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Brasilien: Von São Paulo nach Guaratuba

Sertanejo – Musik tönt aus dem Lautsprecher, Sergio Reis singt sein Lied "Tributo aos Reis da Estrada" (Huldigung an die Könige der Landstraße) und wir fühlen uns natürlich angesprochen, auch wenn wir nicht in einem Lastwagen unterwegs sind.

Wieder einmal lockt die gigantische Weite dieses Landes, das Erlebnis, unterwegs zu sein und ständig neuen Eindrücken zu begegnen. Diesmal führt der Weg auf der BR 116 "Regis Bittencourt" nach Süden. Ungefähr 450 Kilometer sind es bis Curitiba, der Hauptstadt des Bundesstaates Paraná.

Die Straße ist weitgehend autobahnmäßig auf zwei Fahrspuren ausgebaut und deshalb gut zu befahren, auch wenn der Lastwagenverkehr sehr stark ist – es ist die Hauptverbindungsstrecke zwischen dem Süden Brasiliens und São Paulo.

Am späten Vormittag erreichen wir die Abzweigung, die, ohne Curitiba zu berühren, über Morretes nach Paranaguá ans Meer führt. Wir wechseln auf die Landstraße. Sie folgt dem Weg der "Estrada de Graciosa" aus dem Jahre 1873, der die Verbindung zwischen dem Hafen Paranaguá und Curitiba bildet und dabei die Serra do Mar durchquert.

Lockere Kiefernwälder links und rechts der Straße begleiten uns auf den ersten Kilometern. Wir befinden uns noch auf der Hochebene, auf der auch Curitiba liegt, 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Ab und zu bietet sich der Blick auf die angrenzenden Berge des Parque Estadual do Pico Marumbi, die bis zu 1500 Meter aufragen. Ein Aussichtspunkt wird angezeigt. Der Halt lohnt sich. Wir stehen an der Abbruchkante der Hochebene zum Meer. Weit schweift der Blick über die Mata Atlantica, den Regenwald, der die Serra do Mar bedeckt, bis zur Bucht von Paranaguá. Sogar Paranaguá selbst können wir mit Hilfe des Fernglases lokalisieren.

Aber nicht nur der Fernblick lohnt, auch die Natur in unmittelbarer Nähe hat viel zu bieten: Moose, Farne, Philodendren, Bromelien, Orchideen – die Bäume und der Waldboden sind bedeckt mit dichter Vegetation.

Die Pflanzen finden ideale Wachstumsbedingungen, denn der vom Meer kommende Wind entlädt beim Aufsteigen an der Serra die gesamte Feuchtigkeit in Form von Tau, Nebel oder Regen. Wolken sind die Regel, Wetterbedingungen mit guter Fernsicht, wie wir sie heute erleben, die Ausnahme.


Nun geht es stetig bergab, mit zum Teil recht starkem Gefälle. Die kurvige Bergstraße erfordert unsere volle Aufmerksamkeit. Der Asphalt ist Kopfsteinpflaster gewichen und Stellen, an denen Wasser über die Straße läuft, weisen die Qualität einer Rutschbahn auf. Vorsicht ist angesagt.

Kurze Zeit später erreichen wir einen Wasserfall. Uns bietet sich ein Bild wie ein Werbefoto für eine Gartenausstellung. Uber drei Stufen hinweg stürzt das Wasser herab und bildet dabei kleine Becken, die an den Ufern überreich mit "Fleißigen Lieschen" bewachsen sind - rosa, rot und rotviolett erstrahlen die Blüten. Der brasilianische Name ist Maria sem Vergonha (Schamlose Maria) und er passt, denn wo auch nur der geringste Platz zur Verfügung steht, breitet sich diese Pflanze aus.

Weiter geht es talwärts. Am nächsten Rastplatz hat sich ein fliegender Händler niedergelassen und verkauft Obst, hauptsächlich Bananen aus lokaler Produktion. Klein, goldgelb und von intensivem Geschmack – das Richtige für eine Zwischenmahlzeit. Als Dreingabe bekommen wir noch eine Bala de Banana zu verkosten – eine Bonbon-Spezialität dieser Gegend. Gut, aber für unseren Geschmack zu süß. Wir verzichten auf den Kauf dieser "Doce" (Süßigkeit) und erwerben stattdessen noch eine Tüte Jabuticabas, eine kirschenähnliche Frucht mit erfrischend süß-saurem Geschmack.

Wir wollen gerade weiterfahren, da nähert sich ein Tukan, gut zu identifizieren an dem im Verhältnis zum restlichen Körper riesigen Schnabel. Mit dem Fernglas sind Details deutlich zu erkennen – der oranggelbe Schnabel, das große, blau umrandete Auge und der Kopf mit den weißen Seitenteilen und dem dunklen Scheitel.

Vielleicht hat er auf eine milde Bananen-Gabe von unserer Seite gehofft, denn nach einigem Warten im Baum fliegt er weiter.

Um die Mittagszeit erreichen wir Morretes, einen kleinen Ort am Fuß der Serra, der vor dem Bau der Eisenbahn zwischen Curitiba und Paranaguá zusammen mit dem benachbarten Antonina eine wichtige Rolle spielte. Damals lief der gesamte Warenverkehr von und nach Curitiba und das Hinterland von Paraná über diesen Platz. Hier stärkten sich die "Tropeiros", die Begleiter der "Tropas", der Maultier- und Pferdekarawanen, die den Lasttransport durchführten, vor dem Aufstieg zur Serra oder machten nach erfolgtem Abstieg eine Zwischenrast vor dem Weitermarsch nach Paranguá. Mit dem Bau der Eisenbahn endete dieser Berufszweig. Die Einheimischen verlagerten ihre Tätigkeit auf den Anbau und Verkauf von Bananen, die Produktion von "Cachaça de Banana" (Bananenschnaps) und die Herstellung der bereits erwähnten "Balas". Heute empfängt Morretes viele brasilianische Besucher, die von hier aus zu Wanderungen in den Parque Estadual do Pico Marumbi aufbrechen, aber auch viele Ausländer, die über die berühmte Bahnverbindung aus Curitiba anreisen.

So wie Fernfahrergaststätten wegen ihrer geschmackvoll kräftigen Küche berühmt sind, so bewahrt Morretes bis heute ein deftiges Spezialgericht mit Namen Barreado, das noch aus den Zeiten der Tropeiros stammt. Es handelt sich um einen Eintopf, in dem neben verschiedenen Teilen vom Rind auch Speck, Zwiebeln, Tomaten und diverse Gewürze verarbeitet werden. Die Mischung muss in einem Tontopf (barro = Ton, daher der Name "Barreado") 10 - 12 Stunden langsam köcheln. Serviert wird das Gericht mit "Farinha de Mandioca" (Mandiokamehl), Bananen und Orangenscheiben.

Natürlich lassen wir uns diese kulinarische Finesse nicht entgehen und speisen im Restaurant Ponte Velha mit Blick auf den Fluss. Ein köstliches Essen – aber es verlagert den Schwerpunkt weit nach unten und eigentlich müsste im Preis eine Stunde Schlaf in der Hängematte mit enthalten sein.


Die Alternative in Form von "Cachaça de Banana" und anschließendem Cafezinho ist aber auch nicht schlecht. Zur Verdauung machen wir einen kurzen Rundgang durch den Ort. Leider ist von der Bausubstanz aus dem 18. und 19. Jahrhundert nicht mehr allzuviel vorhanden und zum Teil nur noch schlecht erhalten. Schade!

So geht es weiter: Kurz nach Verlassen des Ortes erreichen wir die BR 277 und folgen ihr in Richtung Paranaguá. An der Abzweigung nach Matinhos / Caiobá wenden wir uns nach Süden. Unser Ziel ist Guaratuba, an der gleichnamigen Bucht gelegen, wo uns schon unsere Freunde Fatima und Rodolfo erwarten.

Text + Fotos: Dieter Hauguth Druckversion  

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