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Amor: Nightlove - Taxi

Die Nacht ist lau, als ich ins Freie trete. Die ersten Arbeiter begrüßen schon wieder den Tag, der von der aufgehende Sonne eingeleitet wird. Tief in mir spüre ich die Energie, die ich hinter mir lasse, als der Vorhang fällt. Ich lasse mir Zeit, beobachte die einsame Straße, die nur durch weitere Nachtschwärmer bevölkert wird. Ich atme tief ein und bewege mich in Richtung Avenida 25 de Mayo. Es geht wie von selbst und ohne mein Zutun. Alles scheint vorprogrammiert zu sein und ich lasse mich treiben. Dort angekommen strecke ich den Arm aus und steige ohne nachzudenken in das Auto. Die Tür wird ganz leise geschlossen und wir fahren gegen den Sonnenaufgang in das aufwachende Buenos Aires hinein. Mitten hinein. Es ist herrlich und ich fühle mich so wohl, wie schon lange nicht mehr.

Die Nacht war hervorragend, doch der Höhepunkt sollte noch kommen und ausschließlich mir vorbehalten sein. Die Stadt sieht phantastisch aus zu dieser Uhrzeit und ich erinnere mich zurück an den Film, den ich erst neulich gesehen habe: Lost in Translation!

Als wir am "Obelisco" vorbei fahren, sehe ich ein anderes Taxi an der roten Ampel stehen. Im Fond sitzt eine junge gut aussehende Frau. Sie ist genau so alleine wie ich und möchte in ihr Bett. Auch in ihrem Gesicht hat die Nacht ihre Spuren hinterlassen und man erkennt ihre Müdigkeit in ihren Augen. Ich bin zwar körperlich auch ein wenig angeschlagen, aber ich könnte jetzt nicht ans Schlafen denken. Zu angenehm ist mir diese Zeit im Auto, die Fenster weit offen und der Fahrtwind kühlt mein nasses Hemd. Die Taxifahrer unterhalten sich ein wenig, ehe das grüne Licht zum Weiterfahren einlädt. Rüber auf die Avenida Cordoba und immer gerade aus. Die Lichter der Straßenlaternen strahlen noch an und alles wird in ein wunderschönes gelbes Licht getaucht. Die Stadt, die sonst nie zu schlafen scheint, erwacht aus ihrer Nachtruhe. Die Werbetafeln an den einzelnen Häusern begleiten mich fast bis in mein Bett, das irgendwie auf mich auch heute früh noch wartet. Blau, gelb, grün... Eine seltsame Stimmung hat mich ergriffen, eine Stimmung, die ich gar nicht richtig wiedergeben kann. Ist es Melancholie, Zufriedenheit, Glück oder was auch immer?

Den Arm hab ich mehr oder weniger lässig aus dem Fenster gelehnt und die Stadtluft durchfährt jedes einzelne Haar. Den Fahrer sehe ich nur durch den Rückspiegel, aber er scheint sich an meinen Anblick mit der Zeit gewöhnt zu haben. Er ist desinteressiert. Seine Augen blicken nur ab und an nach hinten. Ganz schwarz sind sie, aber sein Blick ist freundlich und nicht abweisend.

Wie die ganze Stadt, denke ich bei mir. Alles ist sehr offen. Wir kommen an "Cartoneros" vorbei, die immer noch auf der Suche nach der ein oder anderen Pappschachtel sind. Ich habe zwar immer noch nicht begriffen, wer für alte Pappe zahlt, aber es wird wohl ein paar Firmen geben, die das machen. Besser als überhaupt nichts zu tun. Ich weiß, dass sich diese "Cartoneros" in Gruppen formieren und zuweilen Mafia ähnlichen Charakter entwickeln; es soll schon Schlägereien und Verletzte gegeben haben, weil die Gruppen sich in den Stadtvierteln die Kartons gegenseitig weggeschnappt haben. Ich würde mich gerne einmal mit ihnen unterhalten, was sie vom Leben halten und welche Probleme sie wirklich haben, aber ich verwerfe den Gedanken schon wieder, als wir in eine Kopfstein bepflasterte Straße einbiegen. Die Bäume tragen noch ihr Grün und es ist herrlich anzusehen. Auch in relativer Dunkelheit lässt sich das erkennen. Der Großstadtcharakter tritt in den Hintergrund.

Das surrealistische Buenos Aires wird letztlich doch noch durchbrochen: Fünf Transsexuelle sind noch immer auf den Beinen und versuchen das ein oder andere Geschäft an Land zu ziehen. Hier nennt man diese Leute "Carlos", aber ich hab noch nicht herausfinden können, warum. Mir ist es eigentlich auch egal. Auch hier kann ich die bunten Farben hinter mir lassen und es geht weiter.

Die Fahrt neigt sich ihrem Ende entgegen und ich empfinde schon beinahe Trauer, dass es soweit kommen musste. Natürlich hat der Fahrer kein Wechselgeld und deshalb halten wir an einem Kiosk, damit er nach einem kleinen Kauf das erforderliche Wechselgeld zurückgeben kann.

Ich nutze die Gelegenheit, um auszusteigen und die letzten Meter zu Fuß zu gehen. Die Sonne wärmt mich schon wieder und ich fühle mich großartig. Die Straße ist noch nicht wirklich bevölkert, aber das wird sich schon in einer halben Stunde ändern. Ein paar Gestalten, die mich schräg ansehen, kommen mir entgegen.


Auch sie sind gezeichnet von der Nacht. Jetzt spüre ich auch den körperlichen Verschleiß des Abends, denn meine Beine schmerzen und der Rücken macht sich bemerkbar. Egal, nun ist es nicht mehr weit nach Hause. Gegenüber öffnet der Chinese schon wieder seinen Laden. Als ich Zuhause ankomme, wanke ich den langen Flur bis zu meinem Zimmer entlang, vorbei an allerlei Kunst und Krempel.

Der Durst treibt mich noch einen Stock höher in die Küche. Dort treffe ich auf einen weiteren Heimkehrer und wir unterhalten uns über Gott und die Welt. Er ist ähnlich kaputt wie ich, aber für ein wenig Konversation reicht es allemal. Man erzählt von den Dingen, die einem widerfahren sind in dieser Nacht und natürlich geht es wie so oft in diesem Leben um die Liebe. Wie schwer es doch manches Mal ist, sie zu erlangen, festzuhalten und am Ende verliert man sie doch. Die Kampfansagen, dass man nicht mehr bereit sei, sich wirklich fest zu binden, weil es so sehr viel mehr Spaß mache. Die Erkenntnis, dass alle Frauen auch auf dem ganzen Globus dieselben seien, was schließlich auch auf die Männer zutreffen dürfte. Und dass man immer nur diejenigen bekommt, die man eigentlich nicht will und bei den anderen immer ein wenig gehemmter auftritt. Alles, aber auch wirklich alles scheint hier so zu sein, wie überall sonst auf der Welt. Und dennoch fühle ich so viele Unterschiede, dass es eine wahre Freude ist.

Text + Fotos: Andreas Dauerer druckversion   

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