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Brasilien: Abseits der großen Straßen (II)
Zwischen den Tälern


Der Nebel hängt noch in den Tälern, als wir früh am nächsten Morgen Itararé verlassen. Unser Ziel ist der Ort Capão Bonito, circa 100 Kilometer entfernt. Dort wollen wir versuchen, einen Zugang in die Serra de Paranapiacaba, in der der Parque Estadual Intervales liegt, zu finden.

Auf der gut ausgebauten SP 258 kommen wir schnell voran. Die Regierung des Bundesstaates São Paulo hat hier eine Menge Geld in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur investiert – aus gutem Grund. Denn diese Straße ist eine wichtige Verbindung in den Osten des Nachbarstaates Paraná. Sie ist bedeutend für die Transporte der Papierindustrie und lebensnotwendig für die Agrarindustrie und die Viehzuchtbetriebe, die sich hier angesiedelt haben.

Als wir die Kleinstadt Itapeva erreichen, hat die Sonne den Nebel verdrängt und wir können das Panorama bewundern, das vor uns liegt. Die Straße führt auf einem Hügel entlang und zur Rechten steigt das Vorgebirge langsam zum Kamm der Serra de Paranapiacaba auf, zuerst nur bedeckt von lockerem Buschwerk, das sich gegen die Serra hin zu Wald verdichtet, nur sporadisch unterbrochen von vereinzelten Rodungsflächen. Zur Linken erstreckt sich eine weite Ebene, die sanft zum Rio Paranapanema abfällt – Soja, Mais, Weizen, dazwischen riesige Weideflächen.


Das ist eines der Agroindustriezentren, die sich in den letzten Jahren in Brasilien gebildet haben und das Land zu einem der führenden Exporteure von landwirtschaftlichen Produkten gemacht haben.

In Capão Bonito sind dann unsere pfadfinderischen Kenntnisse gefragt. Da wir nicht wissen, wo die Straße in den Park abzweigt, fahren wir mutig hinein in den kleinen Ort und suchen nach einem Hinweisschild. Aber allein der Gedanke, ein solches zu finden, ist etwas abwegig und gleicht mehr einem frommen Wunsch, denn wie wir mittlerweile wissen, halten die brasilianischen Stadtverwaltungen solche Serviceleistungen für ziemlich entbehrlich.

Nachdem wir erfolglos mehrere Runden gedreht haben, fragen wir im Zentrum einen Einwohner, der sich gerade im Schatten eines Baumes erholt – und siehe da, wir haben Glück. Er kennt den Park zumindest vom Namen her und kann uns einen Tipp geben, wie wir da hinkommen. Seinen Weisungen folgend schlängeln wir uns durch das Gassengewirr, finden die Ausfallstraße nach Apiaí und kurz danach auch die Abzweigung zum Ort Ribeirão Grande. Jetzt müssen wir nur noch die Information einholen, wohin wir uns dort wenden müssen. Aber gewitzt von der Erfahrung in Capão Bonito fragen wir gleich am Ortseingang einen Lastwagenfahrer und erhalten eine Wegbeschreibung.

In Ribeirão Grande endet die Welt der Asphaltstraßen – Estrada de Terra (Erdstraße) ist nun angesagt. Für brasilianische Verhältnisse ist es eine Luxuserdstraße, auf der wir uns in Richtung der Serra bewegen. 25 Kilometer sollen es bis zum Sitz der Parkverwaltung sein und wir sind gespannt, ob diese Straßenqualität uns erhalten bleibt oder welche Überraschungen wir erleben werden. In vielen Kurven, hügelauf und hügelab, windet sich die Straße durch die Vorberge. Wir fahren langsam, genießen die Aussicht und atmen tief den "Cheiro da Mata" ein, die Duftmischung aus den verschiedensten ätherischen Ölen, die über sonnenbestrahlten Flächen mit natürlichem Pflanzenbewuchs liegt.

Die Straße hält weitestgehend, was sie versprochen hat. Nur an einer Stelle, an der ein Bach sie kreuzt, müssen wir aufpassen, nicht auf herausstehenden Steinen aufzusitzen. Und nach einer knappen Stunde haben wir dann unser Ziel erreicht: den Sitz der Verwaltung des Parque Estadual Intervales.

Die Parkverwaltung, die Räume für das Personal sowie die Zimmer für die Gäste befinden sich in verschiedenen Häusern, die in der Nähe zweier kleiner Seen liegen. Ursprünglich war hier eine Fazenda geplant, die die Gewinnung und den Vertrieb von "Palmitos" (Palmherzen) organisieren und die Pflanzung der dazu nötigen Palmen durchführen sollte. Wegen der Unzugänglichkeit des Geländes schlug das Projekt jedoch fehl. Gott sei Dank, wie man heute sagen muss, denn sonst wäre es nicht zur Gründung dieses Naturparks gekommen. Im Jahre 1987 erwarb eine Umweltstiftung das Gelände, das 1995 in den Parque Estadual integriert wurde.

