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[kol_1] Grenzfall: Königlich Nebel saufen
Kleine Geschichte des Tabaks
 
Die Suche nach Handelswegen und allerlei Gütern wie Gewürzen und vor allem Gold trieb im späten 15. Jahrhundert eine Menge so genannter Entdecker übers Meer gen Westen. Im Verlauf diverser Atlantiküberquerungen fanden daher so einige nützliche Dinge wie Tomaten, Mais und Kartoffeln ihren Weg nach Europa. Im Rückblick betrachtet echte Exportschlager, auch wenn ihr Wert in Europa erst im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte erkannt werden sollte.

In Bezug auf ihren Nutzen umstritten, damals wie heute, war und ist eine weitere Kulturpflanze aus der Karibik, die Tabakpflanze. "Ein Geschenk der Götter", meinten die recht entspannten Inselbewohner, die ihre Blätter rauchten. "Stinkendes Teufelszeug", wetterten dagegen von Beginn an die moralischen Autoritäten der Spanier. Columbus jedenfalls schickte zur Erkundung der Insel Kuba zwei Weggefährten ins Landesinnere und diese berichteten von "Schornsteinleuten", Menschen, die riesige, gerollte Tabakblätter entzündeten, den "Rauch tranken" und dabei höchst vergnüglich ausschauten. Columbus allerdings war von dieser Sitte bei weitem nicht so angetan wie eben einer jener Reisegefährten, Rodrigo de Xerez, der sich das Rauchen bei der Gelegenheit gleich angewöhnt hatte. Zurück in Spanien wurde er dafür von der Inquisition in den Kerker gesteckt, denn wer Rauch aus Mund und Nase blies, konnte ja nur mit dem Teufel im Bunde stehen.

Zehn Jahre später, als sich das Rauchen auf der Halbinsel bereits fast so schnell verbreitet hatte wie ein weiterer Exportschlager aus der Neuen Welt, die Syphilis, kam de Xerez wieder frei und die Rauchgegner hatten für diesmal das Nachsehen.

Inzwischen war auch die Tabakpflanze selbst, importiert von einem weiteren forschungseifrigen Weggefährten Columbus`, dem Mönch Ramón Pane, bis nach Europa vorgedrungen. Mit ihren schönen kleinen und durchaus wohlriechenden Blüten wurde sie jedoch nur als Zierpflanze geschätzt, denn die Sitte des Rauchens, vor allem unter Matrosen verbreitet, galt weiterhin als verrucht und spaltete die Geister.

Gleichzeitig jedoch wollte man den angeblichen Heilwirkungen des Krautes auf den Grund gehen, womöglich hatte man ja "Braunes Gold" entdeckt! Während des Eroberungsfeldzuges von Mexiko wurde beobachtet, dass offene Wunden und Schwellungen mit Tabak behandelt wurden. Und Pane hatte schon früher berichtet, dass die einheimischen Kaziken manchen Kranken einen Brei aus Tabak verabreichten und das Erbrechen desselben die Krankheiten aus dem Körper vertreibe. Der spanische Historiker Oviedo y Valdés schrieb Anfang des 16. Jahrhunderts in seinem Buch über das Tabakrauchen: "Ich weiss, dass einige cristianos es schon gebrauchen, besonders einige, welche von der Lues (Syphilis) betroffen sind, denn sie sagen sich, dass sie in jenem verzückten Zustand die Schmerzen ihrer Krankheit nicht fühlen."

Die Ärzte in Europa waren natürlich begeistert und experimentierten freudig mit der Pflanze. Die moralischen Autoritäten jedoch, allen voran Bartolomé de las Casas, der erste Bischof in der so genannten Neuen Welt, wurden nicht müde, die Pflanze anzuprangern: "Die Pflanze, deren Rauch die Indianer einziehen, ist wie eine Art Stutzen oder Fackel in ein trockenes Blatt hineingestopft [...]. Die Indianer zünden es auf der einen Seite an und saugen oder schlurfen am anderen Ende, indem sie den Rauch beim Atmen innerlich einziehen, was ihren ganzen Körper in gewissem Sinne einschläfert und eine Art Trunkenheit hervorruft. Sie behaupten, dass sie dann keine Müdigkeit mehr empfänden. Diese "mousquetons", diese Tabaccos, wie sie sie selbst nennen, sind auch schon bei den Ansiedlern in Gebrauch. Ich habe mehrere Spanier auf der Insel Hispaniola gesehen, die sich dieser Dinge bedienten und, als man sie wegen solch hässlicher Gewohnheit tadelte, antworteten, dass es ihnen nunmehr unmöglich sei, diese wieder abzulegen."

