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[art_1] Mexiko: Rezension der Übersetzung "Nichts Freieres gibt es auf Erden"
Gedichte von Sor Juana Inés de la Cruz
Übersetzung und Einführung von Heidi König-Porstner (Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke)
 
Sor Juana Inés de la Cruz (1651? - 1695) ist zweifellos die größte Dichterin Amerikas und zugleich die größte spanischsprachige Dichterin.

Die Übersetzerin König-Porstner bietet eine sehr zutreffende Einführung, die Juanas Lebensweg und spektakulären Werdegang als Künstlerin in einer von Männern dominierten Welt nachzeichnet. Von der bescheidenen Geburt als uneheliches Kind im Vizekönigreich Neu-Spanien (Mexiko), Eintritt ins Kloster, über ihren Aufstieg als "weltliche Nonne" zur philosophischen Hofdichterin und "Zehnten Muse" Mexikos und ihre literarischen Triumphe, mit denen sie Weltruhm erlang, bis hin zu ihrem grauenvollen Sturz. Mit dem tragischen Verzicht auf literarische Tätigkeit und dem Rückzug hinter die Klostermauern, der wohl vom perversen und vom Hass auf alles Weibliche erfüllten Erzbischof von Mexiko erzwungen wurde, machte sie sich 1693 - eher aus Angst denn aus Überzeugung - zur "Märtyrerin der Intelligenz", wie es Américo Castro formulierte. Was diese Dichterin, die von vielen als "erste Feministin" gefeiert wurde, vor ihrem erbärmlichen Tod an einer Seuche geschaffen hat, muss in seiner thematischen Vielfalt, philosophischen Tiefe und dem virtuosen Ausdruck in barocken Metaphernbergen genial genannt werden. Und viele (ich selbst eingeschlossen) halten ihr gewaltiges Gedicht "Erster Traum", das eine nächtliche Seelenreise beschreibt, für das genialste Gedicht, das je in spanischer Sprache verfasst wurde.

Juana de la Cruz (Autorin), Heidi König-Porstner (Übersetzerin)
Nichts Freieres gibt es auf Erden: Gedichte
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: konkursbuch (6. September 2017)
Sprache: Deutsch, Spanisch
ISBN-10: 3887695658

Die Übersetzerin König-Porstner konzentriert sich vor allem auf die zahlreichen Sonette von Sor Juana. Dabei vermeidet sie es, den Sinn der Sonette zugunsten einer strikten Beibehaltung des Reimschemas zu verbiegen. Sie übernimmt das Reimschema des Originals nur, wenn es sich harmonisch im Einklang mit der sinngemäßen Übertragung ergibt, während sie bei einigen Sonetten (z.B. "Deténte, sombra de mi bien esquivo", S. 67 oder bei "Verde embeleso de la vida humana, S. 71) weitgehend auf Reime verzichtet oder das Reimschema verändert.

An das poetische Hauptwerk der großen Mexikanerin - "Primero Sueño" (Erster Traum) - das Sor Juana nach eigener Aussage nicht als Auftragswerk, sondern ganz für sich allein geschrieben hatte, wagt sich die Übersetzerin nicht heran - aus gutem Grund. Denn dieses 975 Verse zählende metaphysische Metapherngebirge ist eigentlich unübersetzbar. (Es gibt eine Übersetzung, die es dennoch versucht hat und 1996 in der Sammlung von Alberto Pérez-Amador Adam, "Es höre mich Dein Auge", Verlag Neue Kritik, erschienen ist).

Besonders gelungen wirkt in der vorliegenden Sammlung "Nichts Freieres gibt es auf Erden" die Übersetzung des berühmten Gedichts, das von vielen als ein frühes Pamphlet des Feminismus interpretiert wurde: "Hombres necios que acusáis". In dieser "Sátira Filosófica" attackiert Sor Juana die männliche Heuchelei, die genau das an den Frauen kritisiert, was sie eigentlich reizt (sehr verkürzt formuliert: heimlich von einer Hure zu träumen, aber nur eine Heilige heiraten zu wollen). Man mag darüber streiten, ob das Adjektiv "necios" im Titel gebenden Eingangsvers mit "albern" nicht zu harmlos übersetzt ist (der eigentliche Sinn ist "töricht"), aber im Sinne einer modernen Übersetzung mit zeitgemäßem Vokabular ist dies annehmbar, zumal Inhalt und Absicht dieses satirischen Beitrags zum Kampf der Geschlechter insgesamt gut getroffen werden.

