zu, einem Hauptwerk Aleijadinhos, der nicht nur für die Bauplanung zuständig war, sondern auch die Reliefs über dem Portal, die 2 Kanzeln und das Weihwasserbecken in der Sakristei entwarf.

Staunend stehend wir vor diesen Meisterwerken. Es ist ein Wunder, was dieser Mann – von der Lepra gezeichnet – trotzt schwerster körperlicher Behinderung aus dem Pedra Sabão, dem Seifenstein, geschaffen hat.

Zum Abschluss unseres Besuchs in Ouro Preto wollen wir natürlich auch einen Blick in eine Goldmine werfen. Ganz in der Nähe befindet sich die „Mina do Chico Rei“. Einer Sage nach ist in ihr der legendäre Chico Rei, ein aus Afrika als Sklave verschleppter Stammesfürst, auf soviel Gold gestoßen, dass er für sich und seinen Verwandten die Freiheit erkaufen konnte. Der Besuch ist interessant und bedrückend zugleich, vermittelt er doch anschaulich, unter welchen Arbeitsbedingungen die Stollen in den Berg getrieben wurden – beim Schein von Fackeln oder russenden Öllampen, ohne Belüftung, unter ständiger Gefahr, von einstürzendem Gestein erschlagen zu werden, angetrieben von den Aufsehern, die nicht sparsam im Gebrauch der Peitsche waren. Wer weiß, wie viele Menschen die unstillbare Gier nach Gold das Leben gekostet hat.

Schweigsam machen wir uns auf den Rückweg zur Pousada.

Text + Fotos: Dieter Hauguth Druckversion  

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