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[art_4] Peru: Kakao statt Kokain
 
Für Bauern im tropischen Tiefland Perus ist es das einfachste und lukrativste, Coca zu pflanzen. Doch der Anbau der Coca, aus der Kokain gewonnen wird, ist gefährlich. Der Faire Handel gibt den Bauern eine Alternative: Kakao, der fair bezahlt wird, so dass die Bauern davon gut leben können.

Das Feld von Benancia Nasario Murga liegt direkt am Fuße eines felsigen Berges, der von tropischen Pflanzen überwuchert wird. Das hier ist ideales Cocaanbaugebiet. Doch das Benancia Nasario Murga hier Coca angepflanzt hat, das ist schon einige Jahre her. "Immer wieder kam die Armee und riss sämtliche Cocapflanzen aus. Sie ließen uns einfach mit den zerstörten Feldern zurück. Früher kamen sie sogar mit Helikoptern und sprühten Gift. Davon gingen dann auch alle anderen Pflanzen ein, unser Kaffee, unser Kakao, unsere Bananen und Papayas. Einfach alles." Die 59-jährige schaudert heute noch, wenn sie daran denkt, wie ihre Familie damals Hunger litt. "Coca anzubauen ist einfach. Die Blätter können alle zwei Monate geerntet werden und die Pflanze braucht kaum Pflege. Und Coca wird gut bezahlt. Mit einem Hektar Coca kann man soviel verdienen, wie mit drei Hektar Kakao. Die Arbeit war einfacher, aber auch gefährlicher – wir hatten ja mit der Drogenmafia zu tun. Und dann immer diese Angst vor der Polizei."

Die grünen Blätter des Cocastrauches liefern den Grundstoff, der zur Herstellung von Kokain benötigt wird. Mit Hilfe von Diesel und einer Reihe Chemikalien wird der Wirkstoff herausgelöst und zu Kokain verarbeitet. In Peru kostet ein Kilo reines Kokain 800 US-Dollar – in Europa ist es auf dem Schwarzmarkt mindestens 80.000 Euro wert. Von dem riesigen Gewinn bleibt bei den Bauern nur sehr wenig hängen. Aber der Anbau lohnt sich trotzdem – für Cocablätter bekommen sie wesentlich mehr als sie mit jeder anderen tropischen Feldfrucht verdienen könnten.

Doch vor vier Jahren hatte Benancia genug davon, in ständiger Angst zu leben. Sie gab die Coca auf und schloss sich der Kakaokooperative Naranjillo an, die ihren Kakao an die Gepa verkauft. Magno Cántaro Diego ist der Präsident der Kooperative. Er ist selber Kakaobauer und hat erlebt, wie innerhalb von 40 Jahren aus einer kleinen Bauerngemeinschaft die größte und erfolgreichste Kooperative des ganzen Landes wurde. "Das Geld aus dem Fairen Handel investieren wir, indem wir Agraringenieure beschäftigen, die unseren Mitgliedern zeigen, wie ihr Kakao noch besser wird. So macht uns der Handel mit der Gepa zu einem starken Unternehmen, das auf dem Markt bestehen kann." Die Kooperative umfasst um die 5000 Mitglieder, hinter denen jeweils eine fünf- bis sechsköpfige Familie steht. All diese Menschen profitieren direkt vom Fairen Handel. Die Kooperative kann beispielsweise Dank der Zusammenarbeit mit der Gepa einen Arzt bezahlen, der sich um ihre Mitglieder kümmert, wenn sie krank sind, und die Kosten für Medikamente übernehmen. Andere Bauern wissen im Notfall nicht, woher sie das Geld für solche unvorhergesehenen Ausgaben nehmen sollten.

