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caiman.de 10. ausgabe - köln, oktobrt 2001
bolivien

COCA – DIE GESCHICHTE EINER PFLANZE (TEIL 2)

Nachdem in der letzten Ausgabe des caiman die traditionelle Bedeutung der Coca-Pflanze für die Bevölkerung in den Andenländern beschrieben wurde, geht es in diesem Artikel um ihre wirtschaftliche und politische Relevanz. Insbesondere soll die Doppelbödigkeit der Drogenpolitik in den betroffenen Ländern dargestellt werden, wobei exemplarisch die Situation in Bolivien beschrieben wird. Wirtschaftlich gesehen spielt der Anbau des Coca-Strauchs für Bolivien, Peru und Kolumbien eine große Rolle. In den Anbauländern Bolivien und Peru wird aus den Blättern Coca-Paste gewonnen und in Kolumbien zu Kokain weiterverarbeitet. Die Chemikalien zur Kokain-Herstellung stammen häufig von deutschen Firmen. Wurden in den achtziger Jahren noch etwa 90% der Ernte an Ort und Stelle konsumiert und die restlichen zehn Prozent geschmuggelt, ist das Verhältnis mittlerweile eher umgekehrt.

DROGEN-WELTPOLIZEI USA
Der Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika in den betreffenden Ländern ist beträchtlich. Jedes Jahr im März verteilen die USA sogenannte Drogen-Zertifizierungen, die bescheinigen, dass die entsprechenden Staaten angemessen zur Drogenbekämpfung beigetragen haben. Wer nicht angemessen (d.h. nach dem Willen der USA) mit der Drug Enforcement Agency (DEA) kooperiert hat, muss mit Wirtschaftssanktionen rechnen, da die USA über Sperrminoritäten im Internationalen Währungsfonds verfügt und in der Weltbank die Kreditvergabe an die betreffenden Länder beeinflussen kann. Somit ist die Souveränität der Länder erheblich eingeschränkt, eigenständiges Handeln ist unmöglich. Die USA bestimmen. Und das allzu oft mit der Holzhammermethode. Nicht, dass etwa die Situation im jeweiligen Land hinsichtlich der Lösungsmöglichkeiten zum Wohle der Bevölkerung untersucht würde – nein – die „Lösung“ heißt Vernichtung von Anpflanzungen und Einsatz von militärischen Mitteln.

Kolumbien hat beispielsweise im vergangenen Jahr das begehrte Zertifikat erhalten, obwohl etwa 70% der Weltproduktion von Kokain in Kolumbien erfolgen. Die USA will in den nächsten zwei Jahren jedoch 1,6 Milliarden US-Dollar für das Land bereitstellen, wobei ein Hauptteil des Geldes – wohin auch sonst – in die Hände des Militärs fliessen wird. Dieses kooperiert wiederum mit paramilitärischen Einheiten, die für zahlreiche Massaker an Zivilisten verantwortlich sind.

Dass die Kokain-Mafia ihre Fäden bis in die Führungsetagen der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Instanzen gesponnen hat, leugnet mittlerweile niemand mehr – aber es stört offensichtlich auch niemanden. Und dass ein Großteil des isolierten Kokain in den USA Abnehmer findet und immer noch die Nachfrage das Angebot bestimmt, sei hier nur am Rande erwähnt.

BOLIVIEN
Die momentane Situation in Bolivien ist symptomatisch für die Drogenpolitik der USA in den Ländern der Andenregion.

Während der achtziger Jahre wurde in vielen Ländern Lateinamerikas ein neoliberales Wirtschaftsprogramm durchgesetzt, um die marode Wirtschaft anzukurbeln.

Der wirtschaftliche Aufschwung ging einher mit einem enormen Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
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Viele Cocaleros verdienten bis Mitte der achtziger Jahre ihren Lebensunterhalt in den Minen des andinen Hochlandes. Nach dem Zusammenbruch der Weltmarktpreise für Zinn waren viele der mineros gezwungen, sich eine neue Existenz aufzubauen und mit ihren Familien im Tiefland Cocafelder anzulegen. 1989 verdienten etwa ein Drittel der bolivianischen Bevölkerung ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau von Coca. Zu diesem Zeitpunkt hatte die USA bereits die Drug Enforcement Agency in Bolivien eingesetzt, welche die Zerstörung der Coca-Plantagen vorantreiben sollte.

Bis zum Jahre 2002 sollen die Coca-Plantagen im tropischen Tiefland des Chapare vollständig vernichtet sein. 45.000 Familien leben in der Region zwischen Cochabamba und Santa Cruz, dem landwirtschaftlichen Produktionszentrum Boliviens. Nur durch Anbau der Coca-Pflanze können sich die Kleinbauern der Erzeugerländer selbständig ernähren. Für die Cocaleros bedeutet Drogenbekämpfung einen direkten Angriff auf ihre Existenzgrundlage, mehrere hunderttausend Menschen sind allein in Bolivien unmittelbar vom Coca-Anbau abhängig.

Im ganzen Land formierten sich an unterschiedlichen Stellen Bewegungen, die gegen die soziale Misere gerichtet sind. Schon im April 2000 kam es zu heftigen Ausschreitungen und Straßenblockaden. Der Auslöser für die Proteste war in diesem Fall hauptsächlich die Privatisierung der Trinkwasserversorgung und die damit verbundene Tariferhöhung. Präsident Hugo Banzer schaffte es, durch punktuelle Rücknahme der Wasserprivatisierung, die Konflikte zunächst einzudämmen.

Die Existenzbedrohung und soziale Misere innerhalb der Bevölkerung existiert in diesem Ausmaß erst, seit die bolivianische Regierung im Jahr 1999 den Coca-Anbau verboten hat. Forciert durch Druck der USA hat Bolivien seitdem den „Null Coca“-Kurs vorangetrieben und von Anti-Drogen Einheiten die Plantagen zerstören lassen.

Im Oktober 2000 brach der schwelende Konflikt wieder aus, als die Cocaleros das am Amazonasrand gelegene Chapare-Gebiet zur „Freien Zone“ der Cocaproduktion erklärten. Ein Teil der Bauern bewachte die Barrikaden, der Rest begann mit der Aussaat. Das riskante Vorgehen der Cocaleros zeigte die Verzweiflung der Menschen, die sich mit verrosteten Werkzeugen den bewaffneten Militärs entgegenstellten, es gab Tote und Verletzte. Die Cocaleros forderten in einem Ultimatum, dass die Pläne zur Vernichtung der Cocaplantagen zurückgenommen werden sollten. Hierbei waren sie durchaus zu Kompromissen bereit und forderten lediglich ein „Catu“ (eine Quechua-Masseinheit, die in etwa 1600 qm entspricht) pro Familie zur Kultivierung der Coca-Pflanze, um das absolute Existenzminimum zu sichern.

Boliviens Präsident Banzer war nicht bereit, auch nur ansatzweise vom „Null Coca“-Kurs abzuweichen. Obwohl die Regierung versucht hat, den Schein von Souveränität zu wahren, ist eindeutig, dass die Politik im Land von den USA dominiert wird und die Regierung Boliviens machtlos ist. Die Loyalität zu den USA sowie militärische Aktionen gegenüber der streikenden Bevölkerung waren das einzige Mittel, womit die Regierung Banzer aufwarten konnte. Die Krisenpakete zur Verringerung der Armut haben ihr Ziel verfehlt, die Situation hat sich noch verschärft. Mittlerweile geht es der Bevölkerung bei den Protesten vornehmlich um die Sicherung der einfachsten Grundbedürfnisse. Es ist kaum möglich, ihnen noch mehr Entbehrungen abzuverlangen.

Der Anbau alternativer Kulturen anstelle von Coca ist fehlgeschlagen, Derartige Substitutionsprogramme sind in den Augen der Bauernverbände keine Alternative – unbeantwortet bleibt auch die Frage, was überhaupt anstelle von Coca angebaut werden soll, um konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt sein zu können. Einberufene „Experten“ empfehlen die sofortige Umstellung auf „Spitzenprodukte“ wie Bananen, Maracuja, Pfeffer oder Ananas. Dass die Früchte zunächst importiert werden müssen und qualitativ nicht mit Produkten aus anderen Ländern mithalten können, ist nur ein Problem, was übersehen wird. Die großflächig angelegte Zerstörung der Coca - Anbaugebiete macht zudem nicht halt vor alternativen Anpflanzungen.

Die Streiks haben das wirtschaftliche Leben in Bolivien mehrmals über einige Wochen lahmgelegt. Nichts ging mehr, die Verkehrsnetze brachen komplett zusammen, der Nahrungstransport funktionierte allenfalls eingeschränkt, Lebensmittel verfaulten und wurden in entlegenen Regionen knapp. Die Proteste vollzogen sich zwar landesweit, waren zunächst aber an sektoralen Bedürfnissen ausgerichtet. Die dezentralen sozialen Bewegungen haben sich mittlerweile zusammengeschlossen. Lehrer, Landarbeiter und Cocaleros haben sich solidarisiert und sind nur zum Dialog mit der Regierung bereit, wenn alle Forderungen im Block verhandelt werden.

Am 8. August 2001 ist Hugo Banzer - offiziell wegen eines Lungen- und Leberkrebsleidens - vorzeitig vom Präsidentenamt zurückgetreten. Banzer hatte das Land bereits zwischen 1971 und 1978 regiert, als er durch einen Militärputsch an die Macht gelangte.

Der überzeugte Antikommunist liess vor allem zu Beginn seiner Amtszeit unliebsame Gegner verfolgen. Hierbei wurden Banzer Morde, Folterungen und das in Lateinamerika so beliebte „Verschwindenlassen“ von Regimegegnern vorgeworfen.

Nach einem weltweit beachteten Hungerstreik von Frauen verhafteter Bergleute im Jahr 1978 schrieb Banzer Neuwahlen aus. Die Regierungspartei Acción Democrática Nacionalista (ADN) wurde von Banzer direkt nach dem Ende seiner Diktatur neu gegründet. Sein Traum war, demokratisch gewählt an die Macht zu gelangen. Dieses Ziel hat er zwar erreicht, das Ergebnis seiner Amtszeit kann jedoch nur desaströs genannt werden.

Banzers Nachfolger bis zu den Neuwahlen im August 2002 ist Jorge Quiroga. Der 41-jährige gehört zur jüngeren Fraktion innerhalb der Partei, die sich seit längerer Zeit einen Machtkampf mit den etablierten Herren der Banzer-Generation liefert. Auch er wird nicht viel Einfluss haben und die Situation im Land kaum verbessern können.

Der künftige Präsident des Andenstaates wird kein leichtes Spiel haben. Die Cocaleros haben neue Aufstände angekündigt, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst kontinuierlich, und die Menschen erwarten sofortige und einschneidende Veränderungen zur Verbesserung der Lebenssituation. Aber solange die USA ihre gänzlich unangemessene Drogenpolitik weiterverfolgen und die anderen Länder zur Kooperation zwingen, bleibt dies wohl ein frommer Wunsch.

Text:
Kristina Willenborg

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