Die Art der Präsentation von Sor Juanas Gedichten und ihrer Übersetzungen lässt allerdings einiges zu wünschen übrig. Besonders für ein Publikum, das die Werke dieser philosophischen Nonne aus der Epoche des Barock noch nicht kennt, wären bei problematischen Gedichten punktuelle Erklärungen in Form von Kurzkommentaren oder Fußnoten angebracht gewesen. Das Verständnis und die Einordnung in den kulturhistorischen Gesamtzusammenhang werden auch dadurch erschwert, dass die Gedichte auf den ersten Blick nahtlos aneinander gereiht erscheinen - ohne klare Abgrenzung und ohne Kommentar (dieser findet sich zum Teil im Vorwort, hätte aber besser zu dem jeweiligen Gedicht gehört). Ein Beispiel für die unglückliche Präsentation: während bei den Sonetten die deutsche Übersetzung und die spanische Version schön gegenüber präsentiert werden zum direkten Vergleich, ist dies bei den längeren Gedichten nicht der Fall - man muss blättern und suchen, um die spanische Originalversion zu finden. Hier gerät das Ganze dann unübersichtlich.

Zwar hat Sor Juana in der Tat einigen ihrer Gedichte keine expliziten Titel gegeben, aber es wäre durchaus erlaubt gewesen, ihnen in der deutschen Version Titel (bei den Sonetten wäre dies in der Regel der Eingangsvers) voran zu stellen, und sei es auch nur zu einer besseren Abgrenzung voneinander. Die Intention, das grandiose Werk der Zehnten Muse Mexikos gerade auch deutschen Lesern, die sie bisher gar nicht kannten und kein Spanisch verstehen, nahe zu bringen, wird so nicht unbedingt erleichtert. Denn ein deutscher Leser, der die Originalgedichte nicht kennt, muss sich mehr als einmal fragen, wo denn nun welches Gedicht aufhört oder anfängt.

Zwar fasst die Übersetzerin manche Gedichte in thematischen Gruppen zusammen und stellt ihnen eine Art Kapitelüberschrift voran wie "Rosengedichte" oder "Sonette an Laura". Aber dies wird dann nicht konsequent eingehalten und manch ein Gedicht falsch "einsortiert". So taucht unter den Rosengedichten am Schluss - aber eben nicht klar abgetrennt - das Abschiedsgedicht "Estos versos lector mío...", welches natürlich nicht mehr der Schönheit und Vergänglichkeit von Rosen, sondern dem Leser gewidmet ist. Das eklatanteste Beispiel findet sich jedoch mitten unter den Rosen-Sonetten: ein Todes-Sonett ("Mas ya el dolor me vence..."), entnommen aus dem wichtigsten Theaterstück von Sor Juana, dem "Divino Narciso" (1689). Nur ganz am Schluss des Buches wird in einer Fußnote darauf hingewiesen, dass es sich hier um einen Extrakt aus einem Theaterstück handelt - das Sonett selbst und seine Übersetzung sind aber nicht mit dieser Anmerkung verbunden. So stolpert der Leser inmitten der Rosengedichte über diesen sakralen Text, in dem der Kreuzestod thematisiert wird und blättert irritiert weiter. Hier wäre doch wohl ein ausführlicher Kommentar fällig gewesen. Denn woher soll ein(e) zeitgenössische(r) deutscher Leser/in wissen, was ein barockes "Auto Sacramental" ist? Wie soll man das mutige und revolutionäre (in den Augen der Inquisition gar gefährlich blasphemische) Potential dieser Verse erkennen, wenn sie ganz aus dem Zusammenhang gerissen und ohne angemessene Erklärung des Hintergrunds zwischen Rosen-Sonetten platziert werden? Dazu hätte man schon erklären müssen, dass dieses Theaterstück in doppelter Weise synkretistisch ist. Zum einen vergleicht Sor Juana hier den christlichen Erlöser Jesus mit dem Narziss der griechischen Mythologie, der sich in sein Spiegelbild (in diesem Fall die menschliche Seele) verliebt. Das allein war schon äußerst gewagt. Und zum anderen verbindet es den Tod Christi am Kreuz mit der aztekischen Menschenopfertradition und lässt die aztekischen Protagonisten auf der Bühne sagen, dass sie im "Leib Christi" heimlich die Menschenopfer an ihren alten Kriegsgott weiter verehren. Eine größere Provokation der Inquisition war kaum denkbar. In einer kritischen und leserfreundlichen Ausgabe hätten solche Angaben unmittelbar als Kommentar zu den Versen dazu gehört, nicht losgelöst davon und ohne jede Fußnote ans Ende des Buches.

Dies schmälert zwar nicht die überwiegend gute Leistung der Übersetzerin, der es meist gelingt, den Sinn und die Intention dieser schwierigen spanischen Barockgedichte in angemessene deutsche Worte zu kleiden und dabei für Leser des 21. Jahrhunderts verständlich zu machen. Aber diese Leser hätten eine ausführlichere und glanzvollere Präsentation erwarten dürfen - es geht hier schließlich um Barock!

Text + Fotos: Berthold Volberg
Cover: amazon.de

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