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[art_4] Brasilien: Warme Weihnacht

Weihnachtszeit! Der Schnee legt sich gnädig und erhaben über die Landschaft, weiß und weich, dämpft dabei jedes Geräusch und knirscht bei jedem Schritt wohlig unter den Füßen. In den Tannen leuchten bunte Lichter wie herabgefallene Sternchen, und ach, sie spiegeln sich in den glänzenden Augen der Kinder. In ihren kleinen Unterschlupfen räkeln sich die Eisbären und winken. Weihnachtszeit! In den Herzen der Menschen eine Wärme wie stete Kerzen in Butzenfenstern, die dem Wanderer draußen in der Kälte den Weg in die Stube weisen. Und auf einem Thron auf einem verschneiten Hügel vor mir - der Weihnachtsmann!

Und der gute, arme Weihnachtsmann - er schwitzt wie hulle unter seiner fellgefütterten Zipfelmütze und seinem weißen Rauschebart. Und wer ist die Weihnachtsfrau in dem kurzen, äh, Weihnachtsrock an seiner Seite?

Was ist aus dem alten Ruprecht geworden? Merkwürdig. Und diese Eisbären - wenn ich dadrüber nachdenke, kann ich mich nicht erinnern, dass sie zum klassischen Weihnachtsszenario gehören. Wohnt der Weihnachtsmann nicht bekanntermaßen am Nordpol? Und gab es da nicht irgendeine Geschichte, von wegen Eisbären nur im tiefen Süden? Oder waren das Pinguine? Jedenfalls, ihr Räkeln und Winken - ich kann mir nicht helfen, es wirkt mechanisch. Und die Stimme in den Lautsprechern - warum unterbricht sie gerade in diesem Moment ihr getragenes Ave Maria, um "Fünfzehn bitte Zwölf" zu sagen, mit einem Mal so sachlich, so ohne jedes Gefühl?

Schließlich, desillusioniert, hör auf zu träumen, Träumer, trete ich hinaus aus der fast völlig authentischen Weihnachts-Wunderwelt des Einkaufszentrums, und die Hitze umschließt mich mit ihrer geballten Faust aus warmer, feuchter Watte. Das Licht ist viel zu grell. Auch hier sind die Bäume mit bunten Lämpchen geschmückt. Aber die Bäume sind Palmen, Bäume ohne jedwede Nadel.

In meiner Hand trage ich eine Einkaufstüte mit einem beträchtlichen Truthahn. Eine Gans habe ich nicht gefunden. Einen ordentlichen Weihnachtsbaum auch nicht. Also basteln wir uns einen aus einem Besenstiel, grüner Wolle und ein paar Sternen aus Goldfolie. Hübsch sieht er aus.

Wenigstens in einer Hinsicht verhalten sich die Tropen, wie man es an Weihnachten von seiner Umgebung erwarten würde: Sie dunkeln früh. Also können wir ganz traditionell am Heiligabend mit unserer kleinen Exil-Ersatzfamilie bei Kerzenschein um den Tisch sitzen und einen köstlichen Truthahn verspeisen, gefüllt mit Pflaumen, Nüssen und Äpfeln. Gut, es ist ein besonders warmer, schwüler Abend, und deswegen tragen wir dabei vorwiegend nichts weiter als unsere Unterwäsche und/oder Bademode. Zur Freude unserer Nachbarn, die in unregelmäßigen Abständen an den geöffneten Fensterläden unserer Parterre-Wohnung vorbeidefilieren und uns im Plauderton fragen, was wir denn da gerade so treiben. Denn offenbar ist unser Timing falsch oder zumindest kulturell unsensibel. Der Brasilianer bekommt seine Geschenke erst am ersten Weihnachtstag. Aber aus Gründen der Anpassung einen Tag länger auf unsere Geschenke warten? Niemals.

Und am Ende, nach der Bescherung, fühlt es sich dann auch gar nicht mehr so fremd an. Wir freuen uns über unsere Geschenke und über die gute Gesellschaft. Wir denken an unsere Familien in der Ferne und sind uns ziemlich sicher, dass sie uns beneiden.

Gleichzeitig versuchen wir uns mit Beschreibungen unseres Völlegefühls und Überfressenheitsgrades zu übertreffen. Weil wir inzwischen auf dem Boden zwischen ausgepackten Päckchen verteilt sitzen, können uns die Nachbarn auch nicht mehr so gut durchs offene Fenster anstarren. Und morgen, entscheiden wir voll diebischer Freude ob der Absurdität einer solchen Aktivität am ersten Weihnachtstag für den durchschnittlichen Westeuropäer, morgen gehen wir an den Strand und trinken viel Caipirinha.

Text: Nico Czaja
Fotos: Katrin Sperling / Nico Czaja