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[art_2] Bolivien: Gewächshäuser in den Anden
 
In den Anden Boliviens ist es auf einer Höhe von knapp 4.000 Metern viel zu kalt und zu windig um Gemüse anzubauen. Doch mit Hilfe von einfachsten Gewächshäusern können sich die Andenbewohner selbst in dieser Höhe mit Vitaminen selber versorgen.


Für die zehnjährige Wilma gab es bislang immer nur eines zu Essen: Kartoffeln. Geschützt durch die Erde sind sie das einzige, was im eisigen Andenwind Norte Potosís wächst. Die Region ist einer der ärmsten Landstriche Boliviens und ganz Südamerikas. Wilma lebt mit ihren Eltern, Großeltern und den zwei Geschwistern in einer kleinen Hütte aus Adobeziegeln.

Zwar macht immer nur Kartoffeln essen satt, aber vor allem den Kindern fehlen wichtige Vitamine, die sie für ihre Entwicklung brauchen. Gemüse oder Obst lassen sich auch nicht einfach aus der Stadt in die Höhe bringen – der nächste Ort ist acht Autostunden entfernt – und wer kann sich hier schon ein Auto leisten? "Das einzige Gemüse, das man hier her transportieren kann, sind Zwiebeln. Die sind hart und können durchgeschüttelt werden. Alles andere ist kompliziert. Tomaten, Paprika, Salat – das verdirbt alles schnell, wenn es tagelang auf einem Eselsrücken unterwegs ist", erklärt Jhonny Herbos von Pusisuyo, einer Partnerorganisation von terre des hommes.

Jhonny Herbos gibt Wilma und den anderen Kindern aus dem kleinen Dörfchen Pichuya heute eine ganz besondere Schulstunde: Feldbauunterricht. Hier lernen die Kinder, welche verschiedenen Gemüsesorten überhaupt existieren - Gemüse ist in den Andendörfern bislang so gut wie unbekannt. Damit sich die Bauern gesund ernähren können, gibt es nur eine Lösung: Sie müssen ihr Gemüse selber anbauen. Aber das ist in der eisigen Höhe der Anden fast unmöglich. Und so hat Pusisuyo eine Methode entwickelt, mit der es doch gelingt. "Wir haben uns ein Gewächshaus ausgedacht, in dem auf 15 Quadratmetern verschiedene Gemüsesorten angebaut werden können. Am besten wächst dort Blattgemüse, aber auch andere Sorten gedeihen gut. Wir können zwei bis drei Mal im Jahr ernten", erzählt Jhonny Herbos.


So ein Gewächshaus, carpa genannt, besteht aus selbstgemachten Adobeziegeln und Steinen – davon gibt es in den Anden reichlich. Dazu kommt eine Plastikplane. Die Bauern können so ein Gewächshaus innerhalb weniger Tage selber errichten. Auch die Schule hat eine carpa. Die Kinder lernen hier, wie man eine "carpa" baut und in Stand hält. Und natürlich auch, wie man darin Gemüse anpflanzt. Trotz des kalten Windes, der draußen über das Hochland pfeift, ist es in dem Gewächshaus tropisch warm – und die Schüler fahren eine reiche Ernte ein.

Wilma hat über das, was sie in der Schule über den Gemüseanbau gelernt hat, mit ihren Eltern gesprochen. Ihre Familie hat inzwischen so wie fast alle im Dorf eine eigene Carpa  gebaut. Das, was an Materialien nicht vor Ort vorhanden ist, nämlich Plastikplane, Eisenstangen, Saatgut und für den Anfang ein wenig Humus, kostet alles in allem rund 110 Euro  - Geld, das von den Spendern von terre des hommes kommt. In den meisten Familien ist es die Aufgabe der Kinder, sich um die carpas zu kümmern.

Wilma sieht jeden Tag nach der Schule in ihrem Gewächshaus nach dem Rechten. Dort wendet sie das an, was sie im Unterricht gelernt hat. Sie ist zu Recht stolz auf ihre Arbeit. "Das habe ich alles geerntet! Schau mal, mein Salat!", sagt sie und hält lächelnd eine Handvoll der Delikatesse in die Höhe.

Seitdem die Kinder in dem Dorf Pichuya Gemüse anbauen können, bekommen sie nicht nur mehr, sondern vor allem auch ausgewogeneres Essen als früher. Damit ist ein Anfang gemacht.

Doch viele Kinder in Bolivien leiden noch immer unter Mangelernährung. Ziel von terre des hommes wird deshalb sein, in weiteren Dörfern in den Anden Feldbauunterricht und Gewächshäuser zu finanzieren.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Pusisuyo

Tipp: Katharina Nickoleit hat u.a. einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
ISBN: 978-3-89662-586-1
Seiten: 252
Verlag: Reise Know-How
4. aktualisierte Auflage 2014

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