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Grenzfall: Mister Shoeshine
Sprechen: "Mister, Mister! Shoeshine? One sol!"
Vom Platz weg führen: "He, Mister, hier lang. Hier auf Platz Polizei, verstehen? Shoeshine verboten."
Schuhkasten von der Schulter nehmen. Hinhocken. Den rechten Fuß anstupsen und warten, bis der Fremde seinen Fuß unbeholfen auf den Kasten setzt. Schmutzige Schuhe, lange nicht mehr geputzt. Schublade herausziehen, Bürste auspacken. Schuhcreme und Lappen entnehmen und auf den Asphalt neben das parkende Auto legen. Hosenbein hochrollen, sicher ist sicher. Einen Streifen Pappe unter die Lasche schieben, damit die Socke nicht schmutzig wird.
Arm mit Zeitung heben. Sprechen: "Zeitung gefällig?" Er versteht nicht. "Du Zeitung?" Lächeln. Ablehnung entgegen nehmen. Wieder über die Arbeit beugen. Bürste heben und mit ihr kräftig über den staubigen Schuh streichen. Ist wirklich schmutzig und klebt voll toniger Erde. Einen Strich hin, roter Staub fliegt auf, einen Strich zurück. Noch einmal hin. Ergebnis kontrollieren.
Schuhe examinieren. Schuhe sind zweifarbig, rot mit einem schwarzen Streifen. Rote Schuhcremedose öffnen und Bürstenecke hineintauchen. Vorsichtig auftragen und dabei auf schwarzen Streifen achten. An der Ecke sorgsam tupfen. Auch hinten am Hacken entlangfahren. Bürste dabei von einer Hand in die andere gleiten lassen. Und wieder zurück. Und wieder hin.
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Rote Dose schließen, schwarze öffnen. Mit einem Blick die Breite des schwarzen Streifens abschätzen. Sie als zu schmal für die Bürste erkennen. Finger in die schwarze Schuhcreme senken. Auf der linken Schuhseite Streifen mit dem Finger nachziehen. Sorgfältig an den Rändern des Streifens sein. Keine schwarze Schuhcreme auf das rote Leder streichen. Finger wieder in die Wichse eintauchen. Rechten Streifen einfetten.
Schublade am Kasten aufziehen. Polierbürste greifen. Schuh polieren. Schwungvoll hin und her und her und hin. Hinten über den Hacken ziehen. Von links nach rechts und wieder zurück mit der linken und der rechten Hand. Schneller jetzt. Die Bürste über das Schuhwerk gleiten lassen und es zum Glänzen bringen.
Nachfragen: "Wie?" Versuchen, das gebrochene Spanisch des Fremden zu verstehen. Wie alt ich sei? Antworten: "Elf." Ob ich viele Kunden hätte? Sprechen: "Nein." Ob ich zur Schule gehe? Kurz überlegen. Manchmal geben sie bei "Ja", manchmal bei "Nein" mehr Geld. Auf jeden Fall schon mal Mitleidsplatte auflegen und langsam warm laufen lassen. Für Schule entscheiden. Kopf wieder senken, arbeiten. Nebenbei weitere Fragen beantworten.
Mit dem Bürstenkopf einmal kurz unten auf die Sohle pochen, um den Schuhwechsel anzuzeigen. Warten bis der Mister versteht und seinen anderen Fuß auf den Kasten stellt. Hosenbein hochrollen, sicher ist sicher. Einen Streifen Pappe unter die Lasche schieben, damit die Socke nicht schmutzig wird. Bürste heben und mit ihr kräftig über den staubigen Schuh streichen. Einen Strich hin, roter Staub fliegt auf, einen Strich zurück. Wieder hin. Ergebnis kontrollieren. Rote Schuhcremedose öffnen und Bürstenecke hineintauchen. Vorsichtig auftragen und dabei auf schwarzen Streifen achten. An der Ecke sorgsam tupfen. Auch hinten am Hacken entlangfahren. Bürste dabei von einer Hand in die andere gleiten lassen. Und wieder zurück. Und wieder hin. Rote Dose schließen, schwarze öffnen. Finger in die schwarze Schuhcreme senken. Auf der linken Schuhseite Streifen mit dem Finger nachziehen. Sorgfältig an den Rändern des Streifens sein. Keine schwarze Schuhcreme auf das rote Leder streichen. Finger wieder in die Wichse eintauchen. Rechten Streifen einfetten. Polierbürste in die Hand nehmen. Schuh polieren. Schwungvoll hin und her und her und hin. Hinten über den Hacken ziehen. Von links nach rechts und wieder zurück mit der linken und der rechten Hand. Schneller jetzt. Die Bürste über das Schuhwerk gleiten und es erglänzen lassen.
Mit dem Bürstenkopf einmal kurz unten auf die Sohle pochen, um den Schuhwechsel anzuzeigen. Fragen: "Special, Mister, yes? Special sehr gut für Schuhe." Schublade aufziehen, Fläschchen mit der milchig-weißen Flüssigkeit herausziehen. Deckel abschrauben, Lappen an die Öffnung halten, Flasche umdrehen und kräftig schütteln. Mit dem Lappen die helle Lösung in das Leder reiben. Bürste ergreifen und über den Schuh ziehen. Ein paar Mal nur, um die Spezialflüssigkeit zu verteilen. Dann wieder Schublade öffnen, Schuhcremedosen verstauen, denn die werden nicht mehr gebraucht. Poliertuch herausziehen. Mit beiden Händen ergreifen. Luft holen. Über den Schuh ziehen. Am Ende der Bewegung so schnell straff ziehen, dass es leise knallt. Wieder über den Schuh ziehen. Wieder knallen lassen. Schnell das Tuch rund um den Halbstiefel führen. Keine Ecke vergessen. Das Leder zum Blitzen bringen. Pochen: Schuhwechsel.
Deckel wieder abschrauben, Lappen an die Öffnung halten, Fläschchen umdrehen und kräftig schütteln. Mit dem Lappen die helle Lösung in das Leder reiben. Bürste ergreifen und über den Schuh ziehen. Ein paar Mal nur, um die Spezialflüssigkeit zu verteilen. Poliertuch mit beiden Händen ergreifen. Luft holen. Über den Schuh ziehen. Am Ende der Bewegung so schnell straff ziehen, dass es leise knallt. Wieder über den Schuh ziehen. Wieder knallen lassen. Schnell das Tuch rund um den Halbstiefel führen. Keine Ecke vergessen. Das Leder zum Blitzen bringen. Pochen: Fertig.
Warten, bis der Fremde versteht und seinen Schuh vom Kasten nimmt. Schublade aufziehen. Fläschchen mit Extra-Lösung verstauen, Lappen und Bürsten ebenso. Schublade schließen. Aufstehen. Hand ausstrecken, auf Geldstück warten. Mehrere empfangen und als gutes Zeichen werten. Hand schließen, heranziehen und wieder öffnen. Zählen. Sich freuen, ohne es zu zeigen. Überlegen, ob mit "Aber Special, Mister, Special teuer" vielleicht noch ein bisschen mehr herauszuholen ist. Den Fremden abschätzen. Sich auf kurze Diskussion einlassen. Noch eine kleinere Münze empfangen und auf ein paar unwirsche Bemerkungen nicht achten. Sich ohne große Mühe bedanken. Schuhkasten über die Schulter hängen, Geld in der Hosentasche verstauen. Wieder zum Platz zurücklaufen.
Sprechen: "Madam, eh Madam! Shoeshine? One sol!"
Ignoriert werden, aber die Hoffnung nicht aufgeben.
Text: Nil Thraby
Foto: Dirk Klaiber