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[art_1] Spanien: Antequera – die schöne Unbekannte Andalusiens
 
Während die Namen der drei Kulturmetropolen Sevilla, Cordoba und Granada jedem Andalusien-Besucher ein Leuchten in die Augen zaubern und Ronda zumindest den deutschen Reisenden bekannt ist, weil der Dichter Rainer Maria Rilke über dem dortigen Abgrund eine romantische Zuflucht gefunden hat, erfreut sich Antequera einer deutlich geringeren Berühmtheit. Das sollte sich dringend ändern.

Denn diese monumentale Kleinstadt (knapp 40.000 Einwohner) bietet viel auf engstem Raum, liegt auf 600 Metern Höhe von spektakulären Berglandschaften umgeben – und wäre beinahe sogar zur Hauptstadt von Andalusien gewählt worden. Aber schließlich setzte sich bei dieser Wahl 1978 doch Sevilla durch. Dennoch ist auch das kleine Antequera ein historisches Schwergewicht. Vor den Toren der Stadt liegen bestens erhaltene megalithische Grabstätten, die z.T. mehr als 4500 Jahre alt sind (Dolmen de Menga), darunter auch der älteste Kuppelbau Europas, ein 34 Meter langer Grabtempel (Dolmen del Romeral, ca. 1800 v. Chr.).

Jubiläumsplakat
Efebo de Antequera

Die Siedlung Antequera selbst wurde wahrscheinlich im 6. Jahrhundert vor Christus gegründet. Nachdem die Römer sie erobert hatten, gaben sie ihr den Namen Antikaria und schufen hier im 1. Jahrhundert nach Christus die vielleicht schönste römische Bronzestatue überhaupt, den berühmten "Efebo de Antequera". Das Original dieser 1955 durch Zufall bei Bauarbeiten vor den Toren der Stadt gefundenen Figur steht im Stadtmuseum, eine Kopie befindet sich in der Hauptkirche Santa Maria la Mayor.

Stierkampfarena / Puerta de Estepa [zoom]
Don Fernando [zoom]

Und auch während der islamischen Epoche kam der "Madinat Antaqira" einige Bedeutung zu, vor allem in der Endphase während ihrer Zugehörigkeit zum Nasridenreich von Granada. Das zeigt sich noch heute in den Stadtmauern und der stolzen Alcazaba, die im 14. Jahrhundert unter der Regierungszeit von Muhammad V. erbaut wurden. Heute präsentiert sich die Festung allerdings stark restauriert, in Teilen rekonstruiert. Dieser Burgberg, der so dekorativ über Antequera thront, war damals nahezu uneinnehmbar – wehrhafte Mauern gegen die Reconquista. König Pedro der Grausame von Kastilien versuchte vergeblich die Stadt zu erobern und 1410 forderte der Infant Don Fernando sein Glück heraus und begann mit einer fünf Monate langen Belagerung. Schließlich zahlte sich seine Geduld aus: am 16. September 1410 öffnete die muslimische Bevölkerung dem christlichen Prinzen die Stadttore.

Antequera [zoom]
Antequera [zoom]

Plaza de San Sebastián [zoom]
Plaza de San Sebastián [zoom]

Deshalb hat Antequera am 16. September 2010 den 600. Jahrestag seiner Eingliederung ins Königreich Kastilien gefeiert. Der Legende nach soll dabei himmlischer Beistand im Spiel gewesen sein. Der Prinz sprach am Morgen der Eroberung den feierlichen Satz "Möge die Sonne für uns über Antequera aufgehen und dann geschehe, was immer Gott will." Damit wiederholte er die Worte, die ihm in der Nacht zuvor eine im Traum erschienene leuchtendweiße Frauengestalt aus einem Strahlenkranz heraus verkündet hatte.

Nachdem der Prinz Don Fernando in die arabische Burg eingezogen war, überreichte man ihm ein Kästchen mit Namen von christlichen Heiligen des Monats September – mit dem Ziel, einen Schutzpatron für die neu eroberte Stadt zu proklamieren. In einer Art von sakralem Lotteriespiel zog der Infant dann mit verbundenen Augen ein Namensschild aus dem Kästchen. Und die Gewinnerin war: Santa Eufemia!

Paso der Santa Eufemia [zoom]
Santa Eufemia [zoom]

Befestigungsmauer der Alcazaba [zoom]
Stadtmauer [zoom]

So kam die heilige Eufemia (289-304), eine Märtyrerin aus Kleinasien, die während der Christenverfolgung in der Epoche Kaiser Diokletians in der Arena von Löwen zerfetzt wurde, zu der Ehre, fortan als Schutzpatronin von Antequera verehrt zu werden. Deshalb spielte sie natürlich auch eine Hauptrolle bei den Festivitäten zur 600-Jahr Feier der kastilischen Eroberung. Unter ihrem Banner organisierte die Bruderschaft der heiligen Eufemia die festliche Prozession am 16. September 2010. Dabei wurde die schöne Statue der Eufemia im Stil von Málaga getragen, d.h. die wackeren Träger (Costaleros) waren nicht unter der Altarbühne versteckt, sondern transportierten sie mit Hilfe von langen Tragebalken. Die Prozession verlief von der Kirche San Sebastián zurück zu ihrer Heimatkirche, durch festlich geschmückte Gassen und begleitet von der halben Stadt und leidenschaftlich trompetenden Musikern.