Die Stimmung in der Stadt Tingo Maria ist angespannt. Schon zum vierten Mal in diesem Jahr haben Cocabauern aus der Umgebung die strategisch wichtige Brücke und alle Zufahrtstraßen in die Stadt blockiert. Wütend rufen sie Parolen in Richtung des Militärs, das mit 500 mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Soldaten eingeflogen ist, um den Aufruhr unter Kontrolle zu halten. Die Bauern protestieren mal wieder gegen die Zerstörung ihrer Felder. Regelmäßig werden die Cocapflanzungen von Polizei und Militär vernichtet. Die USA, der wichtigste Geldgeber des Landes, verlangen diesen Kampf gegen das Kokain als Gegenleistung für die Entwicklungshilfe. Kürzlich gab es in der Gegend um Tingo dabei sogar einen Toten – ein Bauer, der versucht hatte, seine Felder zu schützen. Obwohl der Cocaanbau gefährlich ist, wollen ihn die meisten Bauern nicht aufgeben, denn mit Orangen, Kaffee oder Kakao verdienen sie einfach nicht das, was sie zum Leben brauchen – zumindest dann nicht, wenn sie diese Produkte an den konventionellen Handel verkaufen.

Benancia hingegen verdient dank des Fairen Handels auch mit dem Anbau von Kakao genug. "Über die Kooperative bekomme ich 25 Prozent mehr für meine Ernte als ich dafür von den kommerziellen Zwischenhändlern bekäme", hat sie ausgerechnet. "Außerdem habe ich die Sicherheit, dass mir meine Ernte zu einem festen Preis abgenommen wird. Dadurch kann ich voraus planen." Von dem, was sie verdient, kann sie ihre fünfköpfige Familie ernähren und die Kinder zur Schule schicken. Trotzdem ist das Leben der Familie hart. Ihr Schwiegersohn muss drei Mal täglich zum Fluss laufen um Wasser zu holen, und die 80 Liter-Kanister jedes Mal eine halbe Stunde lang den Berg hinauf schleppen. Ihre Küche ist eine wackelige Bretterbude, in der Benancia am offenen Herdfeuer kocht. Und die Hängematten, in denen die Familie während der heißen Mittagsstunde ihre Siesta hält, sind verschlissen. Außerdem machen ihre drei Hektar Kakao viel Arbeit, zumal Benancia Biokakao anbaut und auf jeglichen Dünger oder Pestizide verzichtet. "Wenn wir nicht gerade ernten oder die Pflanzen beschneiden, müssen wir Unkraut jäten oder Kompost ansetzen und den dann auf dem Feld verteilen."

Sicher, mit der schnell wachsenden, anspruchslosen Coca, die überdies immer noch mehr einbringt als fairer Kakao wäre ihr Leben einfacher. Trotzdem ist Benancia heilfroh, dass sie mit dem Aufstand der Cocabauern und allem, was damit zusammen hängt, nichts mehr zu tun hat. Sie muss nicht fürchten, dass das Militär bei ihr aufkreuzt und alles kurz und klein schlägt. Und sie muss keine Angst vor der nächsten Begegnung mit der Drogenmafia haben. Stattdessen lebt sie in Sicherheit und kann sich und ihrer Familie eine bessere Zukunft aufbauen. "Letztes Jahr habe ich etwas Land dazu gekauft. Dieses Jahr werde ich mit der Prämie ein zweites Stockwerk auf unser Häuschen setzen, damit nicht mehr die ganze Familie in einem Raum schlafen muss. Und im nächsten Jahr will ich eine Trockenanlage für die Kakaobohnen bauen, damit die Ernte nicht verdirbt, wenn es zu feucht ist", zählt Benancia auf. Und trotz all dieser großen Anschaffungen bleibt immer auch ein wenig Geld für einen ganz persönlichen kleinen Luxus übrige: Paneton, der Weihnachtskuchen, den die Kinder so besonders gerne essen.

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Peru verfasst, den Ihr voraussichtlich ab dem 01.12.2009 im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Titel: Peru Kompakt
Autoren: Katharina Nickoleit, Kai Ferreira-Schmidt
288 Farbseiten
4. überarbeitete und komplett aktualisierte Auflage
ISBN: 978-3-89662-336-2
Verlag: Reise Know-How

Text: Katharina Nickoleit

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