Zuerst suchen wir das Restaurant, denn inzwischen ist es Mittag geworden und unser Magen knurrt bereits kräftig. Da niemand mit der Ankunft von Gästen gerechnet hat, ist noch kein Essen vorbereitet. Aber wir erhalten ein Lunchpaket und etwas zu trinken – wir werden also überleben. Während wir unser Brot verzehren, unterhalten wir uns mit der Bedienung, fragen, wie es mit den Wandermöglichkeiten im Park bestellt ist und erfahren, dass der Zutritt nur mit Führer erlaubt ist. Nach erfolgreicher Sättigung machen wir uns also auf den Weg zur Verwaltung, um uns kundig zu machen und möglichst gleich einen Führer zu organisieren.

Wir sind zuerst etwas ratlos, als uns die verschiedenen Möglichkeiten für Wanderungen im Naturpark vorgestellt werden. Die Spanne reicht von dreistündigen Wanderungen bis zu dreitägigen Exkursionen mit Übernachtung im Freien, von Vogelbeobachtung bis zur Erkundung von Höhlen. Nach einiger Diskussion entscheiden wir uns dann für eine Tageswanderung zu einem "Mirante", einem Aussichtspunkt, und als Kontrastprogramm für eine zweite, die uns durch die Täler verschiedener kleiner Flüsse führen soll.


Schon früh am nächsten Morgen sind wir mit unserem Führer José unterwegs. Es ist noch angenehm kühl, denn während der Nacht ist die Temperatur auf 12 – 13 °C abgesunken, von den Bäumen tropft das Wasser und Gras und Büsche sind vom Morgentau überzogen. Die erste Viertelstunde befinden wir uns noch auf einem ausgetretenen Erdweg. Doch dann geht es ab ins Gebüsch – und jetzt wissen wir, warum die Wanderungen nur in Begleitung eines Führers stattfinden können. Es gibt keine Markierungen, die anzeigen, dass hier ein Pfad abzweigt. Der Pfad selbst ist von Pflanzen überwuchert und für uns nicht zu erkennen. Aber Josés Waldläuferaugen finden problemlos den Weg, er kennt die Gegend wie seine Westentasche. Jetzt leistet auch sein "Facao", sein großes Buschmesser, gute Dienste, denn immer wieder muss er Ranken, Zweige oder kleine Bäume abhacken, um den Weg freizubekommen. Nach kurzer Zeit sind wir komplett durchnässt, vor allem von der tautriefenden Vegetation, durch die wir uns zwängen müssen. Aber auch, weil die Wanderung bergauf über Stock und Stein uns den Schweiß aus den Poren treibt.

Doch die üppige Pflanzenwelt entschädigt für die Mühen der Dschungeldurchquerung – gigantische Bambustriebe ragen aus dem Boden, Bartflechten hängen von den Ästen, auf dem Boden und in Astgabeln wachsen Bromelien der verschiedensten Arten und mit den unterschiedlichsten Blüten, Schwämme formen auf Baumstümpfen bizarre Gebilde und die Büsche der wilden Fuchsien sind über und über bedeckt mit Blüten, die in Brasilien den schönen Namen "Brincos de Princesa" (Ohrschmuck der Prinzessin) tragen. Nur die Tierwelt macht sich rar – wir hören zwar Vogelstimmen im Kronendach des Waldes, können jedoch nichts erkennen.

Wir werden entschädigt, als wir nach gut 3 Stunden unser Ziel, den Aussichtspunkt auf der Höhe der Serra erreicht haben. Weit schweift der Blick über die Höhenzüge und die dazwischen gelegenen tief eingeschnittenen Täler – zu Recht hat der Park den Namen "Intervales", was "zwischen den Tälern" bedeutet.

Wald, Wald, Wald soweit das Auge reicht, nur unterbrochen von der kleinen Rodungsfläche der ehemaligen Fazenda, die direkt unter uns liegt.
Die Wanderung des nächsten Tages entpuppt sich als amphibische Operation, denn der Weg durch die Täler führt nicht nur an den Bächen und Flüssen entlang, sondern verläuft in weiten Strecken im Wasser selbst. Heute kommen wir nicht ins Schwitzen, denn das Wasser ist erfrischend.

An diesem Tag haben wir haben Kontakt zur Tierwelt – wir sehen knackgrüne Papageien, beobachten ein Vogelpaar, "sie" mit leuchtend gelbem Bauch, "er" mit einer rot gefärbten Brust, begegnen einem intensiv blau gefärbten Schmetterling in der Größe eines kleinen Vogels, und können einen anderen Schmetterling fotografieren, der in Brasilien den Namen "Olho de Boi", d.h. Ochsenauge, trägt. Wie wir meinen, zu Recht.


Wir wissen nicht, was es bedeuten soll, als José plötzlich anhält und uns mit Zeichen zu verstehen gibt, dass wir ganz leise sein sollen. Tief zieht er die Luft ein – und dann riechen wir es auch, den typischen Geruch, den wir aus dem Raubtierhaus im Zoo kennen. Im feuchten Sand am Ufer zeigt uns José dann den Tatzenabdruck – "Onça", der Jaguar, war kurz vor uns hier zum Trinken und ist, als er uns kommen hörte, geflohen. Schade, wir hätten ihn gerne einmal in freier Wildbahn gesehen. Aber so ganz aus der Nähe?


Wir diskutieren immer noch über unser "Fast-Erlebnis" im Dschungel, als wir uns schon auf dem Weg nach São Paulo befinden, dem Dschungel der Riesenstadt, die nur 270 Kilometer entfernt ist.

Text + Fotos: Dieter Hauguth druckversion  



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