Diamanten ein Zauberwort. Als die deutschen Naturforscher Spix und Martius während ihrer Reise durch Brasilien diesen Schatz in Flüssen der Serra do Sincorá im Herzen Bahias entdeckten, machten sich kurze Zeit später Scharen von "Garimpeiros de Diamante", Diamantensucher, auf den Weg. Da es in dem unwirtlichen Gebiet weder Ortschaften noch Unterkünfte gab, errichteten die Garimpeiros primitive Zelte, um notdürftig gegen die Witterung geschützt zu sein. Dazu benutzten sie Lençois, Leintücher. Und die aus Tuch erbaute Stadt hatte ihren Namen gefunden: Lençois!
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Eine rasante Entwicklung setzte ein. Mit den Diamanten kam der Reichtum. Die Zelte verschwanden und an ihre Stelle traten gemauerte Häuser im Kolonialstil, komfortabel und elegant. Für einige Jahrzehnte sollte Lençois zur drittwichtigsten Stadt in Bahia werden, mit eigenem französischen Konsulat.
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Die reiche Bürgerschaft konnte es sich sogar erlauben, hier mitten im tiefsten Brasilien die neueste europäische Mode zu tragen und ihre Kinder zur Ausbildung nach Europa zu schicken.
Nur der Name bleibt; auch als die Diamantenfunde versiegen, die Stadt in einen Dornröschenschlaf verfällt und langsam in Vergessenheit gerät.
Wir sind schon früh von Salvador de Bahia aufgebrochen, um die morgendliche Kühle noch ein bisschen nutzen zu können. 400 Kilometer bis Lençois liegen vor uns. Bis Feira de Santana haben wir Autobahn und kommen gut voran. Dann folgen 70 Kilometer auf der BR 116 mit hoher Verkehrsdichte und vielen Lastwagen, ein wenig schönes Fahren. Der Verkehr nimmt spürbar ab als wir auf die BR 242 wechseln. Dafür nehmen Anzahl, Größe und Tiefe der Schlaglöcher deutlich zu und wir müssen die Geschwindigkeit nochmals reduzieren.
Die uns umgebende Landschaft ist das Sertão, eine unwirtliche Gegend aus halb hohem Buschwald und Kakteen. Nachdem es hier seit über einem Jahr nicht mehr geregnet hat, hat der überwiegende Teil der Vegetation die Blätter verloren. Die Wasserstellen sind ausgetrocknet. Tiere sind nicht zu sehen und selbst für die anspruchslosen Ziegen ist ein Überleben hier unmöglich.
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Und als wir weiterfahren und die Maisfelder sehen, in denen die Pflanzen vertrocknet sind, wird uns klar, warum die Bevölkerung dieser Region in immer neuen Schüben die Favelas in den großen Städten füllt. Es ist ganz einfach eine Frage des Überlebens.
Es ist schon später Nachmittag, als wir uns Lençois nähern. Nach der Dürre des Sertao sind die grünen, mit Laubwald bewachsenen Hänge der Serra do Sincorá ein angenehmer Kontrast. Ausgedörrt und leicht eingestaubt finden wir schließlich eine Pousada oberhalb des Ortes mit herrlichem Blick auf den Ort und die Serra. Und nachdem wir uns in unserem Quartier einigermaßen häuslich eingerichtet haben, geht es ab in die Piscina, wo wir uns von der Hitze des Sertão erholen und die müden Lebensgeister wieder erwecken.
Am nächsten Morgen steht als erstes eine Besichtigung von Lençois auf dem Programm. Wir gehen die Hauptstraße entlang bis zum zentralen Platz am Fluss und dann auf der gegenüberliegenden Seite hinauf bis zur Kirche. Es ist ein Fest für die Augen. Zum einen der Ort selbst mit seinen gut erhaltenen Häusern und deren prachtvollen, zum Teil Stuck verzierten Fassaden, in unterschiedlichen, gut aufeinander abgestimmten Farbtönen. Zum anderen der Blick auf die umliegenden Berge der Chapada Diamantina. Wären nicht die Autos und Motorräder und trügen die Leute andere Kleidung, könnte man sich in das 19. Jahrhundert zurzeit des Diamantenfiebers zurückversetzt fühlen.
Früh am Morgen des nächsten Tages steht unser Führer Manuel bereit. Heute wollen wir das Tal des Rio Lençois erkunden. Nachdem die Wege steinig und abschüssig sind und außerdem zwei Giftschlangenarten in der Gegend heimisch Cascavel (Klapperschlange) und Jararaca (Lanzenotter) haben wir uns für Wanderstiefel entschieden. Wir sind daher etwas überrascht, als wir Manuels Schuhe sehen: Chinelas (offene Gummisandalen), die am Fuß nur von einem kleinen Riemen zwischen großer Zehe und der nächsten festgehalten werden. Wir verkneifen uns eine Bemerkung und warten erst mal ab, wie das mit dem Gehen im Gelände so funktioniert.
Und wie das funktioniert! Manuel überwindet gleich einer Gans Steigungen und Gefälle und wir haben Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
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Wir steigen im und am Rande des Flussbetts aufwärts. Die großen und kleinen Wasserlöcher dienen den Wäscherinnen als Arbeitsplatz oder werden für das morgendliche Bad genutzt. Daneben finden sich große Steinplatten, die aus unterschiedlichen Steinarten in verschiedenen Farben bestehen und deren Oberfläche von der Strömung völlig glatt geschliffen wurde.
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Herrlich anzusehen, aber gefährlich, weil die Oberfläche äußerst schlüpfrig ist. Kurz darauf verlieren wir uns in einem Labyrinth aus Felsen, zwischen denen der Fluss bei Hochwasser Sand in den verschiedensten Farben abgelagert hat und wo wir "Perolas" entdecken vom Wasser geformte Steinkugeln unterschiedlicher Größen.
Nach weiterem Aufstieg erreichen wir den ersten Wasserfall. Manuel nimmt rasch eine Dusche und dann geht es weiter. Nach einer guten Stunde gelangen wir zu einem Wasserfall mit Pool, an dem wir uns stärken für die letzten Meter bis zum "Mirante" (Aussichtspunkt). Am Ziel belohnt ein herrlicher Blick auf Lençois und die Chapada die Mühen des Aufstiegs.
Als wir am nächsten Morgen aus dem Fenster schauen: Nebel, so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sieht. Wir befürchten schon, dass unser Besuch des Morro do Pai Inácio, eines klassischen Aussichtspunkts mit Blick auf die Chapada, damit flachfallen wird. Aber Manuel erklärt uns, dass spätestens um 10 Uhr die Sonne den Nebel vertreibe.
Zudem würden wir sowieso nicht vorher dort ankommen, weil wir auf dem Weg dorthin eine Frau von über 80 Jahren besuchen würden, die ganz allein in der Chapada lebt, weitab von jeder Ortschaft. Wir machen uns auf den Weg.
Zunächst ist die Straße gut bis wir auf die Abzweigung zum Haus der älteren Dame treffen: tiefe Fahrrinnen und Schlaglöcher. Also lassen wir das Auto stehen und gehen zu Fuß weiter. Jenseits eines Baches, über den ein wackeliger Holzsteg führt, sehen wir im Schatten von riesigen Mangobäumen das Haus liegen.
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Die Senhora hat uns kommen sehen und begrüßt uns an der Treppe mit der Frage : "Quer um cafezinho?" (Trinkt ihr ein Tässchen Kaffee?). Da sagen wir nicht nein! Wir unterhalten uns fast eine Stunde. Woher wir denn kämen - unter Deutschland kann sie sich nichts vorstellen, aber Sao Paulo kennt sie vom Hörensagen. Dann wünscht sie uns noch schöne Tage in der Chapada.
Manuels Prophezeiung geht in Erfüllung; die Sonne hat den Nebel vertrieben und wir machen uns an den Aufstieg. Die Gegend gleicht einem botanischen Garten; Bromelien, Bodenorchideen, Kakteen und jede Menge anderer Pflanzenarten, viele davon einzigartig und nur in der Chapada zu finden. Unsere Blicke verlieren sich in Floras Garten und so übersehen wir fast eine Jararaca, die sich vor uns auf dem Weg sonnt. Knapp bevor Manuel mit seinen Chinelas mit ihr in Kontakt kommt, verschwindet sie zwischen Steinen am Wegrand. Ab jetzt sind wir etwas vorsichtiger. Als wir am Gipfel anlangen, ist die Aussicht überwältigend. Ein Tafelberg die Seitenwände fallen bis zu 2000 Meter steil ab - reiht sich an den nächsten, getrennt von tiefen Tälern, die die Erosion ausgewaschen hat. Wir können uns nicht satt sehen und es kostet uns Mühe, sich von diesem Panorama zu trennen.
Text + Fotos: Dieter Hauguth
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