Trompeten für Santa Eufemia [zoom]
Paso der Santa Eufemia [zoom]

Geschmückte Gassen [zoom]
Wappenträger [zoom]

Dazu gab es eine Reihe von Veranstaltungen: Konzerte, einen Mittelalter-Markt, Austellungen etc. – und ein sehr angenehmes Merkmal dieser Festwoche im September 2010 war, dass sie nicht unter dem revanchistischen Motto "Reconquista" stand, sondern dass man die Sprachregelung "Integración" (Eingliederung ins spanische Reich) wählte. Damit wurde der multikulturelle Aspekt betont, in dem das islamische Erbe seinen Platz neben christlich-barockem Prunk haben soll, wie fast überall in Andalusien. In den Jahrzehnten nach dieser "Eingliederung" mag vorübergehend der Triumph-Gedanke überwogen haben: so baute man z.B. 1585 den monumentalen "Arco de los Gigantes" als architektonisches Siegessymbol direkt vor die islamische Alcazaba. Heute schreitet man durch diesen Torbogen zur Hauptkirche Santa María la Mayor.

Alcazaba [zoom]
Alcazaba [zoom]

Arco de los Gigantes [zoom]
Iglesia de San Pedro [zoom]

Aber im 20. Jahrhundert wurde die Burgruine restauriert, ebenso wie andere islamische Bauelemente. Und so wurde am 16. September eben nicht "Santiago Matamoros" durch die Straßen des schönen Bergstädtchens getragen, sondern eine sanfte, engelshafte Frauengestalt: Antequera feierte sich selbst und Santa Eufemia. Und beide empfangen gern Besuch!

Text + Foto: Berthold Volberg


Quellen:

"El Angelote”- Periodico turistico de Antequera, Nr. 4 (2010)
"Comarca de Antequera – más cerca de tí" (Guía de profesionales 2010)

Sehenswertes:

Anfahrt mit dem Zug nach Antequera
Von Málaga (Fahrt dauert ca. 30 Minuten)
Von Sevilla (knapp 2 Stunden)
Von Madrid (mit dem AVE, 3 Stunden)

Monumente
Alcazaba von Antequera:
Öffnungszeiten: Di.-Fr. 10.30-14.00 und 16.00-18.00, Sa. + So. 11.30-14.00,
Eintritt Frei (Mo. geschlossen)

Dólmenes (Grabtempel)
Öffnungszeiten: Di.-Sa. 9.30-18.00, So. 9.30-14.30, Mo. geschlossen
Eintritt Frei

Museo Municipal
Öffnungszeiten: (z.Z. wg. Restaurierung geschlossen)

Ausflug in den Naturpark "El Torcal"
Ein Taxi (außer Leihwagen oder Fahrrad die einzige Möglichkeit) zur spektakulären Berglandschaft des Naturparks "El Torcal" (ca. 20 Kilometer gen Süden) kostet 40,- € und man startet am besten von der Stierkampfarena an der Puerta de Estepa aus.


Empfehlungen:

Hostal Colón
C. Infante Don Fernando 29-31, Tel. ++34-952840010
Sehr schönes altes Hotel in bester Lage mit einfachen, sehr preisgünstigen Zimmern und sehr freundlichem und hilfsbereitem Empfang.

Hostal + Restaurante Plaza San Sebastián
Plaza San Sebastián 4; Tel. ++34-952844239
Email: informacion@hotelplazasansebastian.com
www.hotelplazasansebastian.com

Restaurante La Giralda
C. Mesones 8-10, Tel ++34-952845860
Email: lagiralda@conexanet.com
www.conexanet.com/lagiralda
Geöffnet 12 Uhr-16 Uhr und 20 Uhr-23.30 Uhr, montags geschlossen
Schönes Restaurant mit sehr netter Bedienung
Spezialitäten: Lammfleisch, rotes Fleisch vom Grill und Wild; Crepes und "Delicatessens" (köstliche kleine Überraschungen); gute Weinkarte

Restaurant la Giralda
Hostal Colon

Meson Juan Manuel
C. San Agustin 1, Tel. ++34- 952843484,
geöffnet 13 Uhr-17 Uhr und 20 Uhr-24 Uhr,
Rustikales Ambiente, mittags ein leckeres und großzügiges Tagesmenü,
Spezialiäten: Geflügel, "Porra Antequerana" (die hiesige Version des "Salmorejo", eine Art cremiges "de luxe Gazpacho"), Fleisch vom Grill

El Angelote
C. Encarnación"/ Ecke "Coso Viejo", Tel. ++34-952703465
Edles Restaurant der gehobenen Preisklasse, untergebracht in altem Palast,
breit gefächerte Spezialitätenangebot und Weinkarte

Cafetería La Mandrágora
Plaza Las Descalzas 1, Tel. ++34-952845743
Email: elpadrinodemenga@hotmail.com
Eine Tapas-Bar / Cafetería für vorwiegend junges, teils alternatives Publikum, mit leckeren + sehr preisgünstigen Tapas + Kuchen + Crepes und mit sehr geschmackvoller Musik-Berieselung (Flamenco, Jazz, Blues).

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