Zurück nach Europa. 1559 hörte Jean Nicot, ein französischer Gesandter am portugiesischen Hof von der Heilkraft des Tabaks. Das Geschwür eines Dieners heilte nach der Behandlung mit Tabak in nur wenigen Tagen ab und Jean Nicot, überzeugt, dass die mittlerweile sagenumwobenen Kräfte der Pflanze ihre Richtigkeit hatten, berichtete in aller Ausführlichkeit an Katharina von Medici. Und diese, nachdem ihr Sohn, der später unter dem Namen Karl IX in die Geschichte eingehen sollte, per Schnupftabak Erleichterung für seine Kopfschmerzen fand, machte den Tabak salonfähig. Daraufhin wurde das Kraut auch einige Zeit "herbe de la médicée", Kraut der Medici, oder auch Kraut der Königin genannt. Nicot selbst war nur an den Heilkräften, und nicht am Rauchen interessiert. Dennoch wurde ihm und seiner überzeugenden Öffentlichkeitsarbeit zu Ehren das im Kraut enthaltene spezifische Alkaloid später Nikotin genannt und der botanische Name dieses Nachtschattengewächses lautet bis heute nicotiana.

Und so wurde nicotiana in Gelehrtenkreisen bald als Heilpflanze gegen Würmer, Krätze, Zahnfleischschwellungen, Kopfschmerzen und Hühneraugen, gegen Kurzatmigkeit, Husten und Wassersucht und sogar gegen die Pest gepriesen und in ganz Europa verbreitet. Gleichzeitig fand das Rauchen, von den Hafenstädten ausgehend, immer mehr Anhänger und natürlich Feinde. Aber ihre Verbotsversuche setzten sich nicht durch. Wo immer man Menschen das erste Mal rauchen sah, war das Erstaunen groß und ebenso die Unbeholfenheit, auszudrücken, was das eigentlich sei. Man behalf sich bis zur Erfindung des Wortes "rauchen" im 17. Jahrhundert mit "Tabak trinken", oder, wie ein eifriger Gegner im deutschen Sprachraum wetterte, mit "elenden Nebel saufen". Sir Walter Raleigh wurde, als er von seinem Diener zum ersten Mal schmauchend mit seiner Pfeife gesehen wurde, mit einer großen Bierkanne über den Kopf gegossen, weil der Diener glaubte, sein Herr sei in Brand geraten.

In Deutschland breitete sich die Gewohnheit des Rauchens übrigens durch die Soldaten im 30-jährigen Krieg aus: In einem kleinen Büchlein von 1667 schreibt Jacob Christoph von Grimmelshausen über die Soldaten: "Teils saufen sie den Tabak, andere fressen ihn, und von etlichen wird er geschnupft, also dass mich wundert, warum ich keinen gefunden, der ihn auch in die Ohren steckt."

Aber noch mal zurück nach England. Traditionell auf Distanz zu den Errungenschaften auf dem Kontinent blieb das Land gegenüber den Gelehrtenschriften und neumodischen Erscheinungen am französischen Hof zunächst ungerührt. Umso lebhafter aber war die Begeisterung, mit der die Engländer zwei Jahrzehnte später den Rauchgenuß aufnahmen, als sie ihn durch ihre eigenen Kolonien in Amerika kennen lernten.

Der erwähnte Sir Walter Raleigh, seines Zeichens bekannter englischer Seefahrer wurde 1586 von Freunden mit Tabak aus Virginia beschenkt. Er steht in der Literatur dafür, dass er das Tabakrauchen in die englische Öffentlichkeit trug und hoffähig machte, was schließlich zum gewerblichen Tabakanbau auf der ganzen Welt führte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren Verbotsversuche aller moralischen Autoritäten zum Scheitern verurteilt. Sogar die hohe Geistlichkeit und Landesfürsten in Europa brachen die Verbote, aber die wachsenden Steuererträge trösteten durchaus über die moralische Niederlage hinweg.

Raleigh selbst war übrigens nicht im Mindesten an den Medizinalkräften des königlichen Krautes interessiert. Er war schlicht in seine Pfeife vernarrt - so vernarrt, dass er sie auch nicht aus dem Mund nahm, als er im Londoner Tower das Schafott bestieg.

Das spätere kleine Loblied von Johann Sebastian Bach hätte ihm sicher gefallen:

Wenn Du die Pfeife angezündet,
so sieht man, wie im Augenblick,
der Rauch in freier Luft verschwindet
nichts als die Asche bleibt zurück,
so wird des Menschen Ruhm verzehrt
und dessen Leib in Staub verkehrt.

Ich kann bei so gestalten Sachen
mir bei dem Tabak jederzeit
erbauliche Gedanken machen.
Drum schmauch ich voll Zufriedenheit
Zu Land, zu Wasser und zu Haus
Mein Pfeifchen stets in Andacht aus.

(aus: Klavierbüchlein für Anna Magdalena Bach, 1725)

Text: Alexandra Geiser

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