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[art_5] Mexiko: Las cascadas de Huaxtla
Versehentlich unterwegs in den Vororten von Guadalajara
 
Das Thermometer zeigt weit über 30°C an. Im Oktober in Guadalajara, Mexiko nichts Außergewöhnliches. Die Uni fällt aus. Das passt meiner Freundin Teresa und mir sehr gut, denn wir wollten schon lange mal irgendwo schwimmen gehen. Dass wir die Einzigen sind, die in der staubigen Großstadthitze fast eingehen, können wir nicht glauben. Dennoch haben weder die nette Frau von der Touristeninformation, noch Freunde Informationen über öffentliche Freibäder. Auch im Internet finden wir nichts. Nur mein Mitbewohner Roberto meint, er könne sich an die Wasserfälle von Huaxtla erinnern, einem natürlichen Badeparadies am Stadtrand. "Las cascadas de Huaxtla" schreibt er auf ein Zettelchen.

Mit Handtuch und Schwimmsachen stehen wir kurz darauf am alten Busbahnhof. Von dort fahren die Busse in die nahe Umgebung ab. Wir fragen nach Huaxtla und werden mit großen Augen angesehen. Von Stand zu Stand werden wir geschickt, die anderen werden es schon wissen. Nach einer Weile meint eine wartende Passagierin sich zu erinnern, dass sie auf ihrem Heimweg an Huaxtla vorbeikommt. Als wir endlich den Fahrer finden können, bestätigt er das. Ja, er könne uns in der Nähe des Dorfes rauslassen, aber von da aus sei es noch eine Weile zu laufen bis zu den Wasserfällen. - Wir sind begeistert.

Im Bus ist es heiß, wir schlafen die ersten beiden Stunden unserer "knapp vierzig minütigen Fahrt" und wachen erst auf, als die Motorgeräusche ausbleiben. Wir sind in Tala, einer Kleinstadt etwa 50 Kilometer von Guadalajara entfernt. Alle steigen aus und verschwinden in verschiedene Richtungen. Nachdem der Bus vollgetankt ist, dürfen wir wieder einsteigen. Der Fahrer verspricht uns nochmals, Bescheid zu sagen, sobald wir aussteigen müssen.

Mitten im Nichts hält der Bus an einer Abzweigung.
"Geht hier die Straße entlang, dann gelangt ihr nach Huaxtla", sagt der Busfahrer.

"Okay" antworte ich zögerlich. Teresa und ich sehen einander an, sind nicht ganz sicher, ob er nur Witze macht. "Und wo finden wir denn bitte die Wasserfälle?"

Jetzt war es der Fahrer, der verwirrt drein guckte. "Wasserfälle? Hier? Nein davon habe ich noch nie gehört", lacht er und öffnet die Tür. Völlig verdattert steigen wir aus. Als der Bus eine lange Staubwolke hinter sich herziehend wegknattert, sehen wir uns um. Wasserfälle? Fehlanzeige. Fluss? Keiner. Wald? Genauso wenig. Dafür Gestrüpp und Maisfelder unter surrenden Stromleitungen.

Wir beschließen, uns auf den Weg ins Dorf zu machen, dort wird man uns bestimmt helfen können. Ein Polizeiwagen fährt vorbei, es hupt. "Chei, chow arr you?", brüllen die betrunkenen Polizisten, während die hinteren Mitfahrer pfeifen und Luftküsse werfen. Noch eine Staubwolke umweht uns und auch dieses Auto ist vorbei.

Nach einer halben Stunde Fußweg kommen wir im "Dorf" an. Dieses besteht aus einer Farm, einem Friseursalon und einer (leider) geschlossenen Bar. Wir treffen eine Frau, die auch noch nie von Wasserfällen gehört hat. Nachdem sie alle ihre Brüder und damit vermutlich den Rest der Einwohner des Dorfes gefragt hat, ist sie sicher, hier gibt es keine Wasserfälle.

Zurück an der Kreuzung erklärt uns ein Herr, er habe mal von Wasserfällen am Rand vom Stadtteil Zapopan gehört. Ab in den nächsten Bus und zurück nach Guadalajara. Am Stadtrand steigen wir auf der Autobahn aus, überqueren diese todesmutig und steigen auf der anderen Seite in den nächsten Bus. Bis hierhin konnten wir uns die konfuse Beschreibung merken. Die Dame, die unser Kleingeld im bis oben überfüllten Bus weitergibt, erklärt uns die nächsten zwei Male Umsteigen. Wieder vier Fahrspuren überquert, dann eine Brücke und weitere vier Spuren. Einige Stunden und noch mehr Bustickets später setzt uns der Fahrer des 380ers schon nach zwei Minuten Fahrt wieder an die frische (und mittlerweile kühle) Luft.

"Ich sollte euch doch Bescheid sagen, wenn wir bei den Wasserfällen angekommen sind!", rechtfertigt er sich und öffnet die Tür. Im Industriegebiet gelandet fragen wir in der Apotheke nach, die sich bei Betreten als Schnapsladen entpuppt.

"Die Cascadas de Huaxtla? Die gibt es doch gar nicht mehr!"

Teresa und ich sind trotz aller gesammelten Erfahrung überrascht: Wie können denn Wasserfälle verschwinden? Nur um sicher zu gehen, frage ich noch einmal nach und tatsächlich, ich habe mich nicht verhört.

"Nein, die haben keine Öffnungszeiten, die sind geschlossen, schon ein paar Jahre glaube ich. Da unten irgendwo vielleicht zehn Kilometer die Straße runter waren die, aber Busse fahren da ohnehin keine mehr. Wartet, ich zeig’s euch." Da er gerade keine Kunden hat, tippt Miguel Angel, der untersetzte Verkäufer des getarnten Schnapsladens, wie wild in seinem Handy herum. Er ruft bei zwei Leuten an und sucht sich durch diverse Homepages.

Dann haben wir es schwarz auf weiß: "Huaxtla cerrado al publico en general", lesen wir. Huaxtla für die Öffentlichkeit geschlossen. Viele Graffitis, Hausmüll, Hygienemüll und Glasscherben schmückten die traumhafte Erholungsstätte kurz vor seiner Schließung.


Als dann auch noch insgesamt neun Menschen beim Versuch, teils mit Drogen vollgepumpt von den Klippen ins Wasser zu springen, ums Leben kamen, war klar, dass dieser Ort geschlossen werden müsse. Eintrittsgelder wurden für die Cascadas de Huaxtla nie verlangt, so konnten weder Lebensretter noch Müllsammler beschäftigt werden.

So kann es laufen, wenn man ein Paradies den Menschen selbst überlässt. Mit eingestaubten Schwimmsachen und nur vom eigenen Schweiß gebadet haben wir bald unsere letzten Bustickets für den Heimweg erworben. Zurück zu Hause schreibe ich ein Zettelchen für Roberto: "¡Pinches cascadas que no existen! ¡Pero supiste que hay un pueblo que se llama Huaxtla?"

Text + Fotos: Annika Wachter


Ex-Ausflugstipp:
Las cascadas de Huaxtla: http://www.huaxtla.com.mx/



[druckversion ed 12/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: mexiko]

Die Autorin auf Tour – absolut lesens- und schauenswert!
Annika & Roberto sind mit dem Fahrrad nach Süd-Ost Asien unterwegs
Ihren Blog zum Trip "Tasting Travels – tasting the cultures of the world" findet ihr unter:
www.tastingtravels